Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

Er unterdrückte nur mühsam das Gähnen, und Wein
und Cigarren verloren immermehr ihre Reize für
ihn. Er trank öfter, nippte aber immer nur kleine
Schlucke und kaute mechanisch den Nicotinsaft aus
seiner Cigarre heraus. Ab und zu warf er ein gleich-
gültiges Wort in das Gespräch, welches Oettinger
jetzt fast allein führte. Denn auch Herr Quöck kämpfte
mit der überhandnehmenden Müdigkeit.

Nach drei Uhr trennte man sich. Der Herr
Referendar wankte und schwankte ein Wenig. Adam
nahm sich des armen Kerls an und schob seinen
Arm unter den Oettingers.

Die Straßen lagen in tiefer Stille. Ab und
zu begegnete den einsamen Nachtwandrern ein lang-
sam heranspazierender Wächter. Manch' einer dieser
edlen Herren blieb breitspurig auf dem Trottoir
stehen und beäugelte kritisch die vorüberstapfenden
Spätlinge. Der Herr Referendar konnte einige
herzhafte Redensarten über diese "zu--dringliche,
ganz ver--fluchte O--cu--cular-Inspektion" nicht
unterdrücken. Er sprach überhaupt etwas laut, der
ehrenwerthe Cylinderenthusiast. Die "Angströhre"
saß ihm allerdings schief und verrätherisch nach
hinten geschoben auf dem jugendlichen Haupte, das
der erste, zarte Flaum einer discreten ... Platte
zierte, wie Adam heute Abend mit dem banalen
Genugthuungsgefühl eines berechtigten Sarkasmus
wahrgenommen.

"Feudales Weib, diese Lydia, nicht, Doctor --?"
phantasirte Herr Oettinger, "Göttergestalt -- fescher

Conradi, Adam Mensch. 6

Er unterdrückte nur mühſam das Gähnen, und Wein
und Cigarren verloren immermehr ihre Reize für
ihn. Er trank öfter, nippte aber immer nur kleine
Schlucke und kaute mechaniſch den Nicotinſaft aus
ſeiner Cigarre heraus. Ab und zu warf er ein gleich-
gültiges Wort in das Geſpräch, welches Oettinger
jetzt faſt allein führte. Denn auch Herr Quöck kämpfte
mit der überhandnehmenden Müdigkeit.

Nach drei Uhr trennte man ſich. Der Herr
Referendar wankte und ſchwankte ein Wenig. Adam
nahm ſich des armen Kerls an und ſchob ſeinen
Arm unter den Oettingers.

Die Straßen lagen in tiefer Stille. Ab und
zu begegnete den einſamen Nachtwandrern ein lang-
ſam heranſpazierender Wächter. Manch' einer dieſer
edlen Herren blieb breitſpurig auf dem Trottoir
ſtehen und beäugelte kritiſch die vorüberſtapfenden
Spätlinge. Der Herr Referendar konnte einige
herzhafte Redensarten über dieſe „zu—dringliche,
ganz ver—fluchte O—cu—cular-Inſpektion“ nicht
unterdrücken. Er ſprach überhaupt etwas laut, der
ehrenwerthe Cylinderenthuſiaſt. Die „Angſtröhre“
ſaß ihm allerdings ſchief und verrätheriſch nach
hinten geſchoben auf dem jugendlichen Haupte, das
der erſte, zarte Flaum einer discreten ... Platte
zierte, wie Adam heute Abend mit dem banalen
Genugthuungsgefühl eines berechtigten Sarkasmus
wahrgenommen.

„Feudales Weib, dieſe Lydia, nicht, Doctor —?“
phantaſirte Herr Oettinger, „Göttergeſtalt — feſcher

