Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_517.001 p2c_517.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0041" n="517"/><lb n="p2c_517.001"/> her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet <lb n="p2c_517.002"/> laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus <lb n="p2c_517.003"/> läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in <lb n="p2c_517.004"/> diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen <lb n="p2c_517.005"/> Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und <lb n="p2c_517.006"/> seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um <lb n="p2c_517.007"/> sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser <lb n="p2c_517.008"/> zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes <lb n="p2c_517.009"/> im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie <lb n="p2c_517.010"/> ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen <lb n="p2c_517.011"/> Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie <lb n="p2c_517.012"/> dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und <lb n="p2c_517.013"/> heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und <lb n="p2c_517.014"/> klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode. <lb n="p2c_517.015"/> Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine <lb n="p2c_517.016"/> Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische <lb n="p2c_517.017"/> Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde <lb n="p2c_517.018"/> krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß <lb n="p2c_517.019"/> beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von <lb n="p2c_517.020"/> keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine <lb n="p2c_517.021"/> Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die <lb n="p2c_517.022"/> bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten. <lb n="p2c_517.023"/> Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und <lb n="p2c_517.024"/> der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus <lb n="p2c_517.025"/> hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben <lb n="p2c_517.026"/> ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der <lb n="p2c_517.027"/> schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen <lb n="p2c_517.028"/> egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [517/0041]
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her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet p2c_517.002
laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus p2c_517.003
läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in p2c_517.004
diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen p2c_517.005
Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und p2c_517.006
seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um p2c_517.007
sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser p2c_517.008
zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes p2c_517.009
im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie p2c_517.010
ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen p2c_517.011
Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie p2c_517.012
dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und p2c_517.013
heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und p2c_517.014
klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode. p2c_517.015
Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine p2c_517.016
Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische p2c_517.017
Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde p2c_517.018
krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß p2c_517.019
beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von p2c_517.020
keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine p2c_517.021
Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die p2c_517.022
bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten. p2c_517.023
Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und p2c_517.024
der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus p2c_517.025
hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben p2c_517.026
ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der p2c_517.027
schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen p2c_517.028
egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste.
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