Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.III. Betrachtung. ser schämen würde, wenn er in unsrer Lage wäre.Von ihm können wir selbst die Tugenden lernen, die von den meisten Menschen vernachläßiget werden, ob sie gleich zu unserer Glückseligkeit recht sichtbar nöthig sind. Täglich haben wir zur Feindesliebe, zur Versöhnlichkeit, zur Selbstbeherrschung Veran- lassung. Was kann uns aber wohl zur Ausübung dieser Tugenden, die uns oft so schwer vorkommen, mehr erwecken, als das Beyspiel Jesu? Denn da seine Tugend alle, selbst die härtesten Proben ausge- halten hat: nun so muß sein Beyspiel weit stärker auf uns wirken, als alle Beyspiele der Menschen; so dürfen wir uns nicht weigern, auch die Pflichten zu beobachten, deren Ausübung uns Anstrengung und Ueberwindung kostet. Ohnmöglich können wir dann schon seine ächten Schüler seyn, wenn wir blos die leichten Tugenden ausüben, und die schweren verabsäumen, denn er ruft uns zu: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir,*) das ist: Wer mein Schüler seyn will, der muß sich selbst strenge beherr- schen, muß sich selbst Leiden gefallen lassen, und mir überhaupt nachfolgen. Und nun so stärke uns denn in diesem Entschluß, uns *) Matth. 16, 24.
III. Betrachtung. ſer ſchämen würde, wenn er in unſrer Lage wäre.Von ihm können wir ſelbſt die Tugenden lernen, die von den meiſten Menſchen vernachläßiget werden, ob ſie gleich zu unſerer Glückſeligkeit recht ſichtbar nöthig ſind. Täglich haben wir zur Feindesliebe, zur Verſöhnlichkeit, zur Selbſtbeherrſchung Veran- laſſung. Was kann uns aber wohl zur Ausübung dieſer Tugenden, die uns oft ſo ſchwer vorkommen, mehr erwecken, als das Beyſpiel Jeſu? Denn da ſeine Tugend alle, ſelbſt die härteſten Proben ausge- halten hat: nun ſo muß ſein Beyſpiel weit ſtärker auf uns wirken, als alle Beyſpiele der Menſchen; ſo dürfen wir uns nicht weigern, auch die Pflichten zu beobachten, deren Ausübung uns Anſtrengung und Ueberwindung koſtet. Ohnmöglich können wir dann ſchon ſeine ächten Schüler ſeyn, wenn wir blos die leichten Tugenden ausüben, und die ſchweren verabſäumen, denn er ruft uns zu: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne ſich ſelbſt, und nehme ſein Kreuz auf ſich und folge mir,*) das iſt: Wer mein Schüler ſeyn will, der muß ſich ſelbſt ſtrenge beherr- ſchen, muß ſich ſelbſt Leiden gefallen laſſen, und mir überhaupt nachfolgen. Und nun ſo ſtärke uns denn in dieſem Entſchluß, uns *) Matth. 16, 24.
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III. Betrachtung.
ſer ſchämen würde, wenn er in unſrer Lage wäre.
Von ihm können wir ſelbſt die Tugenden lernen,
die von den meiſten Menſchen vernachläