mannigfaltigen Modificationen eines Schalles durch die Luft oder durch andere Körper weiter verbreitet werden, wo jede Art von leitender Materie den Schall mit Beybehaltung seines vorigen Characters wieder etwas anders modificirt, wie es z. B. der Fall ist, wenn Worte durch die Luft, oder auch durch andere Materien zu den Gehörwerkzeugen geleitet werden, und also z. B. ein beträchtlich langer Stab oder gespannter Faden, der zwischen den Zähnen ge- halten wird, alle Articulationen der menschlichen Stimme gewissermaßen auf seine eigene Art nachspricht.
249.
Die Entfernung des Orts, wo ein Schall erregt wird, ist kein unmittelbarer Ge- genstand der Gehörempfindung, sondern läßt sich nur aus der mehrern oder mindern Stärke des Schalles vermöge eines aus mancherley Erfahrungen absteahirten Maaßes ungefähr beur- theilen. Bey einer Zunahme der Stärke glauben wir eine Annäherung, bey einer Abnahme derselben aber eine Entfernung dessen, was den Schall erregt, zu hören, z. B. bey dem Vor- beyfahren eines Wagens, oder einem vorüberziehenden Donnerwerter. Dieses ist aber auch nicht sowohl ein Werk der Gehörempfindung selbst, sondern vielmehr der mit dieser Empfindung innigst verwebten Urtheilskraft. Wenn z. B. jemand in einem finstern Behältnisse verschloßen wäre, und es würde in einiger Entfernung, ohne daß er etwas davon vermuthen könne, der Donner bis zur Täuschung nachgeahmt, (etwa durch mannigfaltige Reibungen und E[r]schüt- terungen großer über einen Rahmen gespannter Membranen), und zwar erst sehr schwach, nachher mit zunehmender, alsdenn mit abnehmender und endlich mit ganz verschwindender Stärke, so würde dieser glauben die Annäherung und Entfernung eines vorüberziehenden Ge- witters gehört zu haben, ohngeachtet die Maschinerie, durch welche man den Schall erregte, immer an derselben Stelle geblieben ist.
250.
Ueber die Bestimmung der Richtung des Schalles durch das Gehör finden sich Bemerkungen von Venturi in Voigts Magazin für Naturkunde 2. B. 1. Stück. Wenn das eine Ohr verstopft ist, und man bleibt bey verbundenen Augen immer in einerley Stellung, so scheint der Schall, er werde erregt, wo man wolle, immer von der Seite des offenen Ohres herzukommen, und zwar von dem Orte, welcher dem Ohre gerade gegenüber liegt, oder mit andern Worten, in der akustischen Axe des Ohres. Wird der Kopf nach und nach bey einer
mannigfaltigen Modificationen eines Schalles durch die Luft oder durch andere Koͤrper weiter verbreitet werden, wo jede Art von leitender Materie den Schall mit Beybehaltung ſeines vorigen Characters wieder etwas anders modificirt, wie es z. B. der Fall iſt, wenn Worte durch die Luft, oder auch durch andere Materien zu den Gehoͤrwerkzeugen geleitet werden, und alſo z. B. ein betraͤchtlich langer Stab oder geſpannter Faden, der zwiſchen den Zaͤhnen ge- halten wird, alle Articulationen der menſchlichen Stimme gewiſſermaßen auf ſeine eigene Art nachſpricht.
249.
Die Entfernung des Orts, wo ein Schall erregt wird, iſt kein unmittelbarer Ge- genſtand der Gehoͤrempfindung, ſondern laͤßt ſich nur aus der mehrern oder mindern Staͤrke des Schalles vermoͤge eines aus mancherley Erfahrungen abſteahirten Maaßes ungefaͤhr beur- theilen. Bey einer Zunahme der Staͤrke glauben wir eine Annaͤherung, bey einer Abnahme derſelben aber eine Entfernung deſſen, was den Schall erregt, zu hoͤren, z. B. bey dem Vor- beyfahren eines Wagens, oder einem voruͤberziehenden Donnerwerter. Dieſes iſt aber auch nicht ſowohl ein Werk der Gehoͤrempfindung ſelbſt, ſondern vielmehr der mit dieſer Empfindung innigſt verwebten Urtheilskraft. Wenn z. B. jemand in einem finſtern Behaͤltniſſe verſchloßen waͤre, und es wuͤrde in einiger Entfernung, ohne daß er etwas davon vermuthen koͤnne, der Donner bis zur Taͤuſchung nachgeahmt, (etwa durch mannigfaltige Reibungen und E[r]ſchuͤt- terungen großer uͤber einen Rahmen geſpannter Membranen), und zwar erſt ſehr ſchwach, nachher mit zunehmender, alsdenn mit abnehmender und endlich mit ganz verſchwindender Staͤrke, ſo wuͤrde dieſer glauben die Annaͤherung und Entfernung eines voruͤberziehenden Ge- witters gehoͤrt zu haben, ohngeachtet die Maſchinerie, durch welche man den Schall erregte, immer an derſelben Stelle geblieben iſt.
