Der Schall verbreitet sich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden, sondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil nähmlich die Luft nach allen Richtungen einerley Elasticität hat, so ist jeder Punct eines Schallstrales wieder als ein neuer Mittelpunct des Schalles anzusehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht erfüllte Räume ausgehen können. Man hört also einen Schall, der hinter einem Berge, oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas schwächer, als wenn er in einer geraden Richtung hätte fortgehen können. Die Ursache, warum ein solcher Schall auch hör- bar ist, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder eine sehr dicke Mauer allemahl hinlänglich stark erschüttert würde, um einen solchen Schall weiter zu verbreiten, sondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien vermittelst neuer Mictelpuncte von Schallstralen.
La Grange hat dieses in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Melanges de philosophie et de mathematique de la societe de Turin tom. II. bemerkt, es sagt auch Gehler in seinem physicalischen Wörterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges darüber. Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des Wassers sich auf diese Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Wassergefäß durch eine Schei- dewand, in welcher sich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt ist, und in dem einen Theile concentrische Wellen erregt werden, diese sich durch das Loch in den andern Theil des Gefäßes so verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elastische Flüßigkeit ebensowohl in krummen als in geraden Linien zittern könne, sieht man auch an Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauersprache: gekröpft) sind, wie auch an Hörnern, Trompeten u. s. w. wo der Klang eben derselbe ist, als ob sie gerade wären.
198.
So wie an jedem elastischen Körper einerley schwingende Bewegungen zugleich Statt finden, so können auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft- strecke verbreitet werden, ohne daß eine dieser Bewegungen die andere hindert oder stört.
Anm. Etwas, das der Verbreitung verschiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen ähnlich ist, bemerkt man auch bey den Wasserwellen. Wenn man nähmlich an zwey Stellen der Ober- fläche zugleich Wellen hervorbringt, so durchschneiden sich die Kreise der beyden Arten von Wellen so, daß keine Art durch die andere gestört wird.
E e 2
197.
Der Schall verbreitet ſich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden, ſondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil naͤhmlich die Luft nach allen Richtungen einerley Elaſticitaͤt hat, ſo iſt jeder Punct eines Schallſtrales wieder als ein neuer Mittelpunct des Schalles anzuſehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht erfuͤllte Raͤume ausgehen koͤnnen. Man hoͤrt alſo einen Schall, der hinter einem Berge, oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas ſchwaͤcher, als wenn er in einer geraden Richtung haͤtte fortgehen koͤnnen. Die Urſache, warum ein ſolcher Schall auch hoͤr- bar iſt, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder eine ſehr dicke Mauer allemahl hinlaͤnglich ſtark erſchuͤttert wuͤrde, um einen ſolchen Schall weiter zu verbreiten, ſondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien vermittelſt neuer Mictelpuncte von Schallſtralen.
La Grange hat dieſes in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Mêlanges de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II. bemerkt, es ſagt auch Gehler in ſeinem phyſicaliſchen Woͤrterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges daruͤber. Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des Waſſers ſich auf dieſe Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Waſſergefaͤß durch eine Schei- dewand, in welcher ſich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt iſt, und in dem einen Theile concentriſche Wellen erregt werden, dieſe ſich durch das Loch in den andern Theil des Gefaͤßes ſo verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elaſtiſche Fluͤßigkeit ebenſowohl in krummen als in geraden Linien zittern koͤnne, ſieht man auch an Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauerſprache: gekroͤpft) ſind, wie auch an Hoͤrnern, Trompeten u. ſ. w. wo der Klang eben derſelbe iſt, als ob ſie gerade waͤren.
198.
So wie an jedem elaſtiſchen Koͤrper einerley ſchwingende Bewegungen zugleich Statt finden, ſo koͤnnen auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft- ſtrecke verbreitet werden, ohne daß eine dieſer Bewegungen die andere hindert oder ſtoͤrt.
Anm. Etwas, das der Verbreitung verſchiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen aͤhnlich iſt, bemerkt man auch bey den Waſſerwellen. Wenn man naͤhmlich an zwey Stellen der Ober- flaͤche zugleich Wellen hervorbringt, ſo durchſchneiden ſich die Kreiſe der beyden Arten von Wellen ſo, daß keine Art durch die andere geſtoͤrt wird.
