wohnten Zärtlichkeit. Geriethen sie nun hernach bey seinem Leiden und Tode in die größte Bestürzung, wurden sie da gleich von vielen Zweifeln bestürmt; so mußten sie doch auch bald hernach einsehen, daß ih- nen das alles nicht unerwartet käme. Sie mußten doch denken: er hats uns ja voraus gesagt, daß es so kommen würde; und eben diese Zurückerinnerung an seine Reden, mußte sie alsdenn gar sehr beruhi- gen, ihre Zweifel und ängstlichen Besorgnisse heben.
Möchten wir doch auch diesen edlen liebevollen Sinn Jesu haben und nachahmen, da wir oft in Fäl- le kommen, wo wir den Unsrigen etwas Unangeneh- mes sagen müssen. Es ist immer gut, wenn wir in Zeiten mit ihnen von den traurigen Schicksalen sprechen, die sie und uns treffen können; wenn wir in Zeiten mit ihnen von der Trennung reden, die uns im Tode bevorsteht. Jndessen wollen wir ohne Noth nie etwas sagen, was ihnen Betrübniß verursachen, und ihre Gemüther der Zukunft wegen mit Furcht und Bangigkeit erfüllen könnte. Denn der ist kein guter Mensch, der die Seinigen gerne mißvergnügt sieht, oder der sie ohne allen Nutzen traurig macht. Jst es aber schlechterdings nöthig, daß wir den Un- srigen oder andern Personen etwas Unangenehmes sagen, einen schmerzhaften Verlust, oder sonst etwas Trauriges entdecken müssen, das ihnen wahrschein- lich bevorsteht: so wollen wir es auf eine eben so wei-
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LXI. Betrachtung.
wohnten Zärtlichkeit. Geriethen ſie nun hernach bey ſeinem Leiden und Tode in die größte Beſtürzung, wurden ſie da gleich von vielen Zweifeln beſtürmt; ſo mußten ſie doch auch bald hernach einſehen, daß ih- nen das alles nicht unerwartet käme. Sie mußten doch denken: er hats uns ja voraus geſagt, daß es ſo kommen würde; und eben dieſe Zurückerinnerung an ſeine Reden, mußte ſie alsdenn gar ſehr beruhi- gen, ihre Zweifel und ängſtlichen Beſorgniſſe heben.
Möchten wir doch auch dieſen edlen liebevollen Sinn Jeſu haben und nachahmen, da wir oft in Fäl- le kommen, wo wir den Unſrigen etwas Unangeneh- mes ſagen müſſen. Es iſt immer gut, wenn wir in Zeiten mit ihnen von den traurigen Schickſalen ſprechen, die ſie und uns treffen können; wenn wir in Zeiten mit ihnen von der Trennung reden, die uns im Tode bevorſteht. Jndeſſen wollen wir ohne Noth nie etwas ſagen, was ihnen Betrübniß verurſachen, und ihre Gemüther der Zukunft wegen mit Furcht und Bangigkeit erfüllen könnte. Denn der iſt kein guter Menſch, der die Seinigen gerne mißvergnügt ſieht, oder der ſie ohne allen Nutzen traurig macht. Jſt es aber ſchlechterdings nöthig, daß wir den Un- ſrigen oder andern Perſonen etwas Unangenehmes ſagen, einen ſchmerzhaften Verluſt, oder ſonſt etwas Trauriges entdecken müſſen, das ihnen wahrſchein- lich bevorſteht: ſo wollen wir es auf eine eben ſo wei-
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LXI. Betrachtung.
wohnten Zärtlichkeit. Geriethen ſie nun hernach
bey ſeinem Leiden und Tode in die größte Beſtürzung,
wurden ſie da gleich von vielen Zweifeln beſtürmt; ſo
mußten ſie doch auch bald hernach einſehen, daß ih-
nen das alles nicht unerwartet käme. Sie mußten
doch denken: er hats uns ja voraus geſagt, daß es
ſo kommen würde; und eben dieſe Zurückerinnerung
an ſeine Reden, mußte ſie alsdenn gar ſehr beruhi-
gen, ihre Zweifel und ängſtlichen Beſorgniſſe heben.
Möchten wir doch auch dieſen edlen liebevollen
Sinn Jeſu haben und nachahmen, da wir oft in Fäl-
le kommen, wo wir den Unſrigen etwas Unangeneh-
mes ſagen müſſen. Es iſt immer gut, wenn wir
in Zeiten mit ihnen von den traurigen Schickſalen
ſprechen, die ſie und uns treffen können; wenn wir
in Zeiten mit ihnen von der Trennung reden, die uns
im Tode bevorſteht. Jndeſſen wollen wir ohne Noth
nie etwas ſagen, was ihnen Betrübniß verurſachen,
und ihre Gemüther der Zukunft wegen mit Furcht
und Bangigkeit erfüllen könnte. Denn der iſt kein
guter Menſch, der die Seinigen gerne mißvergnügt
ſieht, oder der ſie ohne allen Nutzen traurig macht.
Jſt es aber ſchlechterdings nöthig, daß wir den Un-
ſrigen oder andern Perſonen etwas Unangenehmes
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Trauriges entdecken müſſen, das ihnen wahrſchein-
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/433>, abgerufen am 16.07.2024.
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