Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite
197.

Der Schall verbreitet sich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden,
sondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil nähmlich die Luft nach allen
Richtungen einerley Elasticität hat, so ist jeder Punct eines Schallstrales wieder als ein neuer
Mittelpunct des Schalles anzusehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht
erfüllte Räume ausgehen können. Man hört also einen Schall, der hinter einem Berge,
oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas schwächer, als wenn er in einer
geraden Richtung hätte fortgehen können. Die Ursache, warum ein solcher Schall auch hör-
bar ist, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder
eine sehr dicke Mauer allemahl hinlänglich stark erschüttert würde, um einen solchen Schall
weiter zu verbreiten, sondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien
vermittelst neuer Mictelpuncte von Schallstralen.

La Grange hat dieses in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Melanges
de philosophie et de mathematique de la societe de Turin tom. II.
bemerkt, es sagt auch
Gehler in seinem physicalischen Wörterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges darüber.
Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des
Wassers sich auf diese Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Wassergefäß durch eine Schei-
dewand, in welcher sich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt ist, und in dem einen Theile
concentrische Wellen erregt werden, diese sich durch das Loch in den andern Theil des Gefäßes
so verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elastische
Flüßigkeit ebensowohl in krummen als in geraden Linien zittern könne, sieht man auch an
Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauersprache: gekröpft) sind, wie auch an
Hörnern, Trompeten u. s. w. wo der Klang eben derselbe ist, als ob sie gerade wären.

198.

So wie an jedem elastischen Körper einerley schwingende Bewegungen zugleich Statt
finden, so können auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft-
strecke verbreitet werden, ohne daß eine dieser Bewegungen die andere hindert oder stört.

Anm. Etwas, das der Verbreitung verschiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen ähnlich
ist, bemerkt man auch bey den Wasserwellen. Wenn man nähmlich an zwey Stellen der Ober-
fläche zugleich Wellen hervorbringt, so durchschneiden sich die Kreise der beyden Arten von Wellen
so, daß keine Art durch die andere gestört wird.
E e 2
197.

Der Schall verbreitet ſich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden,
ſondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil naͤhmlich die Luft nach allen
Richtungen einerley Elaſticitaͤt hat, ſo iſt jeder Punct eines Schallſtrales wieder als ein neuer
Mittelpunct des Schalles anzuſehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht
erfuͤllte Raͤume ausgehen koͤnnen. Man hoͤrt alſo einen Schall, der hinter einem Berge,
oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas ſchwaͤcher, als wenn er in einer
geraden Richtung haͤtte fortgehen koͤnnen. Die Urſache, warum ein ſolcher Schall auch hoͤr-
bar iſt, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder
eine ſehr dicke Mauer allemahl hinlaͤnglich ſtark erſchuͤttert wuͤrde, um einen ſolchen Schall
weiter zu verbreiten, ſondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien
vermittelſt neuer Mictelpuncte von Schallſtralen.

La Grange hat dieſes in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Mêlanges
de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II.
bemerkt, es ſagt auch
Gehler in ſeinem phyſicaliſchen Woͤrterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges daruͤber.
Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des
Waſſers ſich auf dieſe Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Waſſergefaͤß durch eine Schei-
dewand, in welcher ſich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt iſt, und in dem einen Theile
concentriſche Wellen erregt werden, dieſe ſich durch das Loch in den andern Theil des Gefaͤßes
ſo verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elaſtiſche
Fluͤßigkeit ebenſowohl in krummen als in geraden Linien zittern koͤnne, ſieht man auch an
Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauerſprache: gekroͤpft) ſind, wie auch an
Hoͤrnern, Trompeten u. ſ. w. wo der Klang eben derſelbe iſt, als ob ſie gerade waͤren.

198.

So wie an jedem elaſtiſchen Koͤrper einerley ſchwingende Bewegungen zugleich Statt
finden, ſo koͤnnen auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft-
ſtrecke verbreitet werden, ohne daß eine dieſer Bewegungen die andere hindert oder ſtoͤrt.