250.
Ueber die Beſtimmung der Richtung des Schalles durch das Gehoͤr finden ſich Bemerkungen von Venturi in Voigts Magazin fuͤr Naturkunde 2. B. 1. Stuͤck. Wenn das eine Ohr verſtopft iſt, und man bleibt bey verbundenen Augen immer in einerley Stellung, ſo ſcheint der Schall, er werde erregt, wo man wolle, immer von der Seite des offenen Ohres herzukommen, und zwar von dem Orte, welcher dem Ohre gerade gegenuͤber liegt, oder mit andern Worten, in der akuſtiſchen Axe des Ohres. Wird der Kopf nach und nach bey einer
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mannigfaltigen Modificationen eines Schalles durch die Luft oder durch andere Koͤrper weiter
verbreitet werden, wo jede Art von leitender Materie den Schall mit Beybehaltung ſeines
vorigen Characters wieder etwas anders modificirt, wie es z. B. der Fall iſt, wenn Worte
durch die Luft, oder auch durch andere Materien zu den Gehoͤrwerkzeugen geleitet werden, und
alſo z. B. ein betraͤchtlich langer Stab oder geſpannter Faden, der zwiſchen den Zaͤhnen ge-
halten wird, alle Articulationen der menſchlichen Stimme gewiſſermaßen auf ſeine eigene
Art nachſpricht.
249.
Die Entfernung des Orts, wo ein Schall erregt wird, iſt kein unmittelbarer Ge-
genſtand der Gehoͤrempfindung, ſondern laͤßt ſich nur aus der mehrern oder mindern Staͤrke
des Schalles vermoͤge eines aus mancherley Erfahrungen abſteahirten Maaßes ungefaͤhr beur-
theilen. Bey einer Zunahme der Staͤrke glauben wir eine Annaͤherung, bey einer Abnahme
derſelben aber eine Entfernung deſſen, was den Schall erregt, zu hoͤren, z. B. bey dem Vor-
beyfahren eines Wagens, oder einem voruͤberziehenden Donnerwerter. Dieſes iſt aber auch
nicht ſowohl ein Werk der Gehoͤrempfindung ſelbſt, ſondern vielmehr der mit dieſer Empfindung
innigſt verwebten Urtheilskraft. Wenn z. B. jemand in einem finſtern Behaͤltniſſe verſchloßen
waͤre, und es wuͤrde in einiger Entfernung, ohne daß er etwas davon vermuthen koͤnne, der
Donner bis zur Taͤuſchung nachgeahmt, (etwa durch mannigfaltige Reibungen und Erſchuͤt-
terungen großer uͤber einen Rahmen geſpannter Membranen), und zwar erſt ſehr ſchwach,
nachher mit zunehmender, alsdenn mit abnehmender und endlich mit ganz verſchwindender
Staͤrke, ſo wuͤrde dieſer glauben die Annaͤherung und Entfernung eines voruͤberziehenden Ge-
witters gehoͤrt zu haben, ohngeachtet die Maſchinerie, durch welche man den Schall erregte,
immer an derſelben Stelle geblieben iſt.
250.
Ueber die Beſtimmung der Richtung des Schalles durch das Gehoͤr finden ſich
Bemerkungen von Venturi in Voigts Magazin fuͤr Naturkunde 2. B. 1. Stuͤck. Wenn
das eine Ohr verſtopft iſt, und man bleibt bey verbundenen Augen immer in einerley Stellung,
ſo ſcheint der Schall, er werde erregt, wo man wolle, immer von der Seite des offenen Ohres
herzukommen, und zwar von dem Orte, welcher dem Ohre gerade gegenuͤber liegt, oder mit
andern Worten, in der akuſtiſchen Axe des Ohres. Wird der Kopf nach und nach bey einer
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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/330>, abgerufen am 16.07.2024.
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