Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_500.001 p2c_500.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0024" n="500"/><lb n="p2c_500.001"/> Gott <hi rendition="#g">lieben,</hi> der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt <lb n="p2c_500.002"/> im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit <lb n="p2c_500.003"/> gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm <lb n="p2c_500.004"/> nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch <lb n="p2c_500.005"/> lernte seine eigene vergötterte Natur <hi rendition="#g">lieben,</hi> denn er <lb n="p2c_500.006"/> <hi rendition="#g">glaubte</hi> an ihre mögliche <hi rendition="#g">Reinheit.</hi> Der <hi rendition="#g">Glaube</hi> <lb n="p2c_500.007"/> an <hi rendition="#g">Gott</hi> ward mit dem Glauben an die menschliche Natur <lb n="p2c_500.008"/> eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr <lb n="p2c_500.009"/> <hi rendition="#g">tödten,</hi> d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der <lb n="p2c_500.010"/> <hi rendition="#g">Glaube</hi> hatte sie <hi rendition="#g">lebendig</hi> gemacht. Der <hi rendition="#g">Glaube</hi> <lb n="p2c_500.011"/> hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem <hi rendition="#g">Glauben</hi> kam, <lb n="p2c_500.012"/> blieb <hi rendition="#g">Sünde.</hi> Denn der Verstand kann sich von der Moralität <lb n="p2c_500.013"/> keiner Handlung überzeugen. Aber der <hi rendition="#g">Glaube</hi> <lb n="p2c_500.014"/> kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser <hi rendition="#g">Glaube</hi> <lb n="p2c_500.015"/> ward das Gefühl der göttlichen <hi rendition="#g">Freyheit</hi> selbst, der <lb n="p2c_500.016"/> Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius <lb n="p2c_500.017"/> Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern <lb n="p2c_500.018"/> Tempel, um in dem <hi rendition="#g">Menschen</hi> zu wohnen. Von <lb n="p2c_500.019"/> nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott <lb n="p2c_500.020"/> ein <hi rendition="#g">dreyeiniger</hi> Gott sey, der <hi rendition="#g">Vater</hi> ein Gott der <lb n="p2c_500.021"/> <hi rendition="#g">Liebe,</hi> dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur <lb n="p2c_500.022"/> höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in <lb n="p2c_500.023"/> ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (<foreign xml:lang="grc">λογος</foreign>), <lb n="p2c_500.024"/> der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung <lb n="p2c_500.025"/> da war, die Substanz und Seele der anschaulichen <lb n="p2c_500.026"/> innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen <lb n="p2c_500.027"/> zur Totalität der <hi rendition="#g">Geist</hi> der <hi rendition="#g">Liebe,</hi> der von beyden ausging, <lb n="p2c_500.028"/> alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [500/0024]
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Gott lieben, der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt p2c_500.002
im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit p2c_500.003
gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm p2c_500.004
nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch p2c_500.005
lernte seine eigene vergötterte Natur lieben, denn er p2c_500.006
glaubte an ihre mögliche Reinheit. Der Glaube p2c_500.007
an Gott ward mit dem Glauben an die menschliche Natur p2c_500.008
eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr p2c_500.009
tödten, d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der p2c_500.010
Glaube hatte sie lebendig gemacht. Der Glaube p2c_500.011
hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem Glauben kam, p2c_500.012
blieb Sünde. Denn der Verstand kann sich von der Moralität p2c_500.013
keiner Handlung überzeugen. Aber der Glaube p2c_500.014
kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser Glaube p2c_500.015
ward das Gefühl der göttlichen Freyheit selbst, der p2c_500.016
Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius p2c_500.017
Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern p2c_500.018
Tempel, um in dem Menschen zu wohnen. Von p2c_500.019
nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott p2c_500.020
ein dreyeiniger Gott sey, der Vater ein Gott der p2c_500.021
Liebe, dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur p2c_500.022
höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in p2c_500.023
ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (λογος), p2c_500.024
der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung p2c_500.025
da war, die Substanz und Seele der anschaulichen p2c_500.026
innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen p2c_500.027
zur Totalität der Geist der Liebe, der von beyden ausging, p2c_500.028
alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese
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