befriedigen: Kann ich aber wohl die Vorzüge, die mir mangeln, und die höhere Glückseeligkeit, nach der ich seufze, außer Gott finden? Von wem kommen alle guten Gaben, als von dem Vater des Lichts? Wer hat das Leben und volle Gnüge, als sein eingebohrner Sohn, der in sei- nem Schooße ist? Wer kann meine Finsternisse zerstreuen; wer kann mich in alle mir nöthigen Wahrheiten leiten; wer kann meinen Willen hei- ligen, und mir den Frieden, der höher, als alle Vernunft ist, geben, als der Geist des Sohnes, der vom Vater ausgeht? Wenn ich Gott, die lebendige Quelle verlasse, so mag ich meine Voll- kommenheit und Glückseeligkeit suchen, wo ich will; ich grabe überall Brunnen, die kein Wasser geben. Wenn ich ihn nicht über alles liebe, so werde ich elend; denn da mein heißer Durst nach Glückseeligkeit nur durch den Besitz des höchsten Gutes gestillet werden kann, wie elend muß ich nicht werden, wenn ich die einzige Quelle aller Vollkommenheit und Glückseeligkeit verlasse?
Jch darf meine Nebenmenschen lieben, aber nicht über Gott, und nicht wie Gott; ich darf, ich soll sie lieben; die Liebe gegen sie gehört unter meine Pflichten, und unter die Mittel meiner Glückseeligkeit; Gott macht so gar eine wahre,
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befriedigen: Kann ich aber wohl die Vorzüge, die mir mangeln, und die höhere Glückſeeligkeit, nach der ich ſeufze, außer Gott finden? Von wem kommen alle guten Gaben, als von dem Vater des Lichts? Wer hat das Leben und volle Gnüge, als ſein eingebohrner Sohn, der in ſei- nem Schooße iſt? Wer kann meine Finſterniſſe zerſtreuen; wer kann mich in alle mir nöthigen Wahrheiten leiten; wer kann meinen Willen hei- ligen, und mir den Frieden, der höher, als alle Vernunft iſt, geben, als der Geiſt des Sohnes, der vom Vater ausgeht? Wenn ich Gott, die lebendige Quelle verlaſſe, ſo mag ich meine Voll- kommenheit und Glückſeeligkeit ſuchen, wo ich will; ich grabe überall Brunnen, die kein Waſſer geben. Wenn ich ihn nicht über alles liebe, ſo werde ich elend; denn da mein heißer Durſt nach Glückſeeligkeit nur durch den Beſitz des höchſten Gutes geſtillet werden kann, wie elend muß ich nicht werden, wenn ich die einzige Quelle aller Vollkommenheit und Glückſeeligkeit verlaſſe?
Jch darf meine Nebenmenſchen lieben, aber nicht über Gott, und nicht wie Gott; ich darf, ich ſoll ſie lieben; die Liebe gegen ſie gehört unter meine Pflichten, und unter die Mittel meiner Glückſeeligkeit; Gott macht ſo gar eine wahre,
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befriedigen: Kann ich aber wohl die Vorzüge,
die mir mangeln, und die höhere Glückſeeligkeit,
nach der ich ſeufze, außer Gott finden? Von
wem kommen alle guten Gaben, als von dem
Vater des Lichts? Wer hat das Leben und volle
Gnüge, als ſein eingebohrner Sohn, der in ſei-
nem Schooße iſt? Wer kann meine Finſterniſſe
zerſtreuen; wer kann mich in alle mir nöthigen
Wahrheiten leiten; wer kann meinen Willen hei-
ligen, und mir den Frieden, der höher, als alle
Vernunft iſt, geben, als der Geiſt des Sohnes,
der vom Vater ausgeht? Wenn ich Gott, die
lebendige Quelle verlaſſe, ſo mag ich meine Voll-
kommenheit und Glückſeeligkeit ſuchen, wo ich
will; ich grabe überall Brunnen, die kein Waſſer
geben. Wenn ich ihn nicht über alles liebe, ſo
werde ich elend; denn da mein heißer Durſt nach
Glückſeeligkeit nur durch den Beſitz des höchſten
Gutes geſtillet werden kann, wie elend muß ich
nicht werden, wenn ich die einzige Quelle aller
Vollkommenheit und Glückſeeligkeit verlaſſe?
Jch darf meine Nebenmenſchen lieben, aber
nicht über Gott, und nicht wie Gott; ich darf,
ich ſoll ſie lieben; die Liebe gegen ſie gehört unter
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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