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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XLVIII. Betrachtung.
ter nichts, als daß er den Fühllosen noch zu rühren
und zur Bereuung seiner schändlichen That zu brin-
gen suchte. Aber er war keiner Rührung fähig, wie
es von solchen Menschen schon zu erwarten steht, die
sich zur Verfolgung der Unschuld anbieten oder
brauchen lassen, die eines so schwarzen und schändli-
chen Undankes gegen ihre Wohlthäter fähig sind. Was
würde wohl der beste Mensch gethan haben, wenn
er an Jesu Stelle gewesen und die Treulosigkeit eines
so falschen Freundes entdeckt hätte? Was würde er
thun, wenn ein solcher falscher Heuchler ihm unter
die Augen träte, und ihn zu überreden suchte, er sey
noch der alte Freund? Würde nicht der sanftmü-
thigste, der großmüthigste Mensch ihm die heftigsten
Vorwürfe machen? Ein Beweis, wie weit oft die
besten Menschen von den edlen Gesinnungen Jesu
entfernt sind, wie schwach und unvollkommen unsere
Tugenden sind, wie wenig wir Ursache haben, uns
darauf etwas zu gute zu thun, wenn wir sie mit den
seinigen vergleichen.

Nun wohlan, o Jesu! du sprichst: Kommt
her und lernet von mir, ich bin sanftmüthig; siehe,
ich will die schöne liebenswürdige Tugend der Sanft-
muth von dir lernen. Jch weis es wohl, daß der
rechtmäßige Zorn nicht sündlich ist, weil er ein Be-
weis von der Mißbilligung des Unrechtes, und ein
Mittel zur Vertheidigung für mich und für andere

ist.

XLVIII. Betrachtung.
ter nichts, als daß er den Fühlloſen noch zu rühren
und zur Bereuung ſeiner ſchändlichen That zu brin-
gen ſuchte. Aber er war keiner Rührung fähig, wie
es von ſolchen Menſchen ſchon zu erwarten ſteht, die
ſich zur Verfolgung der Unſchuld anbieten oder
brauchen laſſen, die eines ſo ſchwarzen und ſchändli-
chen Undankes gegen ihre Wohlthäter fähig ſind. Was
würde wohl der beſte Menſch gethan haben, wenn
er an Jeſu Stelle geweſen und die Treuloſigkeit eines
ſo falſchen Freundes entdeckt hätte? Was würde er
thun, wenn ein ſolcher falſcher Heuchler ihm unter
die Augen träte, und ihn zu überreden ſuchte, er ſey
noch der alte Freund? Würde nicht der ſanftmü-
thigſte, der großmüthigſte Menſch ihm die heftigſten
Vorwürfe machen? Ein Beweis, wie weit oft die
beſten Menſchen von den edlen Geſinnungen Jeſu
entfernt ſind, wie ſchwach und unvollkommen unſere
Tugenden ſind, wie wenig wir Urſache haben, uns
darauf etwas zu gute zu thun, wenn wir ſie mit den
ſeinigen vergleichen.

Nun wohlan, o Jeſu! du ſprichſt: Kommt
her und lernet von mir, ich bin ſanftmüthig; ſiehe,
ich will die ſchöne liebenswürdige Tugend der Sanft-
muth von dir lernen. Jch weis es wohl, daß der
rechtmäßige Zorn nicht ſündlich iſt, weil er ein Be-
weis von der Mißbilligung des Unrechtes, und ein
Mittel zur Vertheidigung für mich und für andere

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[314/0340] XLVIII. Betrachtung. ter nichts, als daß er den Fühlloſen noch zu rühren und zur Bereuung ſeiner ſchändlichen That zu brin- gen ſuchte. Aber er war keiner Rührung fähig, wie es von ſolchen Menſchen ſchon zu erwarten ſteht, die ſich zur Verfolgung der Unſchuld anbieten oder brauchen laſſen, die eines ſo ſchwarzen und ſchändli- chen Undankes gegen ihre Wohlthäter fähig ſind. Was würde wohl der beſte Menſch gethan haben, wenn er an Jeſu Stelle geweſen und die Treuloſigkeit eines ſo falſchen Freundes entdeckt hätte? Was würde er thun, wenn ein ſolcher falſcher Heuchler ihm unter die Augen träte, und ihn zu überreden ſuchte, er ſey noch der alte Freund? Würde nicht der ſanftmü- thigſte, der großmüthigſte Menſch ihm die heftigſten Vorwürfe machen? Ein Beweis, wie weit oft die beſten Menſchen von den edlen Geſinnungen Jeſu entfernt ſind, wie ſchwach und unvollkommen unſere Tugenden ſind, wie wenig wir Urſache haben, uns darauf etwas zu gute zu thun, wenn wir ſie mit den ſeinigen vergleichen. Nun wohlan, o Jeſu! du ſprichſt: Kommt her und lernet von mir, ich bin ſanftmüthig; ſiehe, ich will die ſchöne liebenswürdige Tugend der Sanft- muth von dir lernen. Jch weis es wohl, daß der rechtmäßige Zorn nicht ſündlich iſt, weil er ein Be- weis von der Mißbilligung des Unrechtes, und ein Mittel zur Vertheidigung für mich und für andere iſt.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/340>, abgerufen am 24.11.2024.