p2c_645.001 Personen werden nicht Dinge sagen, die ihnen selbst p2c_645.002 bekannt sind. Allein Chor und Prologus sind lyrischep2c_645.003 Personen, sollen eben die Jllusion mehr beschränken und die p2c_645.004 Vorstellung der Handlung in die ideale Welt hinüber ziehn. p2c_645.005 Die Jdeenassoziation in den Dialogen muß lyrischp2c_645.006 seyn, nicht blos durch die Handlung und den Verstand, p2c_645.007 sondern oft durch freye willkührliche Wendungen der Phantasie p2c_645.008 bestimmt. Eine zu gemeine Lebhaftigkeit des Dialogs p2c_645.009 wird von den Griechen vermieden. Shakespear hat oft zu p2c_645.010 wenig Pathos. Dagegen haben die langen Tiraden, worinn p2c_645.011 jede Person ruhig alles abhandelt, was sie zu sagen hat, p2c_645.012 etwas unnatürliches und unterbrechen den Gang der Handlung. p2c_645.013 Hierinn fehlt besonders die französische Tragödie. p2c_645.014 Beym Sophocles finden sich zuweilen lange Reden und Erzählungen. p2c_645.015 Sie sind aber allemal durch die Handlung selbst p2c_645.016 herbeygeführt. Jn den schlechten Trauerspielen sprechen die p2c_645.017 Personen nicht um der Handlung willen, sondern weil der p2c_645.018 Dichter geschwätzig ist. Das Metrum der Tragödie p2c_645.019 wird auch durch die Natur des Chors bestimmt. Die p2c_645.020 neuern haben ein eintöniges gewählt, z. B. die Alexandriner, p2c_645.021 die Jamben. Allein die Griechen lassen Jamben, p2c_645.022 Trochäen, selbst Hexameter und lyrische Sylbenmaaße, p2c_645.023 jedoch nach einer gewissen Continuität abwechseln. Dies p2c_645.024 paßt besser für die herrschende hohe und doch lebendige Empfindung p2c_645.025 des Ganzen. Die Prosa ist nur fürs bürgerliche p2c_645.026 Trauerspiel, beym Shakespear wird sie von Jamben und Reimen p2c_645.027 unterbrochen. Für die Werke seines fessellosen Genius p2c_645.028 ist dies die beste Einkleidung. Allein viele seiner Tragödien
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/169>, abgerufen am 16.02.2025.
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