Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXII. Betrachtung. that seines persönlichen Unterrichts geniessen; weswe-gen er auch selbst sagte: ich bin nur gesandt zu den verlohrnen Schaafen vom Hause Jsrael.*) Er that fast alle seine Wunder unter den Juden, um vornemlich diese von seiner göttlichen Sendung zu überzeugen, und um auch dadurch ihr Wohlthäter zu werden. Ueberall äußerte er gegen seine Mitbür- ger ein herzliches Wohlwollen. Er reiste von einem Ort zum andern, um überall Gutes zu stiften, und das Elend der Menschen zu vermindern, ob man ihm gleich mit Undank lohnte und für einen Feind des Vaterlandes erklärte.**) Stets aufmerksam auf die Fehler seiner Nation, gieng ihm ihr moralisches Verderben eben so sehr zu Herzen, als die trauri- gen Schicksale, die ihnen von ferne drohten, und die er voller Mitleiden ihnen ankündigte. Wie oft beklagte er nicht mit Wehmuth und mit Thränen im Auge die traurige Verfassung seiner Landsleute! Wie sehnlich wünschte er sie von dem bevorstehenden Un- glücke zu retten! Jerusalem! Jerusalem! die du rödtest die Propheten, und steinigest die zu dir ge- sandt sind, wie oft hab ich deine Kinder versammlen wollen, wie eine Henne versammlet ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.***) Jst das nicht die Sprache der zärtlichsten Besorgniß, für sein Vaterland und für die von Gott so lange geliebte Stadt *) Matth. 15, 24. **) Joh. 11, 47. 48. ***) Matth. 23, 34 39.
XXII. Betrachtung. that ſeines perſönlichen Unterrichts genieſſen; weswe-gen er auch ſelbſt ſagte: ich bin nur geſandt zu den verlohrnen Schaafen vom Hauſe Jſrael.*) Er that faſt alle ſeine Wunder unter den Juden, um vornemlich dieſe von ſeiner göttlichen Sendung zu überzeugen, und um auch dadurch ihr Wohlthäter zu werden. Ueberall äußerte er gegen ſeine Mitbür- ger ein herzliches Wohlwollen. Er reiſte von einem Ort zum andern, um überall Gutes zu ſtiften, und das Elend der Menſchen zu vermindern, ob man ihm gleich mit Undank lohnte und für einen Feind des Vaterlandes erklärte.**) Stets aufmerkſam auf die Fehler ſeiner Nation, gieng ihm ihr moraliſches Verderben eben ſo ſehr zu Herzen, als die trauri- gen Schickſale, die ihnen von ferne drohten, und die er voller Mitleiden ihnen ankündigte. Wie oft beklagte er nicht mit Wehmuth und mit Thränen im Auge die traurige Verfaſſung ſeiner Landsleute! Wie ſehnlich wünſchte er ſie von dem bevorſtehenden Un- glücke zu retten! Jeruſalem! Jeruſalem! die du rödteſt die Propheten, und ſteinigeſt die zu dir ge- ſandt ſind, wie oft hab ich deine Kinder verſammlen wollen, wie eine Henne verſammlet ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.***) Jſt das nicht die Sprache der zärtlichſten Beſorgniß, für ſein Vaterland und für die von Gott ſo lange geliebte Stadt *) Matth. 15, 24. **) Joh. 11, 47. 48. ***) Matth. 23, 34 39.
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XXII. Betrachtung.
that ſeines perſönlichen Unterrichts genieſſen; weswe-
gen er auch ſelbſt ſagte: ich bin nur geſandt zu den
verlohrnen Schaafen vom Hauſe Jſrael. *) Er
that faſt alle ſeine Wunder unter den Juden, um
vornemlich dieſe von ſeiner göttlichen Sendung zu
überzeugen, und um auch dadurch ihr Wohlthäter
zu werden. Ueberall äußerte er gegen ſeine Mitbür-
ger ein herzliches Wohlwollen. Er reiſte von einem
Ort zum andern, um überall Gutes zu ſtiften, und
das Elend der Menſchen zu vermindern, ob man
ihm gleich mit Undank lohnte und für einen Feind des
Vaterlandes erklärte. **) Stets aufmerkſam auf die
Fehler ſeiner Nation, gieng ihm ihr moraliſches
Verderben eben ſo ſehr zu Herzen, als die trauri-
gen Schickſale, die ihnen von ferne drohten, und
die er voller Mitleiden ihnen ankündigte. Wie oft
beklagte er nicht mit Wehmuth und mit Thränen im
Auge die traurige Verfaſſung ſeiner Landsleute! Wie
ſehnlich wünſchte er ſie von dem bevorſtehenden Un-
glücke zu retten! Jeruſalem! Jeruſalem! die du
rödteſt die Propheten, und ſteinigeſt die zu dir ge-
ſandt ſind, wie oft hab ich deine Kinder verſammlen
wollen, wie eine Henne verſammlet ihre Küchlein
unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. ***) Jſt
das nicht die Sprache der zärtlichſten Beſorgniß, für
ſein Vaterland und für die von Gott ſo lange geliebte
Stadt
*) Matth. 15, 24.
**) Joh. 11, 47. 48.
***) Matth. 23, 34 39.
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