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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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Wärme und Kälte beynahe einen ganzen Ton betragen kann. Man bemerkt auch eine solche
Veränderung des Tones öfters bey Blasinstrumenten, wenn man eine Weile darauf geblasen
hat; die Töne werden sodann wegen Erwärmung der Seitenwände, und der darinnen befind-
lichen Luft etwas höher. Es können Saiten- und Blasinstrumente auch bey Veränderung der
Wärme und Kälte nie gleiche Stimmung behalten, weil beydes auf diese Jnstrumente auf
entgegengesetzte Art würkt, es wird nähmlich durch die Wärme, welche den Ton einer Pfeife
erhöht, die Saite ausgedehnt, und also, wenn sie nicht durch ein angehängtes Gewicht,
sondern durch einen unbeweglichen Wirbel gespannt ist, ihr Ton erniedrigt; hingegen durch die
Kälte, welche den Ton einer Pfeife erniedrigt, wird die Saite zusammengezogen, und also,
weil der Wirbel nicht nachgiebt, ihr Ton erhöht.

Anm. Die Erfahrung kommt mit dieser der Theorie gemäßen Bestimmung nur beynahe überein,
es zeigt sich nahmlich durch die Erfahrung immer eine etwas größere Geschwindigkeit, als die
Theorie lehrt, eben so, wie auch bey der Verbreitung des Schalles durch die Luft. Um nicht eine
Sache zweymahl vorzutragen verspare ich einige weitere Bemerkungen über diese Verschiedenheit,
und über deren wahrscheinliche Ursachen zum ersten Abschnitte des folgenden Theiles.
Bey den Versuchen, die Kapellmeister Sarti der Petersburger Academie der Wissenschaften
am 19. October 1796. vorzeigte, und welche in Voigts Magazin für den neuesten Zustand der
Naturkunde im ersten Stücke S. 102. beschrieben sind, geschahen in einer 5 (vermuthlich Pariser)
Fuß langen gedeckten Pfeife 100 Schwingungen, worunter er doppelte Schwingungen, die aus
einem Hingange und Rückgange zusammengesetzt sind, versteht, also 200 einfache Schwingungen
in einer Secunde, mithin müßte eine offene Pfeife, um bey ihrem tiefsten Tone 100 doppelte oder
200 einfache Schwingungen in derselben Zeit zu machen, 10 Fuß lang seyn.
77.

Die vorzüglichsten Schriften über die Theorie der Pfeifen und Blasinstrumente sind:
Dan. Bernoulli sur le son et sur les tons des tuyaux d'orgues, in Mem de l'Acad. de
Paris 1762. Observations sur les flutes p. Lambert in Mem. de l'Acad de Berlin 1775.
L Euler de motu aeris in tubis, in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XVI. Recherches
sur la nature et la propagation du son p. la Grange
in Melanges de philosophie et de
mathematique de la societe de Turin, tom. I.
und II. C. Giordano Riccati delle corde
ovvero sibre elastiche, Schediasma V. VI. VII.

78.

Der Klang, welcher durch brennendes Wasserstoffgas in einer Röhre hervorgebracht
wird, ist auch als Klang eines Blasinstrumentes zu betrachten. Der Versuch läßt sich folgen-

M 2

Waͤrme und Kaͤlte beynahe einen ganzen Ton betragen kann. Man bemerkt auch eine ſolche
Veraͤnderung des Tones oͤfters bey Blasinſtrumenten, wenn man eine Weile darauf geblaſen
hat; die Toͤne werden ſodann wegen Erwaͤrmung der Seitenwaͤnde, und der darinnen befind-
lichen Luft etwas hoͤher. Es koͤnnen Saiten- und Blasinſtrumente auch bey Veraͤnderung der
Waͤrme und Kaͤlte nie gleiche Stimmung behalten, weil beydes auf dieſe Jnſtrumente auf
entgegengeſetzte Art wuͤrkt, es wird naͤhmlich durch die Waͤrme, welche den Ton einer Pfeife
erhoͤht, die Saite ausgedehnt, und alſo, wenn ſie nicht durch ein angehaͤngtes Gewicht,
ſondern durch einen unbeweglichen Wirbel geſpannt iſt, ihr Ton erniedrigt; hingegen durch die
Kaͤlte, welche den Ton einer Pfeife erniedrigt, wird die Saite zuſammengezogen, und alſo,
weil der Wirbel nicht nachgiebt, ihr Ton erhoͤht.

Anm. Die Erfahrung kommt mit dieſer der Theorie gemaͤßen Beſtimmung nur beynahe uͤberein,
es zeigt ſich nahmlich durch die Erfahrung immer eine etwas groͤßere Geſchwindigkeit, als die
Theorie lehrt, eben ſo, wie auch bey der Verbreitung des Schalles durch die Luft. Um nicht eine
Sache zweymahl vorzutragen verſpare ich einige weitere Bemerkungen uͤber dieſe Verſchiedenheit,
und uͤber deren wahrſcheinliche Urſachen zum erſten Abſchnitte des folgenden Theiles.
Bey den Verſuchen, die Kapellmeiſter Sarti der Petersburger Academie der Wiſſenſchaften
am 19. October 1796. vorzeigte, und welche in Voigts Magazin fuͤr den neueſten Zuſtand der
Naturkunde im erſten Stuͤcke S. 102. beſchrieben ſind, geſchahen in einer 5 (vermuthlich Pariſer)
Fuß langen gedeckten Pfeife 100 Schwingungen, worunter er doppelte Schwingungen, die aus
einem Hingange und Ruͤckgange zuſammengeſetzt ſind, verſteht, alſo 200 einfache Schwingungen
in einer Secunde, mithin muͤßte eine offene Pfeife, um bey ihrem tiefſten Tone 100 doppelte oder
200 einfache Schwingungen in derſelben Zeit zu machen, 10 Fuß lang ſeyn.
77.

