Gegenwart der Gedanke beikam, es sei eine gün¬ stige Zeit, ihr meine glühende Liebe zu gestehn. Ich gehörte nie zu den eitlen Gecken, welche sich bei jeder natürlichen Offenheit und Freundlichkeit eines jungen, unbefangenen Mädchens einbilden, sie seien geliebt, es bedürfe nur der Anfrage, um sich am Ziel ihrer Wünsche zu sehn; aber ich war vielleicht zu sehr zurückhaltend, hatte zu wenig Kenntniß des menschlichen Herzens, das ja immer unergründlich bleibt. Oft nahm ich mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens eigentliche Empfindungen zu erforschen, aber ich fand immer nur die heitere, unbefangene Natür¬ lichkeit ihres so unendlich einnehmenden Wesens, und wußte mir selbst nicht zu rathen. Meine Tante, welche mit der alten Frau von Struen ziemlich vertraut war, wünschte eine Verbindung zwischen Marien und mir von ganzer Seele; sie sah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern von der Sache reden. So verging eine lange Zeit. -- --
Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon, erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr seine Güter verlasse und nach der Residenz gehe, wo
Gegenwart der Gedanke beikam, es ſei eine guͤn¬ ſtige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu geſtehn. Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche ſich bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden, ſie ſeien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um ſich am Ziel ihrer Wuͤnſche zu ſehn; aber ich war vielleicht zu ſehr zuruͤckhaltend, hatte zu wenig Kenntniß des menſchlichen Herzens, das ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens eigentliche Empfindungen zu erforſchen, aber ich fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬ lichkeit ihres ſo unendlich einnehmenden Weſens, und wußte mir ſelbſt nicht zu rathen. Meine Tante, welche mit der alten Frau von Struen ziemlich vertraut war, wuͤnſchte eine Verbindung zwiſchen Marien und mir von ganzer Seele; ſie ſah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern von der Sache reden. So verging eine lange Zeit. — —
Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon, erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr ſeine Guͤter verlaſſe und nach der Reſidenz gehe, wo
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0251"n="245"/>
Gegenwart der Gedanke beikam, es ſei eine guͤn¬<lb/>ſtige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu geſtehn.<lb/>
Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche ſich<lb/>
bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit<lb/>
eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden,<lb/>ſie ſeien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um<lb/>ſich am Ziel ihrer Wuͤnſche zu ſehn; aber ich<lb/>
war vielleicht zu ſehr zuruͤckhaltend, hatte zu<lb/>
wenig Kenntniß des menſchlichen Herzens, das<lb/>
ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich<lb/>
mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens<lb/>
eigentliche Empfindungen zu erforſchen, aber ich<lb/>
fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬<lb/>
lichkeit ihres ſo unendlich einnehmenden Weſens,<lb/>
und wußte mir ſelbſt nicht zu rathen. Meine<lb/>
Tante, welche mit der alten Frau von Struen<lb/>
ziemlich vertraut war, wuͤnſchte eine Verbindung<lb/>
zwiſchen Marien und mir von ganzer Seele;<lb/>ſie ſah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch<lb/>
nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern<lb/>
von der Sache reden. So verging eine lange<lb/>
Zeit. ——</p><lb/><p>Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon,<lb/>
erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr ſeine<lb/>
Guͤter verlaſſe und nach der Reſidenz gehe, wo<lb/></p></div></body></text></TEI>
[245/0251]
Gegenwart der Gedanke beikam, es ſei eine guͤn¬
ſtige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu geſtehn.
Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche ſich
bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit
eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden,
ſie ſeien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um
ſich am Ziel ihrer Wuͤnſche zu ſehn; aber ich
war vielleicht zu ſehr zuruͤckhaltend, hatte zu
wenig Kenntniß des menſchlichen Herzens, das
ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich
mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens
eigentliche Empfindungen zu erforſchen, aber ich
fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬
lichkeit ihres ſo unendlich einnehmenden Weſens,
und wußte mir ſelbſt nicht zu rathen. Meine
Tante, welche mit der alten Frau von Struen
ziemlich vertraut war, wuͤnſchte eine Verbindung
zwiſchen Marien und mir von ganzer Seele;
ſie ſah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch
nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern
von der Sache reden. So verging eine lange
Zeit. — —
Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon,
erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr ſeine
Guͤter verlaſſe und nach der Reſidenz gehe, wo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/251>, abgerufen am 19.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.