Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

flac[k]ernd in "erotischen Fragen," in der "Leidenschaft"
satt und unbefriedigt zugleich; müde, todtmüde --
und begeisterungsfähig wie ein Jüngling, der soeben
ma[n]nbar geworden ist; angefressen von dem Skepticis-
mu[s] seiner Zeit; unklar und wechselnd in seinen Be-
stre[b]ungen; radical in seinen Anschauungen; und wieder
übe[r] Alles bornirt, einseitig, engherzig, intolerant,
beso[n]ders hinsichtlich mancher gesellschaftlichen Formen
und Gewohnheiten; -- der Volksseele mitunter in
Alle[m] so nahe und dem dargestellten Volke selber
zum[e]ist in Allem so fern, so fremd; auf sich neu-
gier[i]g, über sich erstaunt und seiner selbst überdrüssig;
nich[t] wissend: Warum das Alles? Wozu? Wohin
mit dem Allen? Wo hinaus? Oder wo hinein? --
Oft [d]eklamatorisch, pathetisch, agitatorisch; oft ironisch,
cyni[s]ch, gezwungen geistreich, selten "normal," selten
schli[c]ht, einfach, gewöhnlich, mittelmäßig, mittelhoch
oder mitteltief --: also war es im Allgemeinen be-
stellt um Adam Mensch -- um diesen "Menschen-
sohn[,]" der noch immer in seiner Sophaecke sitzt, das
letzte Stümpfchen seiner Cigarette an die Lippen
gekle[b]t hält -- und an sich .. und manchmal auch an
Hed[w]ig Irmer denkt, an diese Dame, die ihm vor-
hin [e]igentlich einen rechtschaffenen Korb gegeben hat,
-- d[i]e ihm auch skandalös gleichgültig ist -- und
in d[i]e er sich doch eigentlich so etwas wie .. wie
"verl[i]eben" möchte, bloß um Gelegenheit .. bloß um
eine[n] inneren Grund zu besitzen, ihr dann und wann
noch ein Wenig zu schaffen zu machen. --

flac[k]ernd in „erotiſchen Fragen,“ in der „Leidenſchaft“
ſatt und unbefriedigt zugleich; müde, todtmüde —
und begeiſterungsfähig wie ein Jüngling, der ſoeben
ma[n]nbar geworden iſt; angefreſſen von dem Skepticis-
mu[s] ſeiner Zeit; unklar und wechſelnd in ſeinen Be-
ſtre[b]ungen; radical in ſeinen Anſchauungen; und wieder
übe[r] Alles bornirt, einſeitig, engherzig, intolerant,
beſo[n]ders hinſichtlich mancher geſellſchaftlichen Formen
und Gewohnheiten; — der Volksſeele mitunter in
Alle[m] ſo nahe und dem dargeſtellten Volke ſelber
zum[e]iſt in Allem ſo fern, ſo fremd; auf ſich neu-
gier[i]g, über ſich erſtaunt und ſeiner ſelbſt überdrüſſig;
nich[t] wiſſend: Warum das Alles? Wozu? Wohin
mit dem Allen? Wo hinaus? Oder wo hinein? —
Oft [d]eklamatoriſch, pathetiſch, agitatoriſch; oft ironiſch,
cyni[ſ]ch, gezwungen geiſtreich, ſelten „normal,“ ſelten
ſchli[c]ht, einfach, gewöhnlich, mittelmäßig, mittelhoch
oder mitteltief —: alſo war es im Allgemeinen be-
ſtellt um Adam Menſch — um dieſen „Menſchen-
ſohn[,]“ der noch immer in ſeiner Sophaecke ſitzt, das
letzte Stümpfchen ſeiner Cigarette an die Lippen
gekle[b]t hält — und an ſich .. und manchmal auch an
Hed[w]ig Irmer denkt, an dieſe Dame, die ihm vor-
hin [e]igentlich einen rechtſchaffenen Korb gegeben hat,
— d[i]e ihm auch ſkandalös gleichgültig iſt — und
in d[i]e er ſich doch eigentlich ſo etwas wie .. wie
„verl[i]eben“ möchte, bloß um Gelegenheit .. bloß um
eine[n] inneren Grund zu beſitzen, ihr dann und wann
noch ein Wenig zu ſchaffen zu machen. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="21"/>
flac<supplied>k</supplied>ernd in &#x201E;eroti&#x017F;chen Fragen,&#x201C; in der &#x201E;Leiden&#x017F;chaft&#x201C;<lb/>
&#x017F;att und unbefriedigt zugleich; müde, todtmüde &#x2014;<lb/>
und begei&#x017F;terungsfähig wie ein Jüngling, der &#x017F;oeben<lb/>
ma<supplied>n</supplied>nbar geworden i&#x017F;t; angefre&#x017F;&#x017F;en von dem Skepticis-<lb/>
mu<supplied>s</supplied> &#x017F;einer Zeit; unklar und wech&#x017F;elnd in &#x017F;einen Be-<lb/>
&#x017F;tre<supplied>b</supplied>ungen; radical in &#x017F;einen An&#x017F;chauungen; und wieder<lb/>
