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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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In seinen Briefen an den Marquis d'Argens sieht man
die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen
sieht, und wie froh er ist wenn er sie wieder beziehen kann
ohne merklich eingebüßt zu haben.

Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur seinen
gesunkenen Muth sehen wollte, würde, wie es uns scheint,
ein sehr unüberlegtes Urtheil fällen.

Wenn das verschanzte Lager von Bunzelwitz, die Po-
stirungen des Prinzen Heinrich in Sachsen und des Königs
im schlesischen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie solche
Maaßnehmungen erscheinen, auf welche man seine letzte
Hoffnung setzen kann, weil ein Bonaparte diese taktischen
Spinngewebe bald durchstoßen würde: so muß man nicht
vergessen daß die Zeiten sich geändert haben, daß der Krieg
ein ganz anderer geworden ist, von andern Kräften belebt,
und daß also damals Stellungen wirksam sein konnten die
es nicht mehr sind, daß aber auch der Charakter des
Gegners Rücksicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen
Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln,
die Friedrich selbst für Nichts gehalten haben würde, die
höchste Weisheit sein.

Der Erfolg hat diese Ansicht gerechtfertigt. Im ru-
higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und
Schwierigkeiten umgangen, gegen die seine Kraft zerschellt
sein würde. --

Das Verhältniß der Streitkräfte, welche die Russen
den Franzosen im Jahr 1812 bei Eröffnung des Feld-
zugs entgegenzustellen hatten, war noch viel ungünstiger
als es für Friedrich dem Großen im siebenjährigen Kriege
gewesen war. Allein die Russen hatten die Aussicht sich
im Laufe des Feldzugs beträchtlich zu verstärken. Bona-
parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, seine Macht

In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man
die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen
ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann
ohne merklich eingebuͤßt zu haben.

Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen
geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint,
ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen.

Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po-
ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs
im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche
Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte
Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen
Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht
vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg
ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt,
und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die
es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des
Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen
Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln,
die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die
hoͤchſte Weisheit ſein.

Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru-
higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und
Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt
ſein wuͤrde. —

Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen
den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld-
zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger
als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege
geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich
im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona-
parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht

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[159/0173] In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann ohne merklich eingebuͤßt zu haben. Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint, ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen. Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po- ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt, und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die hoͤchſte Weisheit ſein. Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru- higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt ſein wuͤrde. — Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld- zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona- parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/173>, abgerufen am 26.11.2024.