Conradi, Adam Menſch. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="81"/>
Er unterdrückte nur müh&#x017F;am das Gähnen, und Wein<lb/>
und Cigarren verloren immermehr ihre Reize für<lb/>
ihn. Er trank öfter, nippte aber immer nur kleine<lb/>
Schlucke und kaute mechani&#x017F;ch den Nicotin&#x017F;aft aus<lb/>
&#x017F;einer Cigarre heraus. Ab und zu warf er ein gleich-<lb/>
gültiges Wort in das Ge&#x017F;präch, welches Oettinger<lb/>
jetzt fa&#x017F;t allein führte. Denn auch Herr Quöck kämpfte<lb/>
mit der überhandnehmenden Müdigkeit.</p><lb/>
        <p>Nach drei Uhr trennte man &#x017F;ich. Der Herr<lb/>
Referendar wankte und &#x017F;chwankte ein Wenig. Adam<lb/>
nahm &#x017F;ich des armen Kerls an und &#x017F;chob &#x017F;einen<lb/>
Arm unter den Oettingers.</p><lb/>
        <p>Die Straßen lagen in tiefer Stille. Ab und<lb/>
zu begegnete den ein&#x017F;amen Nachtwandrern ein lang-<lb/>
&#x017F;am heran&#x017F;pazierender Wächter. Manch' einer die&#x017F;er<lb/>
edlen Herren blieb breit&#x017F;purig auf dem Trottoir<lb/>
&#x017F;tehen und beäugelte kriti&#x017F;ch die vorüber&#x017F;tapfenden<lb/>
Spätlinge. Der Herr Referendar konnte einige<lb/>
herzhafte Redensarten über die&#x017F;e &#x201E;zu&#x2014;dringliche,<lb/>
ganz ver&#x2014;fluchte O&#x2014;cu&#x2014;cular-In&#x017F;pektion&#x201C; nicht<lb/>
unterdrücken. Er &#x017F;prach überhaupt etwas laut, der<lb/>
ehrenwerthe Cylinderenthu&#x017F;ia&#x017F;t. Die &#x201E;Ang&#x017F;tröhre&#x201C;<lb/>
&#x017F;aß ihm allerdings &#x017F;chief und verrätheri&#x017F;ch nach<lb/>
hinten ge&#x017F;choben auf dem jugendlichen Haupte, das<lb/>
der er&#x017F;te, zarte Flaum einer discreten ... Platte<lb/>
zierte, wie Adam heute Abend mit dem banalen<lb/>
Genugthuungsgefühl eines berechtigten Sarkasmus<lb/>
wahrgenommen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Feudales Weib, die&#x017F;e Lydia, nicht, Doctor &#x2014;?&#x201C;<lb/>
phanta&#x017F;irte Herr Oettinger, &#x201E;Götterge&#x017F;talt &#x2014; fe&#x017F;cher<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Conradi</hi>, Adam Men&#x017F;ch. 6</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0089] Er unterdrückte nur mühſam das Gähnen, und Wein und Cigarren verloren immermehr ihre Reize für ihn. Er trank öfter, nippte aber immer nur kleine Schlucke und kaute mechaniſch den Nicotinſaft aus ſeiner Cigarre heraus. Ab und zu warf er ein gleich- gültiges Wort in das Geſpräch, welches Oettinger jetzt faſt allein führte. Denn auch Herr Quöck kämpfte mit der überhandnehmenden Müdigkeit. Nach drei Uhr trennte man ſich. Der Herr Referendar wankte und ſchwankte ein Wenig. Adam nahm ſich des armen Kerls an und ſchob ſeinen Arm unter den Oettingers. Die Straßen lagen in tiefer Stille. Ab und zu begegnete den einſamen Nachtwandrern ein lang- ſam heranſpazierender Wächter. Manch' einer dieſer edlen Herren blieb breitſpurig auf dem Trottoir ſtehen und beäugelte kritiſch die vorüberſtapfenden Spätlinge. Der Herr Referendar konnte einige herzhafte Redensarten über dieſe „zu—dringliche, ganz ver—fluchte O—cu—cular-Inſpektion“ nicht unterdrücken. Er ſprach überhaupt etwas laut, der ehrenwerthe Cylinderenthuſiaſt. Die „Angſtröhre“ ſaß ihm allerdings ſchief und verrätheriſch nach hinten geſchoben auf dem jugendlichen Haupte, das der erſte, zarte Flaum einer discreten ... Platte zierte, wie Adam heute Abend mit dem banalen Genugthuungsgefühl eines berechtigten Sarkasmus wahrgenommen. „Feudales Weib, dieſe Lydia, nicht, Doctor —?“ phantaſirte Herr Oettinger, „Göttergeſtalt — feſcher Conradi, Adam Menſch. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/89
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/89>, abgerufen am 04.12.2024.