Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Ball in Blumenau selbst, oder in dem benachbarten
Städtchen Friedlingen geben sollte; die Stimmen¬
mehrzahl entschied indeß für Blumenau, und man
hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gäste
in bester Form einzuladen. Der vom jüngern
Hauspersonale heiß ersehnte Tag erschien. Tina
stand, geputzt mit allen Künsten der zartesten
Toilette, in dem hohen Bogenfenster des zum
Empfange der Gäste bestimmten Zimmers neben
Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichsten
aller kleinen Finger Buchstaben in den Fenster¬
schweiß. "Was machst Du denn Kind?" fragte
der Oncle. "Du malst ja einen zierlichen B
neben den andern?"

"Nun," sagte Tina, und ihr Schelmengesicht¬
chen vermogte kaum das Lachen zu bekämpfen,
"ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt
er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes
Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir
durchaus nicht abschlagen darfst."

"Was ist denn schon wieder?" fragte Heinrich.
"Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erst
tiefsinnig, ganz sehnsüchtig und mit den Gedanken
wo anders, als am passenden Orte, und auf

4*

Ball in Blumenau ſelbſt, oder in dem benachbarten
Staͤdtchen Friedlingen geben ſollte; die Stimmen¬
mehrzahl entſchied indeß fuͤr Blumenau, und man
hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gaͤſte
in beſter Form einzuladen. Der vom juͤngern
Hausperſonale heiß erſehnte Tag erſchien. Tina
ſtand, geputzt mit allen Kuͤnſten der zarteſten
Toilette, in dem hohen Bogenfenſter des zum
Empfange der Gaͤſte beſtimmten Zimmers neben
Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichſten
aller kleinen Finger Buchſtaben in den Fenſter¬
ſchweiß. „Was machſt Du denn Kind?“ fragte
der Oncle. „Du malſt ja einen zierlichen B
neben den andern?“

„Nun,“ ſagte Tina, und ihr Schelmengeſicht¬
chen vermogte kaum das Lachen zu bekaͤmpfen,
„ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt
er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes
Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir
durchaus nicht abſchlagen darfſt.“

„Was iſt denn ſchon wieder?“ fragte Heinrich.
„Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erſt
tiefſinnig, ganz ſehnſuͤchtig und mit den Gedanken
wo anders, als am paſſenden Orte, und auf

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0057" n="51"/>
Ball in Blumenau &#x017F;elb&#x017F;t, oder in dem benachbarten<lb/>
Sta&#x0364;dtchen Friedlingen geben &#x017F;ollte; die Stimmen¬<lb/>
mehrzahl ent&#x017F;chied indeß fu&#x0364;r Blumenau, und man<lb/>
hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Ga&#x0364;&#x017F;te<lb/>
in be&#x017F;ter Form einzuladen. Der vom ju&#x0364;ngern<lb/>
Hausper&#x017F;onale heiß er&#x017F;ehnte Tag er&#x017F;chien. Tina<lb/>
&#x017F;tand, geputzt mit allen Ku&#x0364;n&#x017F;ten der zarte&#x017F;ten<lb/>
Toilette, in dem hohen Bogenfen&#x017F;ter des zum<lb/>
Empfange der Ga&#x0364;&#x017F;te be&#x017F;timmten Zimmers neben<lb/>
Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlich&#x017F;ten<lb/>
aller kleinen Finger Buch&#x017F;taben in den Fen&#x017F;ter¬<lb/>
&#x017F;chweiß. &#x201E;Was mach&#x017F;t Du denn Kind?&#x201C; fragte<lb/>
der Oncle. &#x201E;Du mal&#x017F;t ja einen zierlichen <hi rendition="#aq">B</hi><lb/>
neben den andern?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun,&#x201C; &#x017F;agte Tina, und ihr Schelmenge&#x017F;icht¬<lb/>
chen vermogte kaum das Lachen zu beka&#x0364;mpfen,<lb/>
&#x201E;ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt<lb/>
er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes<lb/>
Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir<lb/>
durchaus nicht ab&#x017F;chlagen darf&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was i&#x017F;t denn &#x017F;chon wieder?&#x201C; fragte Heinrich.<lb/>
&#x201E;Aus euch Weibern werde der Henker klug! Er&#x017F;t<lb/>
tief&#x017F;innig, ganz &#x017F;ehn&#x017F;u&#x0364;chtig und mit den Gedanken<lb/>
wo anders, als am pa&#x017F;&#x017F;enden Orte, und auf<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0057] Ball in Blumenau ſelbſt, oder in dem benachbarten Staͤdtchen Friedlingen geben ſollte; die Stimmen¬ mehrzahl entſchied indeß fuͤr Blumenau, und man hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gaͤſte in beſter Form einzuladen. Der vom juͤngern Hausperſonale heiß erſehnte Tag erſchien. Tina ſtand, geputzt mit allen Kuͤnſten der zarteſten Toilette, in dem hohen Bogenfenſter des zum Empfange der Gaͤſte beſtimmten Zimmers neben Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichſten aller kleinen Finger Buchſtaben in den Fenſter¬ ſchweiß. „Was machſt Du denn Kind?“ fragte der Oncle. „Du malſt ja einen zierlichen B neben den andern?“ „Nun,“ ſagte Tina, und ihr Schelmengeſicht¬ chen vermogte kaum das Lachen zu bekaͤmpfen, „ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir durchaus nicht abſchlagen darfſt.“ „Was iſt denn ſchon wieder?“ fragte Heinrich. „Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erſt tiefſinnig, ganz ſehnſuͤchtig und mit den Gedanken wo anders, als am paſſenden Orte, und auf 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/57
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/57>, abgerufen am 18.05.2024.