Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_497.001 p2c_497.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0021" n="497"/><lb n="p2c_497.001"/> Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn; <lb n="p2c_497.002"/> <hi rendition="#g">zweytens</hi> in ihrem Abfall von den Gesetzen <lb n="p2c_497.003"/> der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig <lb n="p2c_497.004"/> folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber, <lb n="p2c_497.005"/> zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen <lb n="p2c_497.006"/> kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken, <lb n="p2c_497.007"/> schwankend zwischen dem <hi rendition="#g">niedern</hi> Jnstinkt, dem <lb n="p2c_497.008"/> sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit, <lb n="p2c_497.009"/> die sie ahnet; <hi rendition="#g">drittens</hi> aufgenommen in die <hi rendition="#g">göttliche <lb n="p2c_497.010"/> Natur,</hi> indem sie den höhern Jnstinkt der <hi rendition="#g">Liebe</hi> gefunden, <lb n="p2c_497.011"/> ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, <hi rendition="#g">versöhnt</hi> <lb n="p2c_497.012"/> hat, so würde diese <hi rendition="#g">religiöse</hi> Weltgeschichte die <lb n="p2c_497.013"/> <hi rendition="#g">einzig wahre</hi> Ansicht der Dinge enthalten. Daß der <lb n="p2c_497.014"/> Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung <lb n="p2c_497.015"/> als eine <hi rendition="#g">Sünde</hi> anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft <lb n="p2c_497.016"/> bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist <lb n="p2c_497.017"/> <hi rendition="#aq">a priori</hi> eben so leicht einzusehen, als es leider durch die <lb n="p2c_497.018"/> Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der <hi rendition="#g">instinktmäßigen</hi> <lb n="p2c_497.019"/> Natur ist zugleich <hi rendition="#g">rein=</hi>gesetzmäßig, <lb n="p2c_497.020"/> und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen <lb n="p2c_497.021"/> will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott, <lb n="p2c_497.022"/> und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich <lb n="p2c_497.023"/> auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl <lb n="p2c_497.024"/> zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor <lb n="p2c_497.025"/> dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten. <lb n="p2c_497.026"/> Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als <lb n="p2c_497.027"/> ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem <lb n="p2c_497.028"/> bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [497/0021]
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Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn; p2c_497.002
zweytens in ihrem Abfall von den Gesetzen p2c_497.003
der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig p2c_497.004
folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber, p2c_497.005
zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen p2c_497.006
kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken, p2c_497.007
schwankend zwischen dem niedern Jnstinkt, dem p2c_497.008
sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit, p2c_497.009
die sie ahnet; drittens aufgenommen in die göttliche p2c_497.010
Natur, indem sie den höhern Jnstinkt der Liebe gefunden, p2c_497.011
ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, versöhnt p2c_497.012
hat, so würde diese religiöse Weltgeschichte die p2c_497.013
einzig wahre Ansicht der Dinge enthalten. Daß der p2c_497.014
Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung p2c_497.015
als eine Sünde anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft p2c_497.016
bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist p2c_497.017
a priori eben so leicht einzusehen, als es leider durch die p2c_497.018
Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der instinktmäßigen p2c_497.019
Natur ist zugleich rein=gesetzmäßig, p2c_497.020
und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen p2c_497.021
will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott, p2c_497.022
und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich p2c_497.023
auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl p2c_497.024
zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor p2c_497.025
dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten. p2c_497.026
Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als p2c_497.027
ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem p2c_497.028
bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war
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