Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_682.001 p2c_682.024 p2c_682.025 p2c_682.001 p2c_682.024 p2c_682.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0206" n="682"/><lb n="p2c_682.001"/> einem längern Gedichte auch nicht ganz unbefriedigt seyn. <lb n="p2c_682.002"/> Aber alle Episoden und Digressionen müssen doch nicht gewaltsam <lb n="p2c_682.003"/> herbeygezogen, sondern passend seyn, und am Ende <lb n="p2c_682.004"/> dazu beytragen, die Ansicht des Hauptgegenstandes zu erleichtern. <lb n="p2c_682.005"/> Auch muß immer Ein <hi rendition="#g">Hauptgedanke</hi> im <lb n="p2c_682.006"/> Plane durchgeführt werden, auf welchen der Dichter zurückkehrt. <lb n="p2c_682.007"/> So ist z. B. in Thomsons Sommer der Hauptgedanke: <lb n="p2c_682.008"/> Die Beschreibung eines Sommertags. Er beginnt <lb n="p2c_682.009"/> mit Sonnenaufgang. Hier folgt eine lyrische Hymne an die <lb n="p2c_682.010"/> Sonne. Weiterhin kommen noch vor als Episoden die Geschichte <lb n="p2c_682.011"/> von Damon und Musidora ─ eine Lobrede auf <lb n="p2c_682.012"/> Großbrittannien, und das ganze schließt mit dem Preis der <lb n="p2c_682.013"/> Philosophie. Alles dieses ist aber so eng in das Gemälde <lb n="p2c_682.014"/> eines Sommertags verwebt, daß dadurch das an sich todte <lb n="p2c_682.015"/> Gemälde poetisch lebendig wird. Der beschreibende Dichter <lb n="p2c_682.016"/> muß also nicht dem Mahler gleichen, und mit ihm wetteifern <lb n="p2c_682.017"/> wollen. Er muß mehr der empfindende Mensch seyn, <lb n="p2c_682.018"/> der vor einem Gemälde steht, und seine Gedanken, als <lb n="p2c_682.019"/> Nebenideen, die dieses Gemälde in ihm veranlaßt, mittheilt. <lb n="p2c_682.020"/> Durch diese zufälligen Bemerkungen und Ausgüsse von Empfindungen <lb n="p2c_682.021"/> bey jedem Theile des Gegenstandes, lernen wir <lb n="p2c_682.022"/> am Ende ohne allen Zwang das Gemälde selbst kennen und <lb n="p2c_682.023"/> uns vorstellen.</p> <p> <hi rendition="#c"><lb n="p2c_682.024"/> §. 3.</hi> </p> <p><lb n="p2c_682.025"/> Die herrschende <hi rendition="#g">ästhetische</hi> Empfindung in dem <lb n="p2c_682.026"/> <hi rendition="#g">höhern</hi> beschreibenden Gedicht ist das <hi rendition="#g">starke</hi> und </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [682/0206]
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einem längern Gedichte auch nicht ganz unbefriedigt seyn. p2c_682.002
Aber alle Episoden und Digressionen müssen doch nicht gewaltsam p2c_682.003
herbeygezogen, sondern passend seyn, und am Ende p2c_682.004
dazu beytragen, die Ansicht des Hauptgegenstandes zu erleichtern. p2c_682.005
Auch muß immer Ein Hauptgedanke im p2c_682.006
Plane durchgeführt werden, auf welchen der Dichter zurückkehrt. p2c_682.007
So ist z. B. in Thomsons Sommer der Hauptgedanke: p2c_682.008
Die Beschreibung eines Sommertags. Er beginnt p2c_682.009
mit Sonnenaufgang. Hier folgt eine lyrische Hymne an die p2c_682.010
Sonne. Weiterhin kommen noch vor als Episoden die Geschichte p2c_682.011
von Damon und Musidora ─ eine Lobrede auf p2c_682.012
Großbrittannien, und das ganze schließt mit dem Preis der p2c_682.013
Philosophie. Alles dieses ist aber so eng in das Gemälde p2c_682.014
eines Sommertags verwebt, daß dadurch das an sich todte p2c_682.015
Gemälde poetisch lebendig wird. Der beschreibende Dichter p2c_682.016
muß also nicht dem Mahler gleichen, und mit ihm wetteifern p2c_682.017
wollen. Er muß mehr der empfindende Mensch seyn, p2c_682.018
der vor einem Gemälde steht, und seine Gedanken, als p2c_682.019
Nebenideen, die dieses Gemälde in ihm veranlaßt, mittheilt. p2c_682.020
Durch diese zufälligen Bemerkungen und Ausgüsse von Empfindungen p2c_682.021
bey jedem Theile des Gegenstandes, lernen wir p2c_682.022
am Ende ohne allen Zwang das Gemälde selbst kennen und p2c_682.023
uns vorstellen.
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§. 3.
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Die herrschende ästhetische Empfindung in dem p2c_682.026
höhern beschreibenden Gedicht ist das starke und
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