p1c_015.001 Anmerk. 2. Alle übrigen Künste beziehen sich auf p1c_015.002 die Poesie, verweisen auf sie, als die letzte Dollmetscherin p1c_015.003 ihrer Darstellungen, müssen ihr Direktorium anerkennen. p1c_015.004 Der eine Haupttheil der Poesie, der schön Gedanke, muß p1c_015.005 in jedem Künstler vorhanden seyn, wenn ihm auch der p1c_015.006 andere Theil, der schöne Sprachausdruck, fehlt. Alle p1c_015.007 Kunstgenies haben etwas poetisches in sich, und die Künste p1c_015.008 sind nach dem Range zu ordnen, wie sie sich der Dichtkunst p1c_015.009 nähern. Der Mahler und Bildner bedarf mehr poetisches p1c_015.010 Bewußtseyn, als der Musiker, der dagegen das poetische p1c_015.011 Bewußtseyn mehr bey seinem Publikum voraussetzt und p1c_015.012 erregt. Die Dichtkunst ist ausgemacht die höchste und p1c_015.013 reinste Kunst. Sie läßt den schaffenden Geist sich vor p1c_015.014 uns hinbewegen, sie läßt den schönen Gedanken entstehen, p1c_015.015 in vollem Lichte des Bewußtseyns. Sobald sie spricht, p1c_015.016 sollten die andern Künste sie eigentlich nur unterstützen. p1c_015.017 Die Musik z. B. sollte sie niemals, wie in unsern heutigen p1c_015.018 Singstücken, übertäuben wollen, und Boileau's Gedanke, p1c_015.019 der in einem Prolog Poesie und Musik zu gleichen Rechten p1c_015.020 durch die göttliche Harmonie vereinigen läßt, ist mehr ein p1c_015.021 witziger Einfall, um sich herauszuhelfen, als ein gerechtes p1c_015.022 Urtheil. Die Alten waren bey ihrer Vereinigung der Musik p1c_015.023 mit der Dichtkunst der Wahrheit näher. Wenn die Poesie p1c_015.024 auch die höchste Kunst ist, so ist sie deswegen noch nicht p1c_015.025 die wirksamste, in Absicht auf die Stimmung des, welcher p1c_015.026 das Kunstwerk empfindet. Jn dieser Rücksicht ist die p1c_015.027 niedrigste der schönen Künste, die Musik, unter allen einfachen p1c_015.028 die wirksamste. Sie bewegt die Sinnlichkeit am
p1c_015.001 Anmerk. 2. Alle übrigen Künste beziehen sich auf p1c_015.002 die Poesie, verweisen auf sie, als die letzte Dollmetscherin p1c_015.003 ihrer Darstellungen, müssen ihr Direktorium anerkennen. p1c_015.004 Der eine Haupttheil der Poesie, der schön Gedanke, muß p1c_015.005 in jedem Künstler vorhanden seyn, wenn ihm auch der p1c_015.006 andere Theil, der schöne Sprachausdruck, fehlt. Alle p1c_015.007 Kunstgenies haben etwas poetisches in sich, und die Künste p1c_015.008 sind nach dem Range zu ordnen, wie sie sich der Dichtkunst p1c_015.009 nähern. Der Mahler und Bildner bedarf mehr poetisches p1c_015.010 Bewußtseyn, als der Musiker, der dagegen das poetische p1c_015.011 Bewußtseyn mehr bey seinem Publikum voraussetzt und p1c_015.012 erregt. Die Dichtkunst ist ausgemacht die höchste und p1c_015.013 reinste Kunst. Sie läßt den schaffenden Geist sich vor p1c_015.014 uns hinbewegen, sie läßt den schönen Gedanken entstehen, p1c_015.015 in vollem Lichte des Bewußtseyns. Sobald sie spricht, p1c_015.016 sollten die andern Künste sie eigentlich nur unterstützen. p1c_015.017 Die Musik z. B. sollte sie niemals, wie in unsern heutigen p1c_015.018 Singstücken, übertäuben wollen, und Boileau's Gedanke, p1c_015.019 der in einem Prolog Poesie und Musik zu gleichen Rechten p1c_015.020 durch die göttliche Harmonie vereinigen läßt, ist mehr ein p1c_015.021 witziger Einfall, um sich herauszuhelfen, als ein gerechtes p1c_015.022 Urtheil. Die Alten waren bey ihrer Vereinigung der Musik p1c_015.023 mit der Dichtkunst der Wahrheit näher. Wenn die Poesie p1c_015.024 auch die höchste Kunst ist, so ist sie deswegen noch nicht p1c_015.025 die wirksamste, in Absicht auf die Stimmung des, welcher p1c_015.026 das Kunstwerk empfindet. Jn dieser Rücksicht ist die p1c_015.027 niedrigste der schönen Künste, die Musik, unter allen einfachen p1c_015.028 die wirksamste. Sie bewegt die Sinnlichkeit am
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/73>, abgerufen am 26.11.2024.
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