Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_735.001 p2c_735.005 p2c_735.001 p2c_735.005 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0259" n="735"/><lb n="p2c_735.001"/> befriedigende Totalität darstellen, 4) sie <lb n="p2c_735.002"/> muß hierdurch ein Gefühl von Harmonie des Subjektiven <lb n="p2c_735.003"/> und Objektiven, der gesetzlichen Form und Materie der <lb n="p2c_735.004"/> Begriffe und Anschauungen in uns erwecken.</p> <p><lb n="p2c_735.005"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Die <hi rendition="#g">Allegorie,</hi> inwiefern sie ihre geistigen <lb n="p2c_735.006"/> Gegenstände individualisirt, ihnen eine sinnliche Lebendigkeit <lb n="p2c_735.007"/> mittheilt, und eine fabelhafte oder ideale Welt <lb n="p2c_735.008"/> schafft, heißt vorzugsweise <hi rendition="#g">Mythus.</hi> Der <hi rendition="#g">Mythus,</hi> inwiefern <lb n="p2c_735.009"/> seine individuellen Züge wieder vollkommene Beziehung <lb n="p2c_735.010"/> auf ein System allgemeiner Geistesideen haben, heißt vorzugsweise <lb n="p2c_735.011"/> <hi rendition="#g">Allegorie.</hi> Sokrates im Plato theilt dem <lb n="p2c_735.012"/> <hi rendition="#g">Philosophen</hi> die <foreign xml:lang="grc">λογους</foreign>, dem Dichter die <foreign xml:lang="grc">μυθους</foreign> zu. <lb n="p2c_735.013"/> Nach diesem Urtheil wäre alle <hi rendition="#g">Poesie</hi> in ihrer höchsten <lb n="p2c_735.014"/> Region <hi rendition="#g">allegorisch.</hi> Denn <hi rendition="#g">Mythus</hi> im platonischen <lb n="p2c_735.015"/> Sinne ist wohl so ziemlich mit <hi rendition="#g">Allegorie</hi> ein und dasselbe. <lb n="p2c_735.016"/> Allerdings ist auch die <hi rendition="#g">allegorische</hi> und mythische Poesie <lb n="p2c_735.017"/> die höchste Dichtkunst, so wie die <hi rendition="#g">Vernunft,</hi> auf <lb n="p2c_735.018"/> welche sie sich bezieht, die höchste Seelenkraft ist. Uebrigens <lb n="p2c_735.019"/> bleibt immer noch einiger Unterschied zwischen <hi rendition="#g">Mythus</hi> <lb n="p2c_735.020"/> und <hi rendition="#g">Allegorie</hi> nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche. <lb n="p2c_735.021"/> <hi rendition="#g">Mythus</hi> ist individualisirte Jdealität, welche <lb n="p2c_735.022"/> die Form der Realität angenommen hat. Ueber die <hi rendition="#g">reellen</hi> <lb n="p2c_735.023"/> Züge vergißt der Mensch oft die allgemeinen Beziehungen. <lb n="p2c_735.024"/> Dies war bey den Alten der Fall. Daher war ihre <lb n="p2c_735.025"/> <hi rendition="#g">Mythologie</hi> mehr fabelhafte Geschichte als Allegorie. <lb n="p2c_735.026"/> Bey der <hi rendition="#g">Allegorie</hi> wird immer das <hi rendition="#g">Bewußtseyn</hi> <lb n="p2c_735.027"/> vorausgesetzt, daß der individuelle Gegenstand als Erscheinung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [735/0259]
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befriedigende Totalität darstellen, 4) sie p2c_735.002
muß hierdurch ein Gefühl von Harmonie des Subjektiven p2c_735.003
und Objektiven, der gesetzlichen Form und Materie der p2c_735.004
Begriffe und Anschauungen in uns erwecken.
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Anmerk. Die Allegorie, inwiefern sie ihre geistigen p2c_735.006
Gegenstände individualisirt, ihnen eine sinnliche Lebendigkeit p2c_735.007
mittheilt, und eine fabelhafte oder ideale Welt p2c_735.008
schafft, heißt vorzugsweise Mythus. Der Mythus, inwiefern p2c_735.009
seine individuellen Züge wieder vollkommene Beziehung p2c_735.010
auf ein System allgemeiner Geistesideen haben, heißt vorzugsweise p2c_735.011
Allegorie. Sokrates im Plato theilt dem p2c_735.012
Philosophen die λογους, dem Dichter die μυθους zu. p2c_735.013
Nach diesem Urtheil wäre alle Poesie in ihrer höchsten p2c_735.014
Region allegorisch. Denn Mythus im platonischen p2c_735.015
Sinne ist wohl so ziemlich mit Allegorie ein und dasselbe. p2c_735.016
Allerdings ist auch die allegorische und mythische Poesie p2c_735.017
die höchste Dichtkunst, so wie die Vernunft, auf p2c_735.018
welche sie sich bezieht, die höchste Seelenkraft ist. Uebrigens p2c_735.019
bleibt immer noch einiger Unterschied zwischen Mythus p2c_735.020
und Allegorie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche. p2c_735.021
Mythus ist individualisirte Jdealität, welche p2c_735.022
die Form der Realität angenommen hat. Ueber die reellen p2c_735.023
Züge vergißt der Mensch oft die allgemeinen Beziehungen. p2c_735.024
Dies war bey den Alten der Fall. Daher war ihre p2c_735.025
Mythologie mehr fabelhafte Geschichte als Allegorie. p2c_735.026
Bey der Allegorie wird immer das Bewußtseyn p2c_735.027
vorausgesetzt, daß der individuelle Gegenstand als Erscheinung
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