Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_206.001
zierlich. Das Sanfte erscheint zuweilen als sanftgrausend, p1c_206.002
(das Grausende mit dem Sanften) sanftheiter, p1c_206.003
(das Herrliche durch das Sanfte gemildert) traurig, p1c_206.004
zärtlich, sanfte Wehmuth, sanfte Freude.
p1c_206.005
Verbindet sich die Grazie in engerm Sinne oder das lebendig p1c_206.006
Schöne mit dem hohen, so nennt man dieß hohe p1c_206.007
Grazie,
oder das Edle in ästhetischem Sinn. (wovon p1c_206.008
man die erhabene Grazie [s. oben] und das Edle p1c_206.009
in moralischer oder bürgerlicher Hinsicht unterscheiden muß. p1c_206.010
Unedle Ausdrücke beleidigen auf der Bühne. Aber das p1c_206.011
ist eine negative durch die äußern Verhältnisse entstandene p1c_206.012
Regel, und unedel ist hier im bürgerlichen nicht ästhetischen p1c_206.013
Sinne zu nehmen, eben so, wie man oft mit naiv p1c_206.014
nicht das naiv Schöne, sondern blos eine mit dem bürgerlichen p1c_206.015
kontrastirende natürliche Empfindung bezeichnet.) p1c_206.016
Das hohe mildert beym Edlen die Lebendigkeit des p1c_206.017
niedern Schönen, und verliehrt zugleich durch dasselbe an p1c_206.018
Rauheit. Wenn das lebendig Schöne durch eine freyere p1c_206.019
Bewegung der Phantasie entsteht, die sich dann blos ihres p1c_206.020
Lebens und der Fähigkeit etwas zu gestalten, und weniger p1c_206.021
einer idealischen Ordnung bewußt seyn will, und p1c_206.022
in so fern den Geist unterhält, ohne ihn doch zu einer wirklichen p1c_206.023
Jllusion in Absicht auf ernsthafte, d. h. vernünftig p1c_206.024
bestimmte Zwecke und Begriffe kommen zu lassen, so erhält p1c_206.025
es den Nahmen des Scherzhaften. (Der Ausdruck p1c_206.026
Scherz ist weitumfassend in der Sprache, und steht dem p1c_206.027
Planmäßigen, Nothwendigen, Ernsthaften entgegen, ohne p1c_206.028
daß man dabey schon an das Lachen denken müßte. Man

p1c_206.001
zierlich. Das Sanfte erscheint zuweilen als sanftgrausend, p1c_206.002
(das Grausende mit dem Sanften) sanftheiter, p1c_206.003
(das Herrliche durch das Sanfte gemildert) traurig, p1c_206.004
zärtlich, sanfte Wehmuth, sanfte Freude.
p1c_206.005
Verbindet sich die Grazie in engerm Sinne oder das lebendig p1c_206.006
Schöne mit dem hohen, so nennt man dieß hohe p1c_206.007
Grazie,
oder das Edle in ästhetischem Sinn. (wovon p1c_206.008
man die erhabene Grazie [s. oben] und das Edle p1c_206.009
in moralischer oder bürgerlicher Hinsicht unterscheiden muß. p1c_206.010
Unedle Ausdrücke beleidigen auf der Bühne. Aber das p1c_206.011
ist eine negative durch die äußern Verhältnisse entstandene p1c_206.012
Regel, und unedel ist hier im bürgerlichen nicht ästhetischen p1c_206.013
Sinne zu nehmen, eben so, wie man oft mit naiv p1c_206.014
nicht das naiv Schöne, sondern blos eine mit dem bürgerlichen p1c_206.015
kontrastirende natürliche Empfindung bezeichnet.) p1c_206.016
Das hohe mildert beym Edlen die Lebendigkeit des p1c_206.017
niedern Schönen, und verliehrt zugleich durch dasselbe an p1c_206.018
Rauheit. Wenn das lebendig Schöne durch eine freyere p1c_206.019
Bewegung der Phantasie entsteht, die sich dann blos ihres p1c_206.020
Lebens und der Fähigkeit etwas zu gestalten, und weniger p1c_206.021
einer idealischen Ordnung bewußt seyn will, und p1c_206.022
in so fern den Geist unterhält, ohne ihn doch zu einer wirklichen p1c_206.023
Jllusion in Absicht auf ernsthafte, d. h. vernünftig p1c_206.024
bestimmte Zwecke und Begriffe kommen zu lassen, so erhält p1c_206.025
es den Nahmen des Scherzhaften. (Der Ausdruck p1c_206.026
Scherz ist weitumfassend in der Sprache, und steht dem p1c_206.027
Planmäßigen, Nothwendigen, Ernsthaften entgegen, ohne p1c_206.028
daß man dabey schon an das Lachen denken müßte. Man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="206"/><lb n="p1c_206.001"/><hi rendition="#g">zierlich.</hi> Das <hi rendition="#g">Sanfte</hi> erscheint zuweilen als <hi rendition="#g">sanftgrausend,</hi> <lb n="p1c_206.002"/>
(das Grausende mit dem Sanften) <hi rendition="#g">sanftheiter,</hi> <lb n="p1c_206.003"/>
(das Herrliche durch das Sanfte gemildert) <hi rendition="#g">traurig, <lb n="p1c_206.004"/>
zärtlich, sanfte Wehmuth, sanfte Freude.</hi> <lb n="p1c_206.005"/>
