Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.II. Betrachtung. ten Tagen desselben erduldete, sehr groß und empfind-lich; hatte er sie, selbst auf die entfernteste Art, nicht verschuldet, so machten sie ihn doch nicht unzufrieden mit Gottes Wegen, und nicht mürrisch gegen seine Mitmenschen, so verleiteten sie ihn weder zum Miß- trauen, noch zur Muthlosigkeit. Waren gleich die häufigen Lästerungen seiner Feinde eben so unverdient, als kränkend: so findet man doch in seinem Verhal- ten gegen sie nicht die geringste Spur der Rachsucht. Waren gleich seine Vorzüge so sichtbar, daß sie ihn vor allen seinen Zeitgenossen auszeichneten: so blieb er doch von allem Stolze entfernt, und war hingegen überall von Herzen demüthig. Seine Tugend sieg- te über alle Versuchungen; sie war einem Gemähl- de gleich, das ganz ohne Flecken ist. Seine Zeitge- nossen sahen in ihm einen Mann vor sich der von eben der Natur, wie sie, war, der aber an moralischer Gü- te und Vollkommenheit alles, was Mensch war, un- endlich übertraf. Schon also von dieser Seite ist das Beyspiel Jesu das schönste, weil er, unser Herr, der Einzige auf Erden war, der ein ganz fehlerfreyes Leben führte. Können wir nun gleich in diesem Lande der Gewalt
II. Betrachtung. ten Tagen deſſelben erduldete, ſehr groß und empfind-lich; hatte er ſie, ſelbſt auf die entfernteſte Art, nicht verſchuldet, ſo machten ſie ihn doch nicht unzufrieden mit Gottes Wegen, und nicht mürriſch gegen ſeine Mitmenſchen, ſo verleiteten ſie ihn weder zum Miß- trauen, noch zur Muthloſigkeit. Waren gleich die häufigen Läſterungen ſeiner Feinde eben ſo unverdient, als kränkend: ſo findet man doch in ſeinem Verhal- ten gegen ſie nicht die geringſte Spur der Rachſucht. Waren gleich ſeine Vorzüge ſo ſichtbar, daß ſie ihn vor allen ſeinen Zeitgenoſſen auszeichneten: ſo blieb er doch von allem Stolze entfernt, und war hingegen überall von Herzen demüthig. Seine Tugend ſieg- te über alle Verſuchungen; ſie war einem Gemähl- de gleich, das ganz ohne Flecken iſt. Seine Zeitge- noſſen ſahen in ihm einen Mann vor ſich der von eben der Natur, wie ſie, war, der aber an moraliſcher Gü- te und Vollkommenheit alles, was Menſch war, un- endlich übertraf. Schon alſo von dieſer Seite iſt das Beyſpiel Jeſu das ſchönſte, weil er, unſer Herr, der Einzige auf Erden war, der ein ganz fehlerfreyes Leben führte. Können wir nun gleich in dieſem Lande der Gewalt
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II. Betrachtung.
ten Tagen deſſelben erduldete, ſehr groß und empfind-
lich; hatte er ſie, ſelbſt auf die entfernteſte Art, nicht
verſchuldet, ſo machten ſie ihn doch nicht unzufrieden
mit Gottes Wegen, und nicht mürriſch gegen ſeine
Mitmenſchen, ſo verleiteten ſie ihn weder zum Miß-
trauen, noch zur Muthloſigkeit. Waren gleich die
häufigen Läſterungen ſeiner Feinde eben ſo unverdient,
als kränkend: ſo findet man doch in ſeinem Verhal-
ten gegen ſie nicht die geringſte Spur der Rachſucht.
Waren gleich ſeine Vorzüge ſo ſichtbar, daß ſie ihn
vor allen ſeinen Zeitgenoſſen auszeichneten: ſo blieb
er doch von allem Stolze entfernt, und war hingegen
überall von Herzen demüthig. Seine Tugend ſieg-
te über alle Verſuchungen; ſie war einem Gemähl-
de gleich, das ganz ohne Flecken iſt. Seine Zeitge-
noſſen ſahen in ihm einen Mann vor ſich der von eben
der Natur, wie ſie, war, der aber an moraliſcher Gü-
te und Vollkommenheit alles, was Menſch war, un-
endlich übertraf. Schon alſo von dieſer Seite iſt
das Beyſpiel Jeſu das ſchönſte, weil er, unſer Herr,
der Einzige auf Erden war, der ein ganz fehlerfreyes
Leben führte.
Können wir nun gleich in dieſem Lande der
Sterblichkeit nicht ganz fehlerfrey werden: ſo muß
doch keine wiſſentliche, keine vorſetzliche Sünde über
uns herrſchen. Ja ich will mit jedem Tage immer
eifriger wider die Sünde kämpfen, ich will mich mit
Gewalt
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