Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_546.001 p2c_546.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070" n="546"/><lb n="p2c_546.001"/> Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen <lb n="p2c_546.002"/> Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat <lb n="p2c_546.003"/> die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar <lb n="p2c_546.004"/> keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. <hi rendition="#aq">Horat. Lib. II. 3. <lb n="p2c_546.005"/> moriture Delli, Posthume Posthume</hi> ─ Es müßte <lb n="p2c_546.006"/> denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade <lb n="p2c_546.007"/> diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man <lb n="p2c_546.008"/> doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte <lb n="p2c_546.009"/> kennen, z. B. <hi rendition="#aq">Albi, ne doleas. <hi rendition="#g">Hor</hi></hi>. Hieraus <lb n="p2c_546.010"/> sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden <lb n="p2c_546.011"/> an Gleim. ─ Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen <lb n="p2c_546.012"/> ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. <hi rendition="#aq">Horat. I. 20. <lb n="p2c_546.013"/> Vile potabis etc</hi>. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest <lb n="p2c_546.014"/> und ich schlummre sicher ─ <hi rendition="#aq">c</hi>) Zuweilen giebt auch <lb n="p2c_546.015"/> eine besondere <hi rendition="#g">Modifikation des Schönen</hi> der Ode <lb n="p2c_546.016"/> einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar <lb n="p2c_546.017"/> zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch <lb n="p2c_546.018"/> eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert. <lb n="p2c_546.019"/> Es giebt daher <hi rendition="#g">satyrische</hi> Oden. Archilochus soll dazu <lb n="p2c_546.020"/> den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen <lb n="p2c_546.021"/> gemacht haben mag, zeigt seine <hi rendition="#aq">Palinodia L. I. <lb n="p2c_546.022"/> od</hi>. 16. und sein Buch <hi rendition="#aq">Epoden</hi>. Man hat dergleichen <lb n="p2c_546.023"/> satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit <lb n="p2c_546.024"/> einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion <lb n="p2c_546.025"/> <hi rendition="#aq">Epoden</hi> genannt, welche Benennung auch von deutschen <lb n="p2c_546.026"/> Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in <lb n="p2c_546.027"/> dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden. <lb n="p2c_546.028"/> Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [546/0070]
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Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen p2c_546.002
Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat p2c_546.003
die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar p2c_546.004
keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. Horat. Lib. II. 3. p2c_546.005
moriture Delli, Posthume Posthume ─ Es müßte p2c_546.006
denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade p2c_546.007
diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man p2c_546.008
doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte p2c_546.009
kennen, z. B. Albi, ne doleas. Hor. Hieraus p2c_546.010
sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden p2c_546.011
an Gleim. ─ Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen p2c_546.012
ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. Horat. I. 20. p2c_546.013
Vile potabis etc. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest p2c_546.014
und ich schlummre sicher ─ c) Zuweilen giebt auch p2c_546.015
eine besondere Modifikation des Schönen der Ode p2c_546.016
einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar p2c_546.017
zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch p2c_546.018
eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert. p2c_546.019
Es giebt daher satyrische Oden. Archilochus soll dazu p2c_546.020
den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen p2c_546.021
gemacht haben mag, zeigt seine Palinodia L. I. p2c_546.022
od. 16. und sein Buch Epoden. Man hat dergleichen p2c_546.023
satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit p2c_546.024
einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion p2c_546.025
Epoden genannt, welche Benennung auch von deutschen p2c_546.026
Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in p2c_546.027
dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden. p2c_546.028
Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B.
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