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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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mit trockenem, mechanischem Schmerze. Nun zog er
den Hut, der sich arg verschoben hatte, in seine ge-
wöhnliche Lage zurück, knöpfte seinen Rock zu und
stand auf. Das Gehen wurde ihm schwer, er konnte
den Kopf nicht bewegen, wie er wollte, der Hals
war ganz gesteift. Adam sah nach der Uhr, es war
nach Mitternacht. Er suchte nach einer Cigarre,
gleichsam um außer sich etwas Fremdes, etwas An-
deres zu haben, Etwas, das ihn begleitete, das diese
Einsamkeit, diese grenzenlose Einsamkeit, die ihn zu
erdrücken drohte, zerstreute, unterbrach, verscheuchte,
wenigstens mit ihm theilte. Er hatte keinen Genuß
an der Cigarre, aber das rothe, runde Auge ihrer
Brandstätte tröstete ihn. Mit großen, eiligen
Schritten suchte er aus dem Bereiche des Waldes
zu entkommen. Die große, monotone, aber ergreifende
Poesie der Sommernacht bewegte ihn nicht mehr. Die
leidende Creatur konnte nicht über sich hinausgehen.

Nun war er wieder in der Stadt, er hatte das
Pflaster wieder unter den Füßen, die flankirenden
Häuser schienen, wie ein geheimnißvoller Schutz,
eine innige Beruhigung auszuathmen. Die lähmende
Dumpfheit, die auf ihm gelegen hatte, wich zurück,
das Nervenleben erhöhte sich wieder, die Sinne
wachten auf, das Leben pulste von Neuem, wenn
auch immer matt noch und stockend. Das heftige
Laufen hatte ihn angestrengt, eine schwüle, schweißige
Schwere lag in seinen Gliedern. Jetzt wollte Adam
endlich nach Hause gehen. Es war Zeit dazu.
Allerdings, ob er würde schlafen können, bezweifelte

mit trockenem, mechaniſchem Schmerze. Nun zog er
den Hut, der ſich arg verſchoben hatte, in ſeine ge-
wöhnliche Lage zurück, knöpfte ſeinen Rock zu und
ſtand auf. Das Gehen wurde ihm ſchwer, er konnte
den Kopf nicht bewegen, wie er wollte, der Hals
war ganz geſteift. Adam ſah nach der Uhr, es war
nach Mitternacht. Er ſuchte nach einer Cigarre,
gleichſam um außer ſich etwas Fremdes, etwas An-
deres zu haben, Etwas, das ihn begleitete, das dieſe
Einſamkeit, dieſe grenzenloſe Einſamkeit, die ihn zu
erdrücken drohte, zerſtreute, unterbrach, verſcheuchte,
wenigſtens mit ihm theilte. Er hatte keinen Genuß
an der Cigarre, aber das rothe, runde Auge ihrer
Brandſtätte tröſtete ihn. Mit großen, eiligen
Schritten ſuchte er aus dem Bereiche des Waldes
zu entkommen. Die große, monotone, aber ergreifende
Poeſie der Sommernacht bewegte ihn nicht mehr. Die
leidende Creatur konnte nicht über ſich hinausgehen.

Nun war er wieder in der Stadt, er hatte das
Pflaſter wieder unter den Füßen, die flankirenden
Häuſer ſchienen, wie ein geheimnißvoller Schutz,
eine innige Beruhigung auszuathmen. Die lähmende
Dumpfheit, die auf ihm gelegen hatte, wich zurück,
das Nervenleben erhöhte ſich wieder, die Sinne
wachten auf, das Leben pulſte von Neuem, wenn
auch immer matt noch und ſtockend. Das heftige
Laufen hatte ihn angeſtrengt, eine ſchwüle, ſchweißige
Schwere lag in ſeinen Gliedern. Jetzt wollte Adam
endlich nach Hauſe gehen. Es war Zeit dazu.
Allerdings, ob er würde ſchlafen können, bezweifelte

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[410/0418] mit trockenem, mechaniſchem Schmerze. Nun zog er den Hut, der ſich arg verſchoben hatte, in ſeine ge- wöhnliche Lage zurück, knöpfte ſeinen Rock zu und ſtand auf. Das Gehen wurde ihm ſchwer, er konnte den Kopf nicht bewegen, wie er wollte, der Hals war ganz geſteift. Adam ſah nach der Uhr, es war nach Mitternacht. Er ſuchte nach einer Cigarre, gleichſam um außer ſich etwas Fremdes, etwas An- deres zu haben, Etwas, das ihn begleitete, das dieſe Einſamkeit, dieſe grenzenloſe Einſamkeit, die ihn zu erdrücken drohte, zerſtreute, unterbrach, verſcheuchte, wenigſtens mit ihm theilte. Er hatte keinen Genuß an der Cigarre, aber das rothe, runde Auge ihrer Brandſtätte tröſtete ihn. Mit großen, eiligen Schritten ſuchte er aus dem Bereiche des Waldes zu entkommen. Die große, monotone, aber ergreifende Poeſie der Sommernacht bewegte ihn nicht mehr. Die leidende Creatur konnte nicht über ſich hinausgehen. Nun war er wieder in der Stadt, er hatte das Pflaſter wieder unter den Füßen, die flankirenden Häuſer ſchienen, wie ein geheimnißvoller Schutz, eine innige Beruhigung auszuathmen. Die lähmende Dumpfheit, die auf ihm gelegen hatte, wich zurück, das Nervenleben erhöhte ſich wieder, die Sinne wachten auf, das Leben pulſte von Neuem, wenn auch immer matt noch und ſtockend. Das heftige Laufen hatte ihn angeſtrengt, eine ſchwüle, ſchweißige Schwere lag in ſeinen Gliedern. Jetzt wollte Adam endlich nach Hauſe gehen. Es war Zeit dazu. Allerdings, ob er würde ſchlafen können, bezweifelte

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/418>, abgerufen am 24.11.2024.