p1c_295.001 . Daß die Dichtersprache überhaupt tempora verwechsle, p1c_295.002 ist schon oben erwähnt worden. Allein das futurump1c_295.003 in der göttlichen Poesie, wovon sich auch Spuren p1c_295.004 in dem neuen Testamente finden, ist weissagender Orakelton p1c_295.005 und scheint anzudeuten, daß es vor Gott keine Vergangenheit p1c_295.006 gebe, die nicht auch als Keim der Zukunft anzusehen p1c_295.007 sey. Alle Geschichte wird dadurch symbolisch, und rechtfertigt p1c_295.008 die Annahme von Weissagungen. Jn einem p1c_295.009 andern Sinn nimmt Scaliger das Wort Anticipatio, und p1c_295.010 drückt das damit aus, was wir Anachronismus nennen p1c_295.011 würden. Dies ist aber keine Figur, sondern bey nicht p1c_295.012 scherzhaften Gegenständen ein Fehler wider die logische Vollkommenheit p1c_295.013 des Gedankens. Z. B. wenn Hamlet von p1c_295.014 der Universität Wittenberg spricht. Palinurus zum Aeneas p1c_295.015 sagt portus require Velinos, weil die Stadt Velia erst p1c_295.016 später gebaut ward. Jndessen da hier ein Schatten spricht, p1c_295.017 dem man einen Blick in die Zukunft zuschreiben kann, wie p1c_295.018 dem Anchises in den Elysäischen Gefilden, so ist das eine p1c_295.019 Art prolepsis und in dieser Rücksicht eine Figur. Auch p1c_295.020 muß man immer, ehe man über Anachronismen redet, die p1c_295.021 Person des Dichters von den Gegenständen, die er abhandelt, p1c_295.022 unterscheiden. Italiam fato profugus Lavinaque p1c_295.023 venit littora. Hier spricht Virgil. Freylich Aeneas kam p1c_295.024 nicht an die Lavina littora. Denn damals hießen sie noch p1c_295.025 nicht so. - Hieraus läßt sich vieles, was unpassend scheint, p1c_295.026 entschuldigen. Z. B. die griechische Mythologie beym Milton. p1c_295.027 Nämlich Milton selbst als Dichter einer spätern p1c_295.028 Zeit, der sich lyrisch ins Gedicht mischt, von seiner Blindheit
p1c_295.001 . Daß die Dichtersprache überhaupt tempora verwechsle, p1c_295.002 ist schon oben erwähnt worden. Allein das futurump1c_295.003 in der göttlichen Poesie, wovon sich auch Spuren p1c_295.004 in dem neuen Testamente finden, ist weissagender Orakelton p1c_295.005 und scheint anzudeuten, daß es vor Gott keine Vergangenheit p1c_295.006 gebe, die nicht auch als Keim der Zukunft anzusehen p1c_295.007 sey. Alle Geschichte wird dadurch symbolisch, und rechtfertigt p1c_295.008 die Annahme von Weissagungen. Jn einem p1c_295.009 andern Sinn nimmt Scaliger das Wort Anticipatio, und p1c_295.010 drückt das damit aus, was wir Anachronismus nennen p1c_295.011 würden. Dies ist aber keine Figur, sondern bey nicht p1c_295.012 scherzhaften Gegenständen ein Fehler wider die logische Vollkommenheit p1c_295.013 des Gedankens. Z. B. wenn Hamlet von p1c_295.014 der Universität Wittenberg spricht. Palinurus zum Aeneas p1c_295.015 sagt portus require Velinos, weil die Stadt Velia erst p1c_295.016 später gebaut ward. Jndessen da hier ein Schatten spricht, p1c_295.017 dem man einen Blick in die Zukunft zuschreiben kann, wie p1c_295.018 dem Anchises in den Elysäischen Gefilden, so ist das eine p1c_295.019 Art prolepsis und in dieser Rücksicht eine Figur. Auch p1c_295.020 muß man immer, ehe man über Anachronismen redet, die p1c_295.021 Person des Dichters von den Gegenständen, die er abhandelt, p1c_295.022 unterscheiden. Italiam fato profugus Lavinaque p1c_295.023 venit littora. Hier spricht Virgil. Freylich Aeneas kam p1c_295.024 nicht an die Lavina littora. Denn damals hießen sie noch p1c_295.025 nicht so. ─ Hieraus läßt sich vieles, was unpassend scheint, p1c_295.026 entschuldigen. Z. B. die griechische Mythologie beym Milton. p1c_295.027 Nämlich Milton selbst als Dichter einer spätern p1c_295.028 Zeit, der sich lyrisch ins Gedicht mischt, von seiner Blindheit
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/353>, abgerufen am 23.11.2024.
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