Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LIX. Betrachtung. Juden aufhalten, und unter ihnen den ersten Grundzur Errichtung seines Reichs und zur Ausbreitung seiner Lehre legen sollte. Darum sprach er auch: ich bin nur gesandt zu den verlohrnen Schaafen vom Hause Israel; und als er seine Jünger zu lehren aus- sandte, gab er ihnen den Befehl: gehet nicht auf der Heyden Straße, ziehet nicht in der Samariter Städ- te: sondern gehet hin zu den verlohrnen Schaafen aus dem Hause Israel.*) Während seines Lebens sollten sie also den Heyden und Samaritern das Evangelium noch nicht predigen, sondern vor allen Dingen erst den Juden, die von jeher darauf waren vorbereitet worden, denen er ihre Vorzüge vor an- dern Völkern nicht streitig machen wollte, und die jetzt von ihren mit sich selbst uneinigen Lehrern irre geführt wurden, folglich nicht wußten, was sie glau- ben und thun sollten. Uebrigens war es auch billig und der Klugheit gemäß, die Juden zuerst zu beleh- ren. Denn wenn Jesus sogleich unter den Heyden seine Lehre hätte ausbreiten wollen, so würden die Juden alsdann zu stolz gewesen seyn, dieselbige erst von den Heyden anzunehmen. Umgekehrt aber, war es eher zu vermuthen. Dem ersten Anblicke nach scheint es also, als hätte Jesus alle, die nicht Juden waren, von seinen Belehrungen und menschenfreund- lichen Thaten ausschliessen wollen. Allein dies war seine Absicht nicht. Denn er versagte ihnen weder seinen *) Matth. 10, 5. 6. B b 4
LIX. Betrachtung. Juden aufhalten, und unter ihnen den erſten Grundzur Errichtung ſeines Reichs und zur Ausbreitung ſeiner Lehre legen ſollte. Darum ſprach er auch: ich bin nur geſandt zu den verlohrnen Schaafen vom Hauſe Iſrael; und als er ſeine Jünger zu lehren aus- ſandte, gab er ihnen den Befehl: gehet nicht auf der Heyden Straße, ziehet nicht in der Samariter Städ- te: ſondern gehet hin zu den verlohrnen Schaafen aus dem Hauſe Iſrael.*) Während ſeines Lebens ſollten ſie alſo den Heyden und Samaritern das Evangelium noch nicht predigen, ſondern vor allen Dingen erſt den Juden, die von jeher darauf waren vorbereitet worden, denen er ihre Vorzüge vor an- dern Völkern nicht ſtreitig machen wollte, und die jetzt von ihren mit ſich ſelbſt uneinigen Lehrern irre geführt wurden, folglich nicht wußten, was ſie glau- ben und thun ſollten. Uebrigens war es auch billig und der Klugheit gemäß, die Juden zuerſt zu beleh- ren. Denn wenn Jeſus ſogleich unter den Heyden ſeine Lehre hätte ausbreiten wollen, ſo würden die Juden alsdann zu ſtolz geweſen ſeyn, dieſelbige erſt von den Heyden anzunehmen. Umgekehrt aber, war es eher zu vermuthen. Dem erſten Anblicke nach ſcheint es alſo, als hätte Jeſus alle, die nicht Juden waren, von ſeinen Belehrungen und menſchenfreund- lichen Thaten ausſchlieſſen wollen. Allein dies war ſeine Abſicht nicht. Denn er verſagte ihnen weder ſeinen *) Matth. 10, 5. 6. B b 4
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LIX. Betrachtung.
Juden aufhalten, und unter ihnen den erſten Grund
zur Errichtung ſeines Reichs und zur Ausbreitung
ſeiner Lehre legen ſollte. Darum ſprach er auch: ich
bin nur geſandt zu den verlohrnen Schaafen vom
Hauſe Iſrael; und als er ſeine Jünger zu lehren aus-
ſandte, gab er ihnen den Befehl: gehet nicht auf der
Heyden Straße, ziehet nicht in der Samariter Städ-
te: ſondern gehet hin zu den verlohrnen Schaafen
aus dem Hauſe Iſrael. *) Während ſeines Lebens
ſollten ſie alſo den Heyden und Samaritern das
Evangelium noch nicht predigen, ſondern vor allen
Dingen erſt den Juden, die von jeher darauf waren
vorbereitet worden, denen er ihre Vorzüge vor an-
dern Völkern nicht ſtreitig machen wollte, und die
jetzt von ihren mit ſich ſelbſt uneinigen Lehrern irre
geführt wurden, folglich nicht wußten, was ſie glau-
ben und thun ſollten. Uebrigens war es auch billig
und der Klugheit gemäß, die Juden zuerſt zu beleh-
ren. Denn wenn Jeſus ſogleich unter den Heyden
ſeine Lehre hätte ausbreiten wollen, ſo würden die
Juden alsdann zu ſtolz geweſen ſeyn, dieſelbige erſt
von den Heyden anzunehmen. Umgekehrt aber, war
es eher zu vermuthen. Dem erſten Anblicke nach
ſcheint es alſo, als hätte Jeſus alle, die nicht Juden
waren, von ſeinen Belehrungen und menſchenfreund-
lichen Thaten ausſchlieſſen wollen. Allein dies war
ſeine Abſicht nicht. Denn er verſagte ihnen weder
ſeinen
*) Matth. 10, 5. 6.
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