Die vorzuͤglichſten Schriften uͤber die Theorie der Pfeifen und Blasinſtrumente ſind:
Dan. Bernoulli sur le son et sur les tons des tuyaux d’orgues, in Mém de l’Acad. de
Paris 1762. Observations sur les flutes p. Lambert in Mém. de l’Acad de Berlin 1775.
L Euler de motu aëris in tubis, in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XVI. Recherches
sur la nature et la propagation du son p. la Grange
in Mêlanges de philosophie et de
mathématique de la société de Turin, tom. I.
und II. C. Giordano Riccati delle corde
ovvero ſibre elastiche, Schediasma V. VI. VII.

78.

Der Klang, welcher durch brennendes Waſſerſtoffgas in einer Roͤhre hervorgebracht
wird, iſt auch als Klang eines Blasinſtrumentes zu betrachten. Der Verſuch laͤßt ſich folgen-

M 2
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[91/0125] Waͤrme und Kaͤlte beynahe einen ganzen Ton betragen kann. Man bemerkt auch eine ſolche Veraͤnderung des Tones oͤfters bey Blasinſtrumenten, wenn man eine Weile darauf geblaſen hat; die Toͤne werden ſodann wegen Erwaͤrmung der Seitenwaͤnde, und der darinnen befind- lichen Luft etwas hoͤher. Es koͤnnen Saiten- und Blasinſtrumente auch bey Veraͤnderung der Waͤrme und Kaͤlte nie gleiche Stimmung behalten, weil beydes auf dieſe Jnſtrumente auf entgegengeſetzte Art wuͤrkt, es wird naͤhmlich durch die Waͤrme, welche den Ton einer Pfeife erhoͤht, die Saite ausgedehnt, und alſo, wenn ſie nicht durch ein angehaͤngtes Gewicht, ſondern durch einen unbeweglichen Wirbel geſpannt iſt, ihr Ton erniedrigt; hingegen durch die Kaͤlte, welche den Ton einer Pfeife erniedrigt, wird die Saite zuſammengezogen, und alſo, weil der Wirbel nicht nachgiebt, ihr Ton erhoͤht. Anm. Die Erfahrung kommt mit dieſer der Theorie gemaͤßen Beſtimmung nur beynahe uͤberein, es zeigt ſich nahmlich durch die Erfahrung immer eine etwas groͤßere Geſchwindigkeit, als die Theorie lehrt, eben ſo, wie auch bey der Verbreitung des Schalles durch die Luft. Um nicht eine Sache zweymahl vorzutragen verſpare ich einige weitere Bemerkungen uͤber dieſe Verſchiedenheit, und uͤber deren wahrſcheinliche Urſachen zum erſten Abſchnitte des folgenden Theiles. Bey den Verſuchen, die Kapellmeiſter Sarti der Petersburger Academie der Wiſſenſchaften am 19. October 1796. vorzeigte, und welche in Voigts Magazin fuͤr den neueſten Zuſtand der Naturkunde im erſten Stuͤcke S. 102. beſchrieben ſind, geſchahen in einer 5 (vermuthlich Pariſer) Fuß langen gedeckten Pfeife 100 Schwingungen, worunter er doppelte Schwingungen, die aus einem Hingange und Ruͤckgange zuſammengeſetzt ſind, verſteht, alſo 200 einfache Schwingungen in einer Secunde, mithin muͤßte eine offene Pfeife, um bey ihrem tiefſten Tone 100 doppelte oder 200 einfache Schwingungen in derſelben Zeit zu machen, 10 Fuß lang ſeyn. 77. Die vorzuͤglichſten Schriften uͤber die Theorie der Pfeifen und Blasinſtrumente ſind: Dan. Bernoulli sur le son et sur les tons des tuyaux d’orgues, in Mém de l’Acad. de Paris 1762. Observations sur les flutes p. Lambert in Mém. de l’Acad de Berlin 1775. L Euler de motu aëris in tubis, in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XVI. Recherches sur la nature et la propagation du son p. la Grange in Mêlanges de philosophie et de mathématique de la société de Turin, tom. I. und II. C. Giordano Riccati delle corde ovvero ſibre elastiche, Schediasma V. VI. VII. 78. Der Klang, welcher durch brennendes Waſſerſtoffgas in einer Roͤhre hervorgebracht wird, iſt auch als Klang eines Blasinſtrumentes zu betrachten. Der Verſuch laͤßt ſich folgen- M 2

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/125>, abgerufen am 17.05.2024.