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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Dorfe hielt unser bequeme Reisewagen mit allen
Vorrichtungen zu einer Flucht dieser Art versehn,
und nichts in der Welt konnte sich uns mehr als
Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh
eine Viertelstunde nach der andern, es wurde uns
zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erschien.
Endlich, Mitternacht war eben vorüber, und die
dumpfe Glocke des Klosterthurmes brummte den
letzten Schlag der zwölften Stunde in die düstere
Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir
öffneten, und Schwester Beata stand mit ihrer
Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thränen,
als sie sich vielleicht zum Letztenmale an Beata
wenden sollte, um ihr Lebewohl zu sagen; da
meinte Freund Kluge, dem die liebenswürdige
Schwester Beata recht sehr zu gefallen schien, er
wolle ihr hiemit den freundschaftlichen Rath
geben, dem traurigen Klosterleben ebenfalls Ade
zu sagen, und mit ihrer lieben Freundin in die
freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne
wandte sich erröthend ab, drückte einen Scheide¬
kuß auf Adelinens Lippen, und verschwand in den
düstern Gängen des Klostergartens.

Adeline reichte mir ihre Hand und sagte,
indem sie den langen Schleier über ihr schönes
Gesicht gleiten ließ: Verzeihen Sie, mein Freund,

Dorfe hielt unſer bequeme Reiſewagen mit allen
Vorrichtungen zu einer Flucht dieſer Art verſehn,
und nichts in der Welt konnte ſich uns mehr als
Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh
eine Viertelſtunde nach der andern, es wurde uns
zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erſchien.
Endlich, Mitternacht war eben voruͤber, und die
dumpfe Glocke des Kloſterthurmes brummte den
letzten Schlag der zwoͤlften Stunde in die duͤſtere
Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir
oͤffneten, und Schweſter Beata ſtand mit ihrer
Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thraͤnen,
als ſie ſich vielleicht zum Letztenmale an Beata
wenden ſollte, um ihr Lebewohl zu ſagen; da
meinte Freund Kluge, dem die liebenswuͤrdige
Schweſter Beata recht ſehr zu gefallen ſchien, er
wolle ihr hiemit den freundſchaftlichen Rath
geben, dem traurigen Kloſterleben ebenfalls Ade
zu ſagen, und mit ihrer lieben Freundin in die
freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne
wandte ſich erroͤthend ab, druͤckte einen Scheide¬
kuß auf Adelinens Lippen, und verſchwand in den
duͤſtern Gaͤngen des Kloſtergartens.

Adeline reichte mir ihre Hand und ſagte,
indem ſie den langen Schleier uͤber ihr ſchoͤnes
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[210/0216] Dorfe hielt unſer bequeme Reiſewagen mit allen Vorrichtungen zu einer Flucht dieſer Art verſehn, und nichts in der Welt konnte ſich uns mehr als Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh eine Viertelſtunde nach der andern, es wurde uns zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erſchien. Endlich, Mitternacht war eben voruͤber, und die dumpfe Glocke des Kloſterthurmes brummte den letzten Schlag der zwoͤlften Stunde in die duͤſtere Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir oͤffneten, und Schweſter Beata ſtand mit ihrer Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thraͤnen, als ſie ſich vielleicht zum Letztenmale an Beata wenden ſollte, um ihr Lebewohl zu ſagen; da meinte Freund Kluge, dem die liebenswuͤrdige Schweſter Beata recht ſehr zu gefallen ſchien, er wolle ihr hiemit den freundſchaftlichen Rath geben, dem traurigen Kloſterleben ebenfalls Ade zu ſagen, und mit ihrer lieben Freundin in die freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne wandte ſich erroͤthend ab, druͤckte einen Scheide¬ kuß auf Adelinens Lippen, und verſchwand in den duͤſtern Gaͤngen des Kloſtergartens. Adeline reichte mir ihre Hand und ſagte, indem ſie den langen Schleier uͤber ihr ſchoͤnes Geſicht gleiten ließ: Verzeihen Sie, mein Freund,

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/216>, abgerufen am 27.11.2024.