Anm. Etwas, das der Verbreitung verſchiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen aͤhnlich
iſt, bemerkt man auch bey den Waſſerwellen. Wenn man naͤhmlich an zwey Stellen der Ober-
flaͤche zugleich Wellen hervorbringt, ſo durchſchneiden ſich die Kreiſe der beyden Arten von Wellen
ſo, daß keine Art durch die andere geſtoͤrt wird.
E e 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0253" n="219"/>
          <div n="3">
            <head>197.</head><lb/>
            <p>Der Schall <hi rendition="#g">verbreitet &#x017F;ich</hi> nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden,<lb/>
&#x017F;ondern <hi rendition="#g">auch nach jeder krummen Richtung.</hi> Weil na&#x0364;hmlich die Luft nach allen<lb/>
Richtungen einerley Ela&#x017F;ticita&#x0364;t hat, &#x017F;o i&#x017F;t jeder Punct eines Schall&#x017F;trales wieder als ein neuer<lb/>
Mittelpunct des Schalles anzu&#x017F;ehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht<lb/>
erfu&#x0364;llte Ra&#x0364;ume ausgehen ko&#x0364;nnen. Man ho&#x0364;rt al&#x017F;o einen Schall, der hinter einem Berge,<lb/>
oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas &#x017F;chwa&#x0364;cher, als wenn er in einer<lb/>
geraden Richtung ha&#x0364;tte fortgehen ko&#x0364;nnen. Die Ur&#x017F;ache, warum ein &#x017F;olcher Schall auch ho&#x0364;r-<lb/>
bar i&#x017F;t, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder<lb/>
eine &#x017F;ehr dicke Mauer allemahl hinla&#x0364;nglich &#x017F;tark er&#x017F;chu&#x0364;ttert wu&#x0364;rde, um einen &#x017F;olchen Schall<lb/>
weiter zu verbreiten, &#x017F;ondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien<lb/>
vermittel&#x017F;t neuer Mictelpuncte von Schall&#x017F;tralen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">La Grange</hi></hi> hat die&#x017F;es in den <hi rendition="#aq">Nouvelles recherches sur le son</hi> §. 49. in <hi rendition="#aq">Mêlanges<lb/>
de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II.</hi> bemerkt, es &#x017F;agt auch<lb/><hi rendition="#g">Gehler</hi> in &#x017F;einem phy&#x017F;icali&#x017F;chen Wo&#x0364;rterbuche unter dem Artikel: <hi rendition="#g">Licht</hi> viel richtiges daru&#x0364;ber.<lb/><hi rendition="#g">Newton</hi> hat in <hi rendition="#aq">princ. phil. libr. II. prop.</hi> 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ers &#x017F;ich auf die&#x017F;e Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Wa&#x017F;&#x017F;ergefa&#x0364;ß durch eine Schei-<lb/>
dewand, in welcher &#x017F;ich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt i&#x017F;t, und in dem einen Theile<lb/>
concentri&#x017F;che Wellen erregt werden, die&#x017F;e &#x017F;ich durch das Loch in den andern Theil des Gefa&#x0364;ßes<lb/>
&#x017F;o verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine ela&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Flu&#x0364;ßigkeit eben&#x017F;owohl in krummen als in geraden Linien zittern ko&#x0364;nne, &#x017F;ieht man auch an<lb/>
Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauer&#x017F;prache: gekro&#x0364;pft) &#x017F;ind, wie auch an<lb/>
Ho&#x0364;rnern, Trompeten u. &#x017F;. w. wo der Klang eben der&#x017F;elbe i&#x017F;t, als ob &#x017F;ie gerade wa&#x0364;ren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>198.</head><lb/>
            <p>So wie an jedem ela&#x017F;ti&#x017F;chen Ko&#x0364;rper einerley &#x017F;chwingende Bewegungen zugleich Statt<lb/>
finden, &#x017F;o ko&#x0364;nnen auch <hi rendition="#g">mehrere Arten des Schalles zugleich</hi> durch einerley Luft-<lb/>
&#x017F;trecke verbreitet werden, ohne daß eine die&#x017F;er Bewegungen die andere hindert oder &#x017F;to&#x0364;rt.</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#g">Anm.</hi> Etwas, das der Verbreitung ver&#x017F;chiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen a&#x0364;hnlich<lb/>
i&#x017F;t, bemerkt man auch bey den Wa&#x017F;&#x017F;erwellen. Wenn man na&#x0364;hmlich an zwey Stellen der Ober-<lb/>
fla&#x0364;che zugleich Wellen hervorbringt, &#x017F;o durch&#x017F;chneiden &#x017F;ich die Krei&#x017F;e der beyden Arten von Wellen<lb/>
&#x017F;o, daß keine Art durch die andere ge&#x017F;to&#x0364;rt wird.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 2</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0253] 197. Der Schall verbreitet ſich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden, ſondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil naͤhmlich die Luft nach allen Richtungen einerley Elaſticitaͤt hat, ſo iſt jeder Punct eines Schallſtrales wieder als ein neuer Mittelpunct des Schalles anzuſehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht erfuͤllte Raͤume ausgehen koͤnnen. Man hoͤrt alſo einen Schall, der hinter einem Berge, oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas ſchwaͤcher, als wenn er in einer geraden Richtung haͤtte fortgehen koͤnnen. Die Urſache, warum ein ſolcher Schall auch hoͤr- bar iſt, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder eine ſehr dicke Mauer allemahl hinlaͤnglich ſtark erſchuͤttert wuͤrde, um einen ſolchen Schall weiter zu verbreiten, ſondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien vermittelſt neuer Mictelpuncte von Schallſtralen. La Grange hat dieſes in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Mêlanges de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II. bemerkt, es ſagt auch Gehler in ſeinem phyſicaliſchen Woͤrterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges daruͤber. Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des Waſſers ſich auf dieſe Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Waſſergefaͤß durch eine Schei- dewand, in welcher ſich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt iſt, und in dem einen Theile concentriſche Wellen erregt werden, dieſe ſich durch das Loch in den andern Theil des Gefaͤßes ſo verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elaſtiſche Fluͤßigkeit ebenſowohl in krummen als in geraden Linien zittern koͤnne, ſieht man auch an Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauerſprache: gekroͤpft) ſind, wie auch an Hoͤrnern, Trompeten u. ſ. w. wo der Klang eben derſelbe iſt, als ob ſie gerade waͤren. 198. So wie an jedem elaſtiſchen Koͤrper einerley ſchwingende Bewegungen zugleich Statt finden, ſo koͤnnen auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft- ſtrecke verbreitet werden, ohne daß eine dieſer Bewegungen die andere hindert oder ſtoͤrt. Anm. Etwas, das der Verbreitung verſchiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen aͤhnlich iſt, bemerkt man auch bey den Waſſerwellen. Wenn man naͤhmlich an zwey Stellen der Ober- flaͤche zugleich Wellen hervorbringt, ſo durchſchneiden ſich die Kreiſe der beyden Arten von Wellen ſo, daß keine Art durch die andere geſtoͤrt wird. E e 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/253
Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/253>, abgerufen am 14.06.2024.