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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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einen Reiz besitzen, da es doch Millionen Andere
auch reizt -- in irgend einem Stärkegrade reizt --?
Hm! Das Theater! Die Musik! Geht nicht durch
die Träume ihrer Nächte manchmal ein Schatten,
der ihr in die Seele prickelt? Ist die Luft nur
voll von Stecknadeln? Da sitzt ein Stück com-
primirten Lebens vor ihr -- ihr Vater. Ein
Menschenalter liegt hinter ihm. Von allen Seiten
ist das Leben zu ihm herangekommen. Der
nun Einsame besaß einmal tausend Beziehungen.
So viel verrauscht, so viel vergilbt, vergessen,
verschleppt und verloren! Freut sie sich nicht
doch darüber, wenn ihr manchmal unter ihres
Vaters Anleitung und Führung ein Gedanke tiefer
Eigenthum wird, eine Erkenntniß ihr in schärferen
Linien aufgeht? So sonderbar ist ihr dann und
wann. Etwas in klarer Grenzbestimmung erfassen,
macht ihr zeitweilig doch eine Art Spaß, so etwas
wie Vergnügen. Sie weiß: darüber vergißt man
sich am Besten und Leichtesten. Aber sie weiß auch:
Stimmungen sind Blasen, die aufsteigen, sich eine
Sekunde lang irisfarben brüsten und zerplatzen. Un-
hemmbar rollt der Grundstrom weiter. Zu der und
der Grundcombination haben sich die Moleküle ihres
Wesens zusammengeschlossen. Sie bleibt, diese Com-
bination; sie bestimmt ihr Leben. Von ihr wird
sie in Gedanken, Wort und That geleitet. Eine "Be-
kehrung", eine entscheidende Beeinflussung ist nicht mehr
möglich. Das Schicksal vollzieht sich. Hedwig weiß,
daß ihr einmal eine überschäumende Leidenschaft aus

einen Reiz beſitzen, da es doch Millionen Andere
auch reizt — in irgend einem Stärkegrade reizt —?
Hm! Das Theater! Die Muſik! Geht nicht durch
die Träume ihrer Nächte manchmal ein Schatten,
der ihr in die Seele prickelt? Iſt die Luft nur
voll von Stecknadeln? Da ſitzt ein Stück com-
primirten Lebens vor ihr — ihr Vater. Ein
Menſchenalter liegt hinter ihm. Von allen Seiten
iſt das Leben zu ihm herangekommen. Der
nun Einſame beſaß einmal tauſend Beziehungen.
So viel verrauſcht, ſo viel vergilbt, vergeſſen,
verſchleppt und verloren! Freut ſie ſich nicht
doch darüber, wenn ihr manchmal unter ihres
Vaters Anleitung und Führung ein Gedanke tiefer
Eigenthum wird, eine Erkenntniß ihr in ſchärferen
Linien aufgeht? So ſonderbar iſt ihr dann und
wann. Etwas in klarer Grenzbeſtimmung erfaſſen,
macht ihr zeitweilig doch eine Art Spaß, ſo etwas
wie Vergnügen. Sie weiß: darüber vergißt man
ſich am Beſten und Leichteſten. Aber ſie weiß auch:
Stimmungen ſind Blaſen, die aufſteigen, ſich eine
Sekunde lang irisfarben brüſten und zerplatzen. Un-
hemmbar rollt der Grundſtrom weiter. Zu der und
der Grundcombination haben ſich die Moleküle ihres
Weſens zuſammengeſchloſſen. Sie bleibt, dieſe Com-
bination; ſie beſtimmt ihr Leben. Von ihr wird
ſie in Gedanken, Wort und That geleitet. Eine „Be-
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[28/0036] einen Reiz beſitzen, da es doch Millionen Andere auch reizt — in irgend einem Stärkegrade reizt —? Hm! Das Theater! Die Muſik! Geht nicht durch die Träume ihrer Nächte manchmal ein Schatten, der ihr in die Seele prickelt? Iſt die Luft nur voll von Stecknadeln? Da ſitzt ein Stück com- primirten Lebens vor ihr — ihr Vater. Ein Menſchenalter liegt hinter ihm. Von allen Seiten iſt das Leben zu ihm herangekommen. Der nun Einſame beſaß einmal tauſend Beziehungen. So viel verrauſcht, ſo viel vergilbt, vergeſſen, verſchleppt und verloren! Freut ſie ſich nicht doch darüber, wenn ihr manchmal unter ihres Vaters Anleitung und Führung ein Gedanke tiefer Eigenthum wird, eine Erkenntniß ihr in ſchärferen Linien aufgeht? So ſonderbar iſt ihr dann und wann. Etwas in klarer Grenzbeſtimmung erfaſſen, macht ihr zeitweilig doch eine Art Spaß, ſo etwas wie Vergnügen. Sie weiß: darüber vergißt man ſich am Beſten und Leichteſten. Aber ſie weiß auch: Stimmungen ſind Blaſen, die aufſteigen, ſich eine Sekunde lang irisfarben brüſten und zerplatzen. Un- hemmbar rollt der Grundſtrom weiter. Zu der und der Grundcombination haben ſich die Moleküle ihres Weſens zuſammengeſchloſſen. Sie bleibt, dieſe Com- bination; ſie beſtimmt ihr Leben. Von ihr wird ſie in Gedanken, Wort und That geleitet. Eine „Be- kehrung“, eine entſcheidende Beeinfluſſung iſt nicht mehr möglich. Das Schickſal vollzieht ſich. Hedwig weiß, daß ihr einmal eine überſchäumende Leidenſchaft aus

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/36>, abgerufen am 21.11.2024.