sich gleich mit seinen Jüngern in eine Einöde, um daselbst auszuruhen, so lehrte und speiste er doch die große Volksmenge, die ihm dahin nachfolgte.*) Blieb er nachher allein auf einem Berge, um zu be- ten, so verließ er sogleich diese ihm angenehme Unter- haltung mit Gott, sobald er merkte, daß seine ge- liebten Jünger, wegen eines Sturms auf dem Mee- re, Noth litten. Hieraus siehet man, wie geschickt der Erlöser beydes mit einander zu verbinden wußte, für sich und für andre zu leben, wie weise er theils die Thorheit des Zerstreuungssüchtig[e]n, theils den Menschenhaß des Einsiedlers zu verm[e]iden wußte, zween Abwege, auf welche die Menschen zu allen Zei- ten sehr leicht gerathen sind, und noch gera[th]en.
Ehemals galt ein einsames der Betrachtung ganz gewidmetes Leben zu viel, und man hielt die gänzli- che Entfernung von der Welt für eine Annäherung zum Himmel und für eine ganz vorzügliche Religio- sität. Jn dem gegenwärtigen Zeitalter aber gilt Geselligkeit am meisten; Stille und Einsamkeit hin- gegen sind in einen üblen Ruf gekommen, und wer- den sehr vielen zur Last, weil sie sich da nicht auf ei- ne gute Art zu beschäftigen wissen. Viele Christen, in der großen und mittlern Welt, leben in unauf- hörlichen Zerstreuungen fort, ohne jemals zu sich selbst zu kommen. Jhr Leichtsinn kennt und schätzt
das
*) Matth. 24, 13-21.
Z 3
LIV. Betrachtung.
ſich gleich mit ſeinen Jüngern in eine Einöde, um daſelbſt auszuruhen, ſo lehrte und ſpeiſte er doch die große Volksmenge, die ihm dahin nachfolgte.*) Blieb er nachher allein auf einem Berge, um zu be- ten, ſo verließ er ſogleich dieſe ihm angenehme Unter- haltung mit Gott, ſobald er merkte, daß ſeine ge- liebten Jünger, wegen eines Sturms auf dem Mee- re, Noth litten. Hieraus ſiehet man, wie geſchickt der Erlöſer beydes mit einander zu verbinden wußte, für ſich und für andre zu leben, wie weiſe er theils die Thorheit des Zerſtreuungsſüchtig[e]n, theils den Menſchenhaß des Einſiedlers zu verm[e]iden wußte, zween Abwege, auf welche die Menſchen zu allen Zei- ten ſehr leicht gerathen ſind, und noch gera[th]en.
Ehemals galt ein einſames der Betrachtung ganz gewidmetes Leben zu viel, und man hielt die gänzli- che Entfernung von der Welt für eine Annäherung zum Himmel und für eine ganz vorzügliche Religio- ſität. Jn dem gegenwärtigen Zeitalter aber gilt Geſelligkeit am meiſten; Stille und Einſamkeit hin- gegen ſind in einen üblen Ruf gekommen, und wer- den ſehr vielen zur Laſt, weil ſie ſich da nicht auf ei- ne gute Art zu beſchäftigen wiſſen. Viele Chriſten, in der großen und mittlern Welt, leben in unauf- hörlichen Zerſtreuungen fort, ohne jemals zu ſich ſelbſt zu kommen. Jhr Leichtſinn kennt und ſchätzt
das
*) Matth. 24, 13-21.
Z 3
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LIV. Betrachtung.
ſich gleich mit ſeinen Jüngern in eine Einöde, um
daſelbſt auszuruhen, ſo lehrte und ſpeiſte er doch die
große Volksmenge, die ihm dahin nachfolgte. *)
Blieb er nachher allein auf einem Berge, um zu be-
ten, ſo verließ er ſogleich dieſe ihm angenehme Unter-
haltung mit Gott, ſobald er merkte, daß ſeine ge-
liebten Jünger, wegen eines Sturms auf dem Mee-
re, Noth litten. Hieraus ſiehet man, wie geſchickt
der Erlöſer beydes mit einander zu verbinden wußte,
für ſich und für andre zu leben, wie weiſe er theils
die Thorheit des Zerſtreuungsſüchtigen, theils den
Menſchenhaß des Einſiedlers zu vermeiden wußte,
zween Abwege, auf welche die Menſchen zu allen Zei-
ten ſehr leicht gerathen ſind, und noch gerathen.
Ehemals galt ein einſames der Betrachtung ganz
gewidmetes Leben zu viel, und man hielt die gänzli-
che Entfernung von der Welt für eine Annäherung
zum Himmel und für eine ganz vorzügliche Religio-
ſität. Jn dem gegenwärtigen Zeitalter aber gilt
Geſelligkeit am meiſten; Stille und Einſamkeit hin-
gegen ſind in einen üblen Ruf gekommen, und wer-
den ſehr vielen zur Laſt, weil ſie ſich da nicht auf ei-
ne gute Art zu beſchäftigen wiſſen. Viele Chriſten,
in der großen und mittlern Welt, leben in unauf-
hörlichen Zerſtreuungen fort, ohne jemals zu ſich
ſelbſt zu kommen. Jhr Leichtſinn kennt und ſchätzt
das
*) Matth. 24, 13-21.
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/383>, abgerufen am 16.07.2024.
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