E e 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0253"n="219"/><divn="3"><head>197.</head><lb/><p>Der Schall <hirendition="#g">verbreitet ſich</hi> nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden,<lb/>ſondern <hirendition="#g">auch nach jeder krummen Richtung.</hi> Weil naͤhmlich die Luft nach allen<lb/>
Richtungen einerley Elaſticitaͤt hat, ſo iſt jeder Punct eines Schallſtrales wieder als ein neuer<lb/>
Mittelpunct des Schalles anzuſehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht<lb/>
erfuͤllte Raͤume ausgehen koͤnnen. Man hoͤrt alſo einen Schall, der hinter einem Berge,<lb/>
oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas ſchwaͤcher, als wenn er in einer<lb/>
geraden Richtung haͤtte fortgehen koͤnnen. Die Urſache, warum ein ſolcher Schall auch hoͤr-<lb/>
bar iſt, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder<lb/>
eine ſehr dicke Mauer allemahl hinlaͤnglich ſtark erſchuͤttert wuͤrde, um einen ſolchen Schall<lb/>
weiter zu verbreiten, ſondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien<lb/>
vermittelſt neuer Mictelpuncte von Schallſtralen.</p><lb/><p><hirendition="#aq"><hirendition="#g">La Grange</hi></hi> hat dieſes in den <hirendition="#aq">Nouvelles recherches sur le son</hi> §. 49. in <hirendition="#aq">Mêlanges<lb/>
de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II.</hi> bemerkt, es ſagt auch<lb/><hirendition="#g">Gehler</hi> in ſeinem phyſicaliſchen Woͤrterbuche unter dem Artikel: <hirendition="#g">Licht</hi> viel richtiges daruͤber.<lb/><hirendition="#g">Newton</hi> hat in <hirendition="#aq">princ. phil. libr. II. prop.</hi> 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des<lb/>
Waſſers ſich auf dieſe Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Waſſergefaͤß durch eine Schei-<lb/>
dewand, in welcher ſich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt iſt, und in dem einen Theile<lb/>
concentriſche Wellen erregt werden, dieſe ſich durch das Loch in den andern Theil des Gefaͤßes<lb/>ſo verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elaſtiſche<lb/>
Fluͤßigkeit ebenſowohl in krummen als in geraden Linien zittern koͤnne, ſieht man auch an<lb/>
Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauerſprache: gekroͤpft) ſind, wie auch an<lb/>
Hoͤrnern, Trompeten u. ſ. w. wo der Klang eben derſelbe iſt, als ob ſie gerade waͤren.</p></div><lb/><divn="3"><head>198.</head><lb/><p>So wie an jedem elaſtiſchen Koͤrper einerley ſchwingende Bewegungen zugleich Statt<lb/>
finden, ſo koͤnnen auch <hirendition="#g">mehrere Arten des Schalles zugleich</hi> durch einerley Luft-<lb/>ſtrecke verbreitet werden, ohne daß eine dieſer Bewegungen die andere hindert oder ſtoͤrt.</p><lb/><list><item><hirendition="#g">Anm.</hi> Etwas, das der Verbreitung verſchiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen aͤhnlich<lb/>
iſt, bemerkt man auch bey den Waſſerwellen. Wenn man naͤhmlich an zwey Stellen der Ober-<lb/>
flaͤche zugleich Wellen hervorbringt, ſo durchſchneiden ſich die Kreiſe der beyden Arten von Wellen<lb/>ſo, daß keine Art durch die andere geſtoͤrt wird.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E e 2</fw><lb/></item></list></div></div></div></body></text></TEI>
[219/0253]
197.
Der Schall verbreitet ſich nicht etwa, wie das Licht, blos nach einer geraden,
ſondern auch nach jeder krummen Richtung. Weil naͤhmlich die Luft nach allen
Richtungen einerley Elaſticitaͤt hat, ſo iſt jeder Punct eines Schallſtrales wieder als ein neuer
Mittelpunct des Schalles anzuſehen, aus welchem Schallwellen in alle damit noch nicht
erfuͤllte Raͤume ausgehen koͤnnen. Man hoͤrt alſo einen Schall, der hinter einem Berge,
oder hinter einer dicken Mauer erregt wird, obwohl etwas ſchwaͤcher, als wenn er in einer
geraden Richtung haͤtte fortgehen koͤnnen. Die Urſache, warum ein ſolcher Schall auch hoͤr-
bar iſt, liegt nicht, wie Manche geglaubt haben, darin, daß etwa der ganze Berg, oder
eine ſehr dicke Mauer allemahl hinlaͤnglich ſtark erſchuͤttert wuͤrde, um einen ſolchen Schall
weiter zu verbreiten, ſondern vielmehr in einer Verbreitung des Schalles in krummen Linien
vermittelſt neuer Mictelpuncte von Schallſtralen.
La Grange hat dieſes in den Nouvelles recherches sur le son §. 49. in Mêlanges
de philosophie et de mathématique de la societé de Turin tom. II. bemerkt, es ſagt auch
Gehler in ſeinem phyſicaliſchen Woͤrterbuche unter dem Artikel: Licht viel richtiges daruͤber.
Newton hat in princ. phil. libr. II. prop. 41 und 42 gezeigt, daß auch die Wellen des
Waſſers ſich auf dieſe Act bewegen, und daß z. B. wenn ein Waſſergefaͤß durch eine Schei-
dewand, in welcher ſich ein Loch befindet, in zwey Theile getheilt iſt, und in dem einen Theile
concentriſche Wellen erregt werden, dieſe ſich durch das Loch in den andern Theil des Gefaͤßes
ſo verbreiten, daß das Loch ein neuer Mittelpunct von Wellen wird. Daß eine elaſtiſche
Fluͤßigkeit ebenſowohl in krummen als in geraden Linien zittern koͤnne, ſieht man auch an
Orgelpfeifen, die gebogen (oder in der Orgelbauerſprache: gekroͤpft) ſind, wie auch an
Hoͤrnern, Trompeten u. ſ. w. wo der Klang eben derſelbe iſt, als ob ſie gerade waͤren.
198.
So wie an jedem elaſtiſchen Koͤrper einerley ſchwingende Bewegungen zugleich Statt
finden, ſo koͤnnen auch mehrere Arten des Schalles zugleich durch einerley Luft-
ſtrecke verbreitet werden, ohne daß eine dieſer Bewegungen die andere hindert oder ſtoͤrt.
Anm. Etwas, das der Verbreitung verſchiedener Bewegungen durch die Luft einigermaßen aͤhnlich
iſt, bemerkt man auch bey den Waſſerwellen. Wenn man naͤhmlich an zwey Stellen der Ober-
flaͤche zugleich Wellen hervorbringt, ſo durchſchneiden ſich die Kreiſe der beyden Arten von Wellen
ſo, daß keine Art durch die andere geſtoͤrt wird.
E e 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/253>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.