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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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einzelnen Betrachtungen ordnen könnten. Allein die Voraussetzung p1c_216.002
ist noch nicht erfüllt, und so kann Aesthetik und p1c_216.003
Poetik nicht anders als noch höchst unvollkommen seyn. p1c_216.004
Das Folgende mag als ein Versuch gelten, die Seelenkräfte, p1c_216.005
die Vernunftideen und Kategorieen aus dem Absoluten p1c_216.006
zu deduciren.

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Anmerk. 2. Die empirische Psychologie zeigt vier p1c_216.008
Thatsachen auf in dem Bewußtseyn unsers zufälligen Daseyns. p1c_216.009
1) Ein Begehrungsvermögen, ein mit Spontaneität p1c_216.010
sich äußerndes Streben nach einem Zustande, der p1c_216.011
zum Bewußtseyn, das heißt, zu einer Selbstanschauung, p1c_216.012
oder Selbsterscheinung werden könnte. 2) Ein p1c_216.013
in Raum und Zeit empfindendes (in sich findendes) d. h. p1c_216.014
anschauendes Vermögen, ein passives Bewußtseyn unsers p1c_216.015
innern und äußern Zustandes, wo dem Jch ein Gegenstand, p1c_216.016
oder das Jch sich selbst erscheint. 3) Ein begreifendes, p1c_216.017
vergleichendes, verbindendes
Vermögen, p1c_216.018
welches mit Spontaneität Anschauungen unter Begriffen p1c_216.019
anerkennt, die Begriffe mit einander vergleicht und p1c_216.020
dann mit einander nothwendig verbindet, das heißt, p1c_216.021
verknüpft. 4) ein bestimmendes Vermögen, das p1c_216.022
die absolut nothwendigen Gründe vernehmen will, warum p1c_216.023
überhaupt begehrt, angeschaut und verstanden wird. Die p1c_216.024
erste Thatsache giebt den Willen im weitsten Sinne des p1c_216.025
Worts. Die zweyte Thatsache giebt das sinnliche Vorstellungsvermögen, p1c_216.026
wozu auch Erinnerung gehört. p1c_216.027
Die dritte den Verstand, als das begreifende, reflectirende

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Poetik nicht anders als noch höchst unvollkommen seyn. p1c_216.004
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zu deduciren.

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[216/0274] p1c_216.001 einzelnen Betrachtungen ordnen könnten. Allein die Voraussetzung p1c_216.002 ist noch nicht erfüllt, und so kann Aesthetik und p1c_216.003 Poetik nicht anders als noch höchst unvollkommen seyn. p1c_216.004 Das Folgende mag als ein Versuch gelten, die Seelenkräfte, p1c_216.005 die Vernunftideen und Kategorieen aus dem Absoluten p1c_216.006 zu deduciren. p1c_216.007 Anmerk. 2. Die empirische Psychologie zeigt vier p1c_216.008 Thatsachen auf in dem Bewußtseyn unsers zufälligen Daseyns. p1c_216.009 1) Ein Begehrungsvermögen, ein mit Spontaneität p1c_216.010 sich äußerndes Streben nach einem Zustande, der p1c_216.011 zum Bewußtseyn, das heißt, zu einer Selbstanschauung, p1c_216.012 oder Selbsterscheinung werden könnte. 2) Ein p1c_216.013 in Raum und Zeit empfindendes (in sich findendes) d. h. p1c_216.014 anschauendes Vermögen, ein passives Bewußtseyn unsers p1c_216.015 innern und äußern Zustandes, wo dem Jch ein Gegenstand, p1c_216.016 oder das Jch sich selbst erscheint. 3) Ein begreifendes, p1c_216.017 vergleichendes, verbindendes Vermögen, p1c_216.018 welches mit Spontaneität Anschauungen unter Begriffen p1c_216.019 anerkennt, die Begriffe mit einander vergleicht und p1c_216.020 dann mit einander nothwendig verbindet, das heißt, p1c_216.021 verknüpft. 4) ein bestimmendes Vermögen, das p1c_216.022 die absolut nothwendigen Gründe vernehmen will, warum p1c_216.023 überhaupt begehrt, angeschaut und verstanden wird. Die p1c_216.024 erste Thatsache giebt den Willen im weitsten Sinne des p1c_216.025 Worts. Die zweyte Thatsache giebt das sinnliche Vorstellungsvermögen, p1c_216.026 wozu auch Erinnerung gehört. p1c_216.027 Die dritte den Verstand, als das begreifende, reflectirende

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/274>, abgerufen am 20.05.2024.