einer blakenden Küchenlampe mit angebrochenem Cylin- der nothdürftig erhellten Corridor Hut und Mantel abgelegt, war eine Sekunde vor einem kleinen, schmuck- losen, halb erblindeten Wandspiegel stehen geblieben, hatte flüchtig an ihrem Haar geordnet .. und war so- dann durch die nächste Thür in ein Zimmer eingetreten, welches sich als Wohnzimmer zugleich und Arbeits- gemach ihres Vaters benahm. Der Raum, mittelgroß, einigermaßen behaglich eingerichtet, augenblicklich von einer milden Wärme durchfüllt. Rechts hinten in der Ecke, neben dem jetzt rouleaux- und teppichver- hangenen Fenster, stand der Schreibtisch ihres Vaters, ein ansehnliches, massiveichenes Gestell, nach Ein- richtung und Ausstattung mit dem ganzen Wirrwarr behaftet, den eine starke geistige Thätigkeit, welche für die kleinliche Krämerordnung der Dinge keine Zeit hat, herausfordert und bestehen läßt. Rechts vom Schreibtisch drückte sich ein hohes Bücherregal an die Wand, in dessen Fächern es auch recht bunt aussah. Fräulein Hedwig besaß entschieden wenig Sinn für häusliche Ordnung.
In seinem Sessel vor dem Schreibtisch sitzt Doctor Leonhard Irmer. Er hat sich zurückgelehnt, der Kopf hängt ein Wenig der Brust zu, die Arme lie- gen auf den Lehnen des Sessels. Die Augen zu- meist halb geschlossen, blinzelnd, öfter ganz über- lidert. Das gedämpfte Licht der mit einem grünen Schirm bedeckten Lampe fällt auf sein Gesicht. Dieses Gesicht hat einen großen, fesselnden Zug, einen außer- gewöhnlichen Stil. Leidend, sehr leidend erscheint
einer blakenden Küchenlampe mit angebrochenem Cylin- der nothdürftig erhellten Corridor Hut und Mantel abgelegt, war eine Sekunde vor einem kleinen, ſchmuck- loſen, halb erblindeten Wandſpiegel ſtehen geblieben, hatte flüchtig an ihrem Haar geordnet .. und war ſo- dann durch die nächſte Thür in ein Zimmer eingetreten, welches ſich als Wohnzimmer zugleich und Arbeits- gemach ihres Vaters benahm. Der Raum, mittelgroß, einigermaßen behaglich eingerichtet, augenblicklich von einer milden Wärme durchfüllt. Rechts hinten in der Ecke, neben dem jetzt rouleaux- und teppichver- hangenen Fenſter, ſtand der Schreibtiſch ihres Vaters, ein anſehnliches, maſſiveichenes Geſtell, nach Ein- richtung und Ausſtattung mit dem ganzen Wirrwarr behaftet, den eine ſtarke geiſtige Thätigkeit, welche für die kleinliche Krämerordnung der Dinge keine Zeit hat, herausfordert und beſtehen läßt. Rechts vom Schreibtiſch drückte ſich ein hohes Bücherregal an die Wand, in deſſen Fächern es auch recht bunt ausſah. Fräulein Hedwig beſaß entſchieden wenig Sinn für häusliche Ordnung.
In ſeinem Seſſel vor dem Schreibtiſch ſitzt Doctor Leonhard Irmer. Er hat ſich zurückgelehnt, der Kopf hängt ein Wenig der Bruſt zu, die Arme lie- gen auf den Lehnen des Seſſels. Die Augen zu- meiſt halb geſchloſſen, blinzelnd, öfter ganz über- lidert. Das gedämpfte Licht der mit einem grünen Schirm bedeckten Lampe fällt auf ſein Geſicht. Dieſes Geſicht hat einen großen, feſſelnden Zug, einen außer- gewöhnlichen Stil. Leidend, ſehr leidend erſcheint
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einer blakenden Küchenlampe mit angebrochenem Cylin-
der nothdürftig erhellten Corridor Hut und Mantel
abgelegt, war eine Sekunde vor einem kleinen, ſchmuck-
loſen, halb erblindeten Wandſpiegel ſtehen geblieben,
hatte flüchtig an ihrem Haar geordnet .. und war ſo-
dann durch die nächſte Thür in ein Zimmer eingetreten,
welches ſich als Wohnzimmer zugleich und Arbeits-
gemach ihres Vaters benahm. Der Raum, mittelgroß,
einigermaßen behaglich eingerichtet, augenblicklich von
einer milden Wärme durchfüllt. Rechts hinten in
der Ecke, neben dem jetzt rouleaux- und teppichver-
hangenen Fenſter, ſtand der Schreibtiſch ihres Vaters,
ein anſehnliches, maſſiveichenes Geſtell, nach Ein-
richtung und Ausſtattung mit dem ganzen Wirrwarr
behaftet, den eine ſtarke geiſtige Thätigkeit, welche
für die kleinliche Krämerordnung der Dinge keine
Zeit hat, herausfordert und beſtehen läßt. Rechts
vom Schreibtiſch drückte ſich ein hohes Bücherregal
an die Wand, in deſſen Fächern es auch recht bunt
ausſah. Fräulein Hedwig beſaß entſchieden wenig
Sinn für häusliche Ordnung.
In ſeinem Seſſel vor dem Schreibtiſch ſitzt Doctor
Leonhard Irmer. Er hat ſich zurückgelehnt, der
Kopf hängt ein Wenig der Bruſt zu, die Arme lie-
gen auf den Lehnen des Seſſels. Die Augen zu-
meiſt halb geſchloſſen, blinzelnd, öfter ganz über-
lidert. Das gedämpfte Licht der mit einem grünen
Schirm bedeckten Lampe fällt auf ſein Geſicht. Dieſes
Geſicht hat einen großen, feſſelnden Zug, einen außer-
gewöhnlichen Stil. Leidend, ſehr leidend erſcheint
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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