Verbindet sich die <hi rendition="#g">Grazie</hi> in engerm Sinne oder das lebendig <lb n="p1c_206.006"/>
Schöne mit dem <hi rendition="#g">hohen,</hi> so nennt man dieß <hi rendition="#g">hohe <lb n="p1c_206.007"/>
Grazie,</hi> oder das <hi rendition="#g">Edle</hi> in ästhetischem Sinn. (wovon <lb n="p1c_206.008"/>
man die <hi rendition="#g">erhabene Grazie</hi> [s. oben] und das <hi rendition="#g">Edle</hi> <lb n="p1c_206.009"/>
in moralischer oder bürgerlicher Hinsicht unterscheiden muß. <lb n="p1c_206.010"/> <hi rendition="#g">Unedle</hi> Ausdrücke beleidigen auf der Bühne. Aber das <lb n="p1c_206.011"/>
ist eine <hi rendition="#g">negative</hi> durch die äußern Verhältnisse entstandene <lb n="p1c_206.012"/>
Regel, und <hi rendition="#g">unedel</hi> ist hier im bürgerlichen nicht ästhetischen <lb n="p1c_206.013"/>
Sinne zu nehmen, eben so, wie man oft mit <hi rendition="#g">naiv</hi> <lb n="p1c_206.014"/>
nicht das <hi rendition="#g">naiv</hi> Schöne, sondern blos eine mit dem bürgerlichen <lb n="p1c_206.015"/>
kontrastirende natürliche Empfindung bezeichnet.) <lb n="p1c_206.016"/>
Das <hi rendition="#g">hohe</hi> mildert beym <hi rendition="#g">Edlen</hi> die <hi rendition="#g">Lebendigkeit</hi> des <lb n="p1c_206.017"/>
niedern Schönen, und verliehrt zugleich durch dasselbe an <lb n="p1c_206.018"/>
Rauheit. Wenn das <hi rendition="#g">lebendig Schöne</hi> durch eine freyere <lb n="p1c_206.019"/>
Bewegung der Phantasie entsteht, die sich dann blos ihres <lb n="p1c_206.020"/> <hi rendition="#g">Lebens</hi> und der Fähigkeit etwas zu gestalten, und weniger <lb n="p1c_206.021"/>
einer <hi rendition="#g">idealischen</hi> Ordnung bewußt seyn will, und <lb n="p1c_206.022"/>
in so fern den Geist unterhält, ohne ihn doch zu einer wirklichen <lb n="p1c_206.023"/>
Jllusion in Absicht auf ernsthafte, d. h. vernünftig <lb n="p1c_206.024"/>
bestimmte Zwecke und Begriffe kommen zu lassen, so erhält <lb n="p1c_206.025"/>
es den Nahmen des <hi rendition="#g">Scherzhaften.</hi> (Der Ausdruck <lb n="p1c_206.026"/> <hi rendition="#g">Scherz</hi> ist weitumfassend in der Sprache, und steht dem <lb n="p1c_206.027"/>
Planmäßigen, Nothwendigen, Ernsthaften entgegen, ohne <lb n="p1c_206.028"/>
daß man dabey schon an das Lachen denken müßte. Man
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0264] p1c_206.001 zierlich. Das Sanfte erscheint zuweilen als sanftgrausend, p1c_206.002 (das Grausende mit dem Sanften) sanftheiter, p1c_206.003 (das Herrliche durch das Sanfte gemildert) traurig, p1c_206.004 zärtlich, sanfte Wehmuth, sanfte Freude. p1c_206.005 Verbindet sich die Grazie in engerm Sinne oder das lebendig p1c_206.006 Schöne mit dem hohen, so nennt man dieß hohe p1c_206.007 Grazie, oder das Edle in ästhetischem Sinn. (wovon p1c_206.008 man die erhabene Grazie [s. oben] und das Edle p1c_206.009 in moralischer oder bürgerlicher Hinsicht unterscheiden muß. p1c_206.010 Unedle Ausdrücke beleidigen auf der Bühne. Aber das p1c_206.011 ist eine negative durch die äußern Verhältnisse entstandene p1c_206.012 Regel, und unedel ist hier im bürgerlichen nicht ästhetischen p1c_206.013 Sinne zu nehmen, eben so, wie man oft mit naiv p1c_206.014 nicht das naiv Schöne, sondern blos eine mit dem bürgerlichen p1c_206.015 kontrastirende natürliche Empfindung bezeichnet.) p1c_206.016 Das hohe mildert beym Edlen die Lebendigkeit des p1c_206.017 niedern Schönen, und verliehrt zugleich durch dasselbe an p1c_206.018 Rauheit. Wenn das lebendig Schöne durch eine freyere p1c_206.019 Bewegung der Phantasie entsteht, die sich dann blos ihres p1c_206.020 Lebens und der Fähigkeit etwas zu gestalten, und weniger p1c_206.021 einer idealischen Ordnung bewußt seyn will, und p1c_206.022 in so fern den Geist unterhält, ohne ihn doch zu einer wirklichen p1c_206.023 Jllusion in Absicht auf ernsthafte, d. h. vernünftig p1c_206.024 bestimmte Zwecke und Begriffe kommen zu lassen, so erhält p1c_206.025 es den Nahmen des Scherzhaften. (Der Ausdruck p1c_206.026 Scherz ist weitumfassend in der Sprache, und steht dem p1c_206.027 Planmäßigen, Nothwendigen, Ernsthaften entgegen, ohne p1c_206.028 daß man dabey schon an das Lachen denken müßte. Man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/264
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/264>, abgerufen am 20.05.2024.