Götter ins Unendliche. Fast alle edlern und unedlern Geschöpfe, unzählbare Wesen der Er- dichtung, und sogar ihre Laster wurden zum Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa- ren also nach ihren Begriffen Wesen von sehr ver- schiednen Eigenschaften und Kräften. Kein ein- ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was ist, zu erschaffen, zu regieren, und in seiner Fortdauer zu erhalten. Die Vorstellung, daß die erste nothwendige Ursache aller Dinge eine unendliche Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr- schaft besitzen müsse, war verlohren, und weil sie die Macht höherer Wesen nach ihren eignen Kräf- ten maßen, so kam es ihnen nicht einmal in den Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug wäre, das ganze Weltgebäude zu erschaffen und zu regieren. Sie bildeten sich ein, eine einzige Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern der Erndte zu erfüllen. Sie hielten sich für got- tesfürchtig genug, wenn sie die mannichfaltigen Wunder Einer unendlichen Kraft verschiednen Wesen zuschrieben, die sich vereinigt hätten, sie hervorzubringen; wenn sie einem jeden davon ei- nen Gottesdienst bestimmten, der ihnen der Wohlthat gemäß zu seyn schiene, welche sie von
ihm
Götter ins Unendliche. Faſt alle edlern und unedlern Geſchöpfe, unzählbare Weſen der Er- dichtung, und ſogar ihre Laſter wurden zum Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa- ren alſo nach ihren Begriffen Weſen von ſehr ver- ſchiednen Eigenſchaften und Kräften. Kein ein- ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was iſt, zu erſchaffen, zu regieren, und in ſeiner Fortdauer zu erhalten. Die Vorſtellung, daß die erſte nothwendige Urſache aller Dinge eine unendliche Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr- ſchaft beſitzen müſſe, war verlohren, und weil ſie die Macht höherer Weſen nach ihren eignen Kräf- ten maßen, ſo kam es ihnen nicht einmal in den Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug wäre, das ganze Weltgebäude zu erſchaffen und zu regieren. Sie bildeten ſich ein, eine einzige Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern der Erndte zu erfüllen. Sie hielten ſich für got- tesfürchtig genug, wenn ſie die mannichfaltigen Wunder Einer unendlichen Kraft verſchiednen Weſen zuſchrieben, die ſich vereinigt hätten, ſie hervorzubringen; wenn ſie einem jeden davon ei- nen Gottesdienſt beſtimmten, der ihnen der Wohlthat gemäß zu ſeyn ſchiene, welche ſie von
ihm
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Götter ins Unendliche. Faſt alle edlern und
unedlern Geſchöpfe, unzählbare Weſen der Er-
dichtung, und ſogar ihre Laſter wurden zum
Range der Gottheit erhoben. Jhre Götter wa-
ren alſo nach ihren Begriffen Weſen von ſehr ver-
ſchiednen Eigenſchaften und Kräften. Kein ein-
ziger hatte die unendliche Kraft, alles, was iſt, zu
erſchaffen, zu regieren, und in ſeiner Fortdauer
zu erhalten. Die Vorſtellung, daß die erſte
nothwendige Urſache aller Dinge eine unendliche
Erkenntniß, Weisheit, Macht, Güte und Herr-
ſchaft beſitzen müſſe, war verlohren, und weil ſie
die Macht höherer Weſen nach ihren eignen Kräf-
ten maßen, ſo kam es ihnen nicht einmal in den
Sinn, daß Ein Gott mächtig und groß genug
wäre, das ganze Weltgebäude zu erſchaffen und
zu regieren. Sie bildeten ſich ein, eine einzige
Gottheit hätte genug zu thun, bloß die Sonne
in ihrem Laufe zu erhalten, oder den Winden zu
gebieten, oder die Erde mit den Reichthümern
der Erndte zu erfüllen. Sie hielten ſich für got-
tesfürchtig genug, wenn ſie die mannichfaltigen
Wunder Einer unendlichen Kraft verſchiednen
Weſen zuſchrieben, die ſich vereinigt hätten, ſie
hervorzubringen; wenn ſie einem jeden davon ei-
nen Gottesdienſt beſtimmten, der ihnen der
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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