Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_760.001 p2c_760.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0284" n="760"/><lb n="p2c_760.001"/> seyn will, zur Fabel rechnen, weil alle Fabeldichter, Lafontaine, <lb n="p2c_760.002"/> Gellert, Hagedorn sie mit den eigentlichen Fabeln <lb n="p2c_760.003"/> verbunden haben. Will man aber streng theoretisch verfahren, <lb n="p2c_760.004"/> so muß man die moralischen Parabeln und Erzählungen <lb n="p2c_760.005"/> von der <hi rendition="#g">Fabel</hi> unterscheiden und zu den <hi rendition="#g">eigentlichen <lb n="p2c_760.006"/> allegorischen</hi> Gedichten niederer Gattung rechnen. <lb n="p2c_760.007"/> Denn jedes <hi rendition="#g">Beyspiel</hi> ist im Grunde <hi rendition="#g">Versinnlichung</hi> <lb n="p2c_760.008"/> eines allgemeinen Erfahrungssatzes. Jedes individuelle ist <lb n="p2c_760.009"/> <hi rendition="#g">Allegorie</hi> von etwas Abstrakten. Ueberdem enthalten <lb n="p2c_760.010"/> die eigentlichen <hi rendition="#g">Parabeln</hi> mehr wie das <hi rendition="#g">Beyspiel.</hi> <lb n="p2c_760.011"/> Das <hi rendition="#g">Beyspiel</hi> ist ein Fall <hi rendition="#aq">in concreto</hi>. Die <hi rendition="#g">Parabel</hi> <lb n="p2c_760.012"/> ist ein <hi rendition="#g">ähnlicher</hi> Fall als Allegorie von einem andern <lb n="p2c_760.013"/> ähnlichen Falle, z. B. Lessings Parabel von dem Pallast <lb n="p2c_760.014"/> und den Grundrissen. Daß indeß der <hi rendition="#g">Mensch</hi> in einer <lb n="p2c_760.015"/> allegorischen Erzählung vorkommt, wo die nicht moralische <lb n="p2c_760.016"/> Welt zur Grundlage des Ganzen dient, verwandelt die Fabel <lb n="p2c_760.017"/> noch nicht in Parabel. Denn der <hi rendition="#g">Mensch</hi> wird alsdann <lb n="p2c_760.018"/> auch <hi rendition="#aq">in abstracto</hi> als <hi rendition="#g">Thier</hi> betrachtet. Z. B. in <lb n="p2c_760.019"/> der Fabel, die Aristoteles anführt, vom Hirsch und Pferd. <lb n="p2c_760.020"/> Eben dies gilt von Satyrn, Faunen u. s. w. ─ So viel <lb n="p2c_760.021"/> von dem <hi rendition="#g">objektiven</hi> Jnhalt der Fabel. Was insbesondere <lb n="p2c_760.022"/> den <hi rendition="#g">Plan</hi> betrifft, so wird dieser durch die Natur der <lb n="p2c_760.023"/> Erzählung bestimmt. Denn gewöhnlich läßt der Fabeldichter <lb n="p2c_760.024"/> die nichtmoralischen Wesen <hi rendition="#g">handeln,</hi> weil eine <lb n="p2c_760.025"/> <hi rendition="#g">praktische</hi> Wahrheit anschaulich gemacht werden soll. <lb n="p2c_760.026"/> Jndeß gehn viele Theoretiker zu weit, wenn sie in der <hi rendition="#g">Fabel</hi> <lb n="p2c_760.027"/> nothwendig eine <hi rendition="#g">wirkliche Handlung</hi> suchen. <lb n="p2c_760.028"/> Oft ist sie <hi rendition="#g">Erzählung</hi> von einer Begebenheit, die nicht </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [760/0284]
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seyn will, zur Fabel rechnen, weil alle Fabeldichter, Lafontaine, p2c_760.002
Gellert, Hagedorn sie mit den eigentlichen Fabeln p2c_760.003
verbunden haben. Will man aber streng theoretisch verfahren, p2c_760.004
so muß man die moralischen Parabeln und Erzählungen p2c_760.005
von der Fabel unterscheiden und zu den eigentlichen p2c_760.006
allegorischen Gedichten niederer Gattung rechnen. p2c_760.007
Denn jedes Beyspiel ist im Grunde Versinnlichung p2c_760.008
eines allgemeinen Erfahrungssatzes. Jedes individuelle ist p2c_760.009
Allegorie von etwas Abstrakten. Ueberdem enthalten p2c_760.010
die eigentlichen Parabeln mehr wie das Beyspiel. p2c_760.011
Das Beyspiel ist ein Fall in concreto. Die Parabel p2c_760.012
ist ein ähnlicher Fall als Allegorie von einem andern p2c_760.013
ähnlichen Falle, z. B. Lessings Parabel von dem Pallast p2c_760.014
und den Grundrissen. Daß indeß der Mensch in einer p2c_760.015
allegorischen Erzählung vorkommt, wo die nicht moralische p2c_760.016
Welt zur Grundlage des Ganzen dient, verwandelt die Fabel p2c_760.017
noch nicht in Parabel. Denn der Mensch wird alsdann p2c_760.018
auch in abstracto als Thier betrachtet. Z. B. in p2c_760.019
der Fabel, die Aristoteles anführt, vom Hirsch und Pferd. p2c_760.020
Eben dies gilt von Satyrn, Faunen u. s. w. ─ So viel p2c_760.021
von dem objektiven Jnhalt der Fabel. Was insbesondere p2c_760.022
den Plan betrifft, so wird dieser durch die Natur der p2c_760.023
Erzählung bestimmt. Denn gewöhnlich läßt der Fabeldichter p2c_760.024
die nichtmoralischen Wesen handeln, weil eine p2c_760.025
praktische Wahrheit anschaulich gemacht werden soll. p2c_760.026
Jndeß gehn viele Theoretiker zu weit, wenn sie in der Fabel p2c_760.027
nothwendig eine wirkliche Handlung suchen. p2c_760.028
Oft ist sie Erzählung von einer Begebenheit, die nicht
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