Einzelne, ohne sich viel um Anfang und Ende zu beküm- mern. So gab es denn Größe und Vollkommenheit aller Art, und selbst Feldmarschall Daun, der hauptsächlich dazu beitrug daß Friedrich der Große seinen Zweck vollkommen erreichte und Maria Theresia den ihrigen vollkommen verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angesehen werden können. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urtheil hervor, nämlich der gesunde Menschenverstand, welcher meinte daß man mit seiner Übermacht etwas Po- sitives erreichen müsse oder den Krieg mit aller Kunst schlecht führe.
So waren die Sachen als die französische Revolution ausbrach. Östreich und Preußen versuchten es mit ihrer diplomatischen Kriegskunst; sie zeigte sich bald unzureichend. Während man, nach der gewöhnlichen Art die Sachen an- zusehen, auf eine sehr geschwächte Kriegsmacht sich Hoff- nung machte, zeigte sich im Jahr 1793 eine solche von der man keine Vorstellung gehabt hatte. Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen die sich alle als Staatsbürger betrachteten. Ohne uns hier auf die näheren Umstände einzulassen, von welchen diese große Erscheinung begleitet war, wollen wir nur die Resultate festhalten, auf die es hier ankommt. Mit dieser Theilnahme des Volkes an dem Kriege trat, statt eines Kabinets und eines Heeres, das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Waagschale. Nun hatten die Mittel welche angewandt, die Anstrengungen welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr; die Energie mit welcher der Krieg selbst geführt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr, und folglich war die Gefahr für den Gegner die äußerste.
Einzelne, ohne ſich viel um Anfang und Ende zu bekuͤm- mern. So gab es denn Groͤße und Vollkommenheit aller Art, und ſelbſt Feldmarſchall Daun, der hauptſaͤchlich dazu beitrug daß Friedrich der Große ſeinen Zweck vollkommen erreichte und Maria Thereſia den ihrigen vollkommen verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angeſehen werden koͤnnen. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urtheil hervor, naͤmlich der geſunde Menſchenverſtand, welcher meinte daß man mit ſeiner Übermacht etwas Po- ſitives erreichen muͤſſe oder den Krieg mit aller Kunſt ſchlecht fuͤhre.
So waren die Sachen als die franzoͤſiſche Revolution ausbrach. Öſtreich und Preußen verſuchten es mit ihrer diplomatiſchen Kriegskunſt; ſie zeigte ſich bald unzureichend. Waͤhrend man, nach der gewoͤhnlichen Art die Sachen an- zuſehen, auf eine ſehr geſchwaͤchte Kriegsmacht ſich Hoff- nung machte, zeigte ſich im Jahr 1793 eine ſolche von der man keine Vorſtellung gehabt hatte. Der Krieg war urploͤtzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen die ſich alle als Staatsbuͤrger betrachteten. Ohne uns hier auf die naͤheren Umſtaͤnde einzulaſſen, von welchen dieſe große Erſcheinung begleitet war, wollen wir nur die Reſultate feſthalten, auf die es hier ankommt. Mit dieſer Theilnahme des Volkes an dem Kriege trat, ſtatt eines Kabinets und eines Heeres, das ganze Volk mit ſeinem natuͤrlichen Gewicht in die Waagſchale. Nun hatten die Mittel welche angewandt, die Anſtrengungen welche aufgeboten werden konnten, keine beſtimmte Grenze mehr; die Energie mit welcher der Krieg ſelbſt gefuͤhrt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr, und folglich war die Gefahr fuͤr den Gegner die aͤußerſte.
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Einzelne, ohne ſich viel um Anfang und Ende zu bekuͤm-
mern. So gab es denn Groͤße und Vollkommenheit aller
Art, und ſelbſt Feldmarſchall Daun, der hauptſaͤchlich dazu
beitrug daß Friedrich der Große ſeinen Zweck vollkommen
erreichte und Maria Thereſia den ihrigen vollkommen
verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angeſehen werden
koͤnnen. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes
Urtheil hervor, naͤmlich der geſunde Menſchenverſtand,
welcher meinte daß man mit ſeiner Übermacht etwas Po-
ſitives erreichen muͤſſe oder den Krieg mit aller Kunſt
ſchlecht fuͤhre.
So waren die Sachen als die franzoͤſiſche Revolution
ausbrach. Öſtreich und Preußen verſuchten es mit ihrer
diplomatiſchen Kriegskunſt; ſie zeigte ſich bald unzureichend.
Waͤhrend man, nach der gewoͤhnlichen Art die Sachen an-
zuſehen, auf eine ſehr geſchwaͤchte Kriegsmacht ſich Hoff-
nung machte, zeigte ſich im Jahr 1793 eine ſolche von
der man keine Vorſtellung gehabt hatte. Der Krieg war
urploͤtzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und
zwar eines Volkes von 30 Millionen die ſich alle als
Staatsbuͤrger betrachteten. Ohne uns hier auf die naͤheren
Umſtaͤnde einzulaſſen, von welchen dieſe große Erſcheinung
begleitet war, wollen wir nur die Reſultate feſthalten, auf
die es hier ankommt. Mit dieſer Theilnahme des Volkes
an dem Kriege trat, ſtatt eines Kabinets und eines Heeres,
das ganze Volk mit ſeinem natuͤrlichen Gewicht in die
Waagſchale. Nun hatten die Mittel welche angewandt,
die Anſtrengungen welche aufgeboten werden konnten, keine
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ſelbſt gefuͤhrt werden konnte, hatte kein Gegengewicht
mehr, und folglich war die Gefahr fuͤr den Gegner die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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