Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

sind, ob sie gleich mit denselben harmoniren. Der
Gedanke von der Farbe ist weder die Farbe selbst,
noch das Bild derselben in meinem Auge; der
Gedanke vom Schalle ist weder eine gewisse Er-
schütterung der Luft außer mir, noch der Ein-
druck davon in meinem Ohre. Denn wie viele
Körper malen sich in meinem Auge ab; wie man-
che Erschütterungen pflanzen sich bis in mein Ohr
fort, die ich weder sehe noch höre, weil meine
Seele ihre Aufmerksamkeit mit andern Empfin-
dungen oder Gedanken beschäfftigt?

Die Wirkungen meiner Seele durch ihre
Sinne verursachen Lust oder Schmerz, nachdem
die Eindrücke der äußerlichen Gegenstände auf die
Werkzeuge der Empfindung beschaffen sind. Diese
Empfindungen sind sehr von Freude und Trau-
rigkeit unterschieden, ob sie gleich viel Aehnliches
mit einander haben, weswegen auch die Namen
derselben oft mit einander verwechselt zu werden
pflegen. Lust und Schmerz setzen allezeit die Ge-
genwart gewisser äußerer angenehmer oder unan-
genehmer Gegenstände mit wirklichen Verände-
rungen unsers körperlichen Zustandes voraus;
Freude und Traurigkeit hingegen kann ich auch
ohne die Gegenwart sinnlicher Gegenstände em-
pfinden, und bloß durch meine Einbildung oder

durch

ſind, ob ſie gleich mit denſelben harmoniren. Der
Gedanke von der Farbe iſt weder die Farbe ſelbſt,
noch das Bild derſelben in meinem Auge; der
Gedanke vom Schalle iſt weder eine gewiſſe Er-
ſchütterung der Luft außer mir, noch der Ein-
druck davon in meinem Ohre. Denn wie viele
Körper malen ſich in meinem Auge ab; wie man-
che Erſchütterungen pflanzen ſich bis in mein Ohr
fort, die ich weder ſehe noch höre, weil meine
Seele ihre Aufmerkſamkeit mit andern Empfin-
dungen oder Gedanken beſchäfftigt?

Die Wirkungen meiner Seele durch ihre
Sinne verurſachen Luſt oder Schmerz, nachdem
die Eindrücke der äußerlichen Gegenſtände auf die
Werkzeuge der Empfindung beſchaffen ſind. Dieſe
Empfindungen ſind ſehr von Freude und Trau-
rigkeit unterſchieden, ob ſie gleich viel Aehnliches
mit einander haben, weswegen auch die Namen
derſelben oft mit einander verwechſelt zu werden
pflegen. Luſt und Schmerz ſetzen allezeit die Ge-
genwart gewiſſer äußerer angenehmer oder unan-
genehmer Gegenſtände mit wirklichen Verände-
rungen unſers körperlichen Zuſtandes voraus;
Freude und Traurigkeit hingegen kann ich auch
ohne die Gegenwart ſinnlicher Gegenſtände em-
pfinden, und bloß durch meine Einbildung oder

durch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0304" n="290"/>
&#x017F;ind, ob &#x017F;ie gleich mit den&#x017F;elben harmoniren. Der<lb/>
Gedanke von der Farbe i&#x017F;t weder die Farbe &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
noch das Bild der&#x017F;elben in meinem Auge; der<lb/>
Gedanke vom Schalle i&#x017F;t weder eine gewi&#x017F;&#x017F;e Er-<lb/>
&#x017F;chütterung der Luft außer mir, noch der Ein-<lb/>
druck davon in meinem Ohre. Denn wie viele<lb/>
Körper malen &#x017F;ich in meinem Auge ab; wie man-<lb/>
che Er&#x017F;chütterungen pflanzen &#x017F;ich bis in mein Ohr<lb/>
fort, die ich weder &#x017F;ehe noch höre, weil meine<lb/>
Seele ihre Aufmerk&#x017F;amkeit mit andern Empfin-<lb/>
dungen oder Gedanken be&#x017F;chäfftigt?</p><lb/>
        <p>Die Wirkungen meiner Seele durch ihre<lb/>
Sinne verur&#x017F;achen Lu&#x017F;t oder Schmerz, nachdem<lb/>
die Eindrücke der äußerlichen Gegen&#x017F;tände auf die<lb/>
Werkzeuge der Empfindung be&#x017F;chaffen &#x017F;ind. Die&#x017F;e<lb/>
Empfindungen &#x017F;ind &#x017F;ehr von Freude und Trau-<lb/>
rigkeit unter&#x017F;chieden, ob &#x017F;ie gleich viel Aehnliches<lb/>
mit einander haben, weswegen auch die Namen<lb/>
der&#x017F;elben oft mit einander verwech&#x017F;elt zu werden<lb/>
pflegen. Lu&#x017F;t und Schmerz &#x017F;etzen allezeit die Ge-<lb/>
genwart gewi&#x017F;&#x017F;er äußerer angenehmer oder unan-<lb/>
genehmer Gegen&#x017F;tände mit wirklichen Verände-<lb/>
rungen un&#x017F;ers körperlichen Zu&#x017F;tandes voraus;<lb/>
Freude und Traurigkeit hingegen kann ich auch<lb/>
ohne die Gegenwart &#x017F;innlicher Gegen&#x017F;tände em-<lb/>
pfinden, und bloß durch meine Einbildung oder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0304] ſind, ob ſie gleich mit denſelben harmoniren. Der Gedanke von der Farbe iſt weder die Farbe ſelbſt, noch das Bild derſelben in meinem Auge; der Gedanke vom Schalle iſt weder eine gewiſſe Er- ſchütterung der Luft außer mir, noch der Ein- druck davon in meinem Ohre. Denn wie viele Körper malen ſich in meinem Auge ab; wie man- che Erſchütterungen pflanzen ſich bis in mein Ohr fort, die ich weder ſehe noch höre, weil meine Seele ihre Aufmerkſamkeit mit andern Empfin- dungen oder Gedanken beſchäfftigt? Die Wirkungen meiner Seele durch ihre Sinne verurſachen Luſt oder Schmerz, nachdem die Eindrücke der äußerlichen Gegenſtände auf die Werkzeuge der Empfindung beſchaffen ſind. Dieſe Empfindungen ſind ſehr von Freude und Trau- rigkeit unterſchieden, ob ſie gleich viel Aehnliches mit einander haben, weswegen auch die Namen derſelben oft mit einander verwechſelt zu werden pflegen. Luſt und Schmerz ſetzen allezeit die Ge- genwart gewiſſer äußerer angenehmer oder unan- genehmer Gegenſtände mit wirklichen Verände- rungen unſers körperlichen Zuſtandes voraus; Freude und Traurigkeit hingegen kann ich auch ohne die Gegenwart ſinnlicher Gegenſtände em- pfinden, und bloß durch meine Einbildung oder durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/304
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/304>, abgerufen am 22.11.2024.