Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_629.001 p2c_629.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0153" n="629"/><lb n="p2c_629.001"/> die <hi rendition="#g">idealisch</hi> nach Ursache und Wirkung verknüpft, ohne <lb n="p2c_629.002"/> alle Episoden vor unsern Augen vorgeht. Gleich anfangs <lb n="p2c_629.003"/> (in der Protasis) muß das Hauptinteresse angegeben werden. <lb n="p2c_629.004"/> Oft helfen sich die Dichter auch durch einen Prologus. Jn <lb n="p2c_629.005"/> den folgenden Akten kann das Jnteresse durch die Hindernisse <lb n="p2c_629.006"/> immer steigen. Jm dritten Akt ist die <hi rendition="#g">Mitte</hi> gleichsam <lb n="p2c_629.007"/> die letzte Höhe erreicht. Von nun an muß die Verwicklung <lb n="p2c_629.008"/> aufhören, und die Auflösung beginnen. Diese Eintheilung <lb n="p2c_629.009"/> ist also zugleich eine richtige proportionirliche Vertheilung <lb n="p2c_629.010"/> der Zeit, welche der Zuhörer für den Genuß des Kunstwerks <lb n="p2c_629.011"/> anwenden will. Er will nicht zu schnell die Auflösung des <lb n="p2c_629.012"/> Ganzen erfahren, er will auch nicht zu lang hingehalten <lb n="p2c_629.013"/> werden. Auch will er nicht etwa im fünften Akte Klagen <lb n="p2c_629.014"/> über den im vierten zu früh verstorbenen Helden hören. Die <lb n="p2c_629.015"/> Handlung selbst soll alle Zeit füllen. Man nehme den <hi rendition="#g">Cid</hi> <lb n="p2c_629.016"/> des Corneille. Jm ersten Akt erfahren wir Rodrigos Liebe, <lb n="p2c_629.017"/> und zugleich zeigt sich ein Haupthinderniß ─ der Streit der <lb n="p2c_629.018"/> Väter. Der erste Akt endet mit dem Kampf des Cid zwischen <lb n="p2c_629.019"/> Ehre und Liebe. Man erwartet, ob er den Vater <lb n="p2c_629.020"/> seiner Geliebten zum Zweykampfe fordern werde. Dies geschieht <lb n="p2c_629.021"/> im <hi rendition="#g">zweyten</hi> Akte. Der Knoten schürzt sich immer <lb n="p2c_629.022"/> mehr. Rodrigo fordert den alten Grafen und tödtet ihn. <lb n="p2c_629.023"/> Die Geliebte verlangt vom König Gerechtigkeit gegen den <lb n="p2c_629.024"/> Mörder ihres Vaters, den sie liebt. Ende des zweyten <lb n="p2c_629.025"/> Akts. Der <hi rendition="#g">dritte</hi> Akt enthält die <hi rendition="#g">Mitte,</hi> die <hi rendition="#g">Höhe</hi> <lb n="p2c_629.026"/> der Handlung. Die beyden Hauptpersonen, die Liebenden <lb n="p2c_629.027"/> treten gegen einander auf, im vollen Gefühl ihrer verwickelten <lb n="p2c_629.028"/> Situation. Rodrigo bringt sein Leben seiner Richterin. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [629/0153]
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die idealisch nach Ursache und Wirkung verknüpft, ohne p2c_629.002
alle Episoden vor unsern Augen vorgeht. Gleich anfangs p2c_629.003
(in der Protasis) muß das Hauptinteresse angegeben werden. p2c_629.004
Oft helfen sich die Dichter auch durch einen Prologus. Jn p2c_629.005
den folgenden Akten kann das Jnteresse durch die Hindernisse p2c_629.006
immer steigen. Jm dritten Akt ist die Mitte gleichsam p2c_629.007
die letzte Höhe erreicht. Von nun an muß die Verwicklung p2c_629.008
aufhören, und die Auflösung beginnen. Diese Eintheilung p2c_629.009
ist also zugleich eine richtige proportionirliche Vertheilung p2c_629.010
der Zeit, welche der Zuhörer für den Genuß des Kunstwerks p2c_629.011
anwenden will. Er will nicht zu schnell die Auflösung des p2c_629.012
Ganzen erfahren, er will auch nicht zu lang hingehalten p2c_629.013
werden. Auch will er nicht etwa im fünften Akte Klagen p2c_629.014
über den im vierten zu früh verstorbenen Helden hören. Die p2c_629.015
Handlung selbst soll alle Zeit füllen. Man nehme den Cid p2c_629.016
des Corneille. Jm ersten Akt erfahren wir Rodrigos Liebe, p2c_629.017
und zugleich zeigt sich ein Haupthinderniß ─ der Streit der p2c_629.018
Väter. Der erste Akt endet mit dem Kampf des Cid zwischen p2c_629.019
Ehre und Liebe. Man erwartet, ob er den Vater p2c_629.020
seiner Geliebten zum Zweykampfe fordern werde. Dies geschieht p2c_629.021
im zweyten Akte. Der Knoten schürzt sich immer p2c_629.022
mehr. Rodrigo fordert den alten Grafen und tödtet ihn. p2c_629.023
Die Geliebte verlangt vom König Gerechtigkeit gegen den p2c_629.024
Mörder ihres Vaters, den sie liebt. Ende des zweyten p2c_629.025
Akts. Der dritte Akt enthält die Mitte, die Höhe p2c_629.026
der Handlung. Die beyden Hauptpersonen, die Liebenden p2c_629.027
treten gegen einander auf, im vollen Gefühl ihrer verwickelten p2c_629.028
Situation. Rodrigo bringt sein Leben seiner Richterin.
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