Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.
XLIII. Betrachtung. ner Nation arbeitete, so waren doch nur wenige,die sich von ihm unterrichten, bessern und auf den Weg der Glückseligkeit leiten liessen. Es ist wahr, sein Lehrvortrag und seine außerordentlichen Thaten machten bisweilen viel Eindruck, und erregten eine erstaunende Bewunderung; allein bald verwandelte sich das Erstaunen des Volks in lautes Murren, so bald es sich in seinen eitlen Erwartungen getäuscht sa- he. Dies erfuhr er gleich bey dem Antritte seines Lehramts zu Nazareth, wo er war erzogen worden. Man hörte ihm bey seinem Lehrvortrage günstig und aufmerksam zu, weil man hofte, er würde als ein Mitbürger vorzüglich in dieser Stadt große Wun- derthaten verrichten, dergleichen er bereits an andern Orten gethan hatte; man schmeichelte sich, er würde dadurch diesen bisher unbekannten Ort recht in Ruf bringen, und überall berühmt machen. Als er aber ihre Erwartung nicht befriedigte; als er sogar ihr Betragen gegen ihn mit dem schlechten Verhalten der ehemaligen Jsraeliten gegen die Propheten ver- glich, so fanden sie sich beleidigt, sie glaubten, er ver- achte ihre Stadt und ihr Bürgerrecht. Sie wur- den so aufgebracht, daß sie ihn von dem Hügel, auf welchem Nazareth gebaut war, herabstürzen woll- ten.*) Es ist wahr, Jesus hatte oft viel Schüler und Nachfolger; aber die meisten blieben nicht lange bey ihm,**) so bald er ihre Vorurtheile bestritt, oder so *) Luc. 4, 16-29. **) Joh. 6, 66.
XLIII. Betrachtung. ner Nation arbeitete, ſo waren doch nur wenige,die ſich von ihm unterrichten, beſſern und auf den Weg der Glückſeligkeit leiten lieſſen. Es iſt wahr, ſein Lehrvortrag und ſeine außerordentlichen Thaten machten bisweilen viel Eindruck, und erregten eine erſtaunende Bewunderung; allein bald verwandelte ſich das Erſtaunen des Volks in lautes Murren, ſo bald es ſich in ſeinen eitlen Erwartungen getäuſcht ſa- he. Dies erfuhr er gleich bey dem Antritte ſeines Lehramts zu Nazareth, wo er war erzogen worden. Man hörte ihm bey ſeinem Lehrvortrage günſtig und aufmerkſam zu, weil man hofte, er würde als ein Mitbürger vorzüglich in dieſer Stadt große Wun- derthaten verrichten, dergleichen er bereits an andern Orten gethan hatte; man ſchmeichelte ſich, er würde dadurch dieſen bisher unbekannten Ort recht in Ruf bringen, und überall berühmt machen. Als er aber ihre Erwartung nicht befriedigte; als er ſogar ihr Betragen gegen ihn mit dem ſchlechten Verhalten der ehemaligen Jſraeliten gegen die Propheten ver- glich, ſo fanden ſie ſich beleidigt, ſie glaubten, er ver- achte ihre Stadt und ihr Bürgerrecht. Sie wur- den ſo aufgebracht, daß ſie ihn von dem Hügel, auf welchem Nazareth gebaut war, herabſtürzen woll- ten.*) Es iſt wahr, Jeſus hatte oft viel Schüler und Nachfolger; aber die meiſten blieben nicht lange bey ihm,**) ſo bald er ihre Vorurtheile beſtritt, oder ſo *) Luc. 4, 16-29. **) Joh. 6, 66.
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XLIII. Betrachtung.
ner Nation arbeitete, ſo waren doch nur wenige,
die ſich von ihm unterrichten, beſſern und auf den
Weg der Glückſeligkeit leiten lieſſen. Es iſt wahr,
ſein Lehrvortrag und ſeine außerordentlichen Thaten
machten bisweilen viel Eindruck, und erregten eine
erſtaunende Bewunderung; allein bald verwandelte
ſich das Erſtaunen des Volks in lautes Murren, ſo
bald es ſich in ſeinen eitlen Erwartungen getäuſcht ſa-
he. Dies erfuhr er gleich bey dem Antritte ſeines
Lehramts zu Nazareth, wo er war erzogen worden.
Man hörte ihm bey ſeinem Lehrvortrage günſtig und
aufmerkſam zu, weil man hofte, er würde als ein
Mitbürger vorzüglich in dieſer Stadt große Wun-
derthaten verrichten, dergleichen er bereits an andern
Orten gethan hatte; man ſchmeichelte ſich, er würde
dadurch dieſen bisher unbekannten Ort recht in Ruf
bringen, und überall berühmt machen. Als er aber
ihre Erwartung nicht befriedigte; als er ſogar ihr
Betragen gegen ihn mit dem ſchlechten Verhalten
der ehemaligen Jſraeliten gegen die Propheten ver-
glich, ſo fanden ſie ſich beleidigt, ſie glaubten, er ver-
achte ihre Stadt und ihr Bürgerrecht. Sie wur-
den ſo aufgebracht, daß ſie ihn von dem Hügel, auf
welchem Nazareth gebaut war, herabſtürzen woll-
ten. *) Es iſt wahr, Jeſus hatte oft viel Schüler
und Nachfolger; aber die meiſten blieben nicht lange
bey ihm, **) ſo bald er ihre Vorurtheile beſtritt, oder
ſo
*) Luc. 4, 16-29.
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| Zitationshilfe: | Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/306>, abgerufen am 23.11.2024. |