übe<supplied>r</supplied> Alles bornirt, ein&#x017F;eitig, engherzig, intolerant,<lb/>
be&#x017F;o<supplied>n</supplied>ders hin&#x017F;ichtlich mancher ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Formen<lb/>
und Gewohnheiten; &#x2014; der Volks&#x017F;eele mitunter in<lb/>
Alle<supplied>m</supplied> &#x017F;o nahe und dem darge&#x017F;tellten Volke &#x017F;elber<lb/>
zum<supplied>e</supplied>i&#x017F;t in Allem &#x017F;o fern, &#x017F;o fremd; auf &#x017F;ich neu-<lb/>
gier<supplied>i</supplied>g, über &#x017F;ich er&#x017F;taunt und &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t überdrü&#x017F;&#x017F;ig;<lb/>
nich<supplied>t</supplied> wi&#x017F;&#x017F;end: Warum das Alles? Wozu? Wohin<lb/>
mit dem Allen? Wo hinaus? Oder wo hinein? &#x2014;<lb/>
Oft <supplied>d</supplied>eklamatori&#x017F;ch, patheti&#x017F;ch, agitatori&#x017F;ch; oft ironi&#x017F;ch,<lb/>
cyni<supplied>&#x017F;</supplied>ch, gezwungen gei&#x017F;treich, &#x017F;elten &#x201E;normal,&#x201C; &#x017F;elten<lb/>
&#x017F;chli<supplied>c</supplied>ht, einfach, gewöhnlich, mittelmäßig, mittelhoch<lb/>
oder mitteltief &#x2014;: al&#x017F;o war es im Allgemeinen be-<lb/>
&#x017F;tellt um Adam Men&#x017F;ch &#x2014; um die&#x017F;en &#x201E;Men&#x017F;chen-<lb/>
&#x017F;ohn<supplied>,</supplied>&#x201C; der noch immer in &#x017F;einer Sophaecke &#x017F;itzt, das<lb/>
letzte Stümpfchen &#x017F;einer Cigarette an die Lippen<lb/>
gekle<supplied>b</supplied>t hält &#x2014; und an &#x017F;ich .. und manchmal auch an<lb/>
Hed<supplied>w</supplied>ig Irmer denkt, an die&#x017F;e Dame, die ihm vor-<lb/>
hin <supplied>e</supplied>igentlich einen recht&#x017F;chaffenen Korb gegeben hat,<lb/>
&#x2014; d<supplied>i</supplied>e ihm auch &#x017F;kandalös gleichgültig i&#x017F;t &#x2014; und<lb/>
in d<supplied>i</supplied>e er &#x017F;ich doch eigentlich &#x017F;o etwas wie .. wie<lb/>
&#x201E;verl<supplied>i</supplied>eben&#x201C; möchte, bloß um Gelegenheit .. bloß um<lb/>
eine<supplied>n</supplied> inneren Grund zu be&#x017F;itzen, ihr dann und wann<lb/>
noch ein Wenig zu &#x017F;chaffen zu machen. &#x2014;</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0029] flackernd in „erotiſchen Fragen,“ in der „Leidenſchaft“ ſatt und unbefriedigt zugleich; müde, todtmüde — und begeiſterungsfähig wie ein Jüngling, der ſoeben mannbar geworden iſt; angefreſſen von dem Skepticis- mus ſeiner Zeit; unklar und wechſelnd in ſeinen Be- ſtrebungen; radical in ſeinen Anſchauungen; und wieder über Alles bornirt, einſeitig, engherzig, intolerant, beſonders hinſichtlich mancher geſellſchaftlichen Formen und Gewohnheiten; — der Volksſeele mitunter in Allem ſo nahe und dem dargeſtellten Volke ſelber zumeiſt in Allem ſo fern, ſo fremd; auf ſich neu- gierig, über ſich erſtaunt und ſeiner ſelbſt überdrüſſig; nicht wiſſend: Warum das Alles? Wozu? Wohin mit dem Allen? Wo hinaus? Oder wo hinein? — Oft deklamatoriſch, pathetiſch, agitatoriſch; oft ironiſch, cyniſch, gezwungen geiſtreich, ſelten „normal,“ ſelten ſchlicht, einfach, gewöhnlich, mittelmäßig, mittelhoch oder mitteltief —: alſo war es im Allgemeinen be- ſtellt um Adam Menſch — um dieſen „Menſchen- ſohn,“ der noch immer in ſeiner Sophaecke ſitzt, das letzte Stümpfchen ſeiner Cigarette an die Lippen geklebt hält — und an ſich .. und manchmal auch an Hedwig Irmer denkt, an dieſe Dame, die ihm vor- hin eigentlich einen rechtſchaffenen Korb gegeben hat, — die ihm auch ſkandalös gleichgültig iſt — und in die er ſich doch eigentlich ſo etwas wie .. wie „verlieben“ möchte, bloß um Gelegenheit .. bloß um einen inneren Grund zu beſitzen, ihr dann und wann noch ein Wenig zu ſchaffen zu machen. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/29
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/29>, abgerufen am 21.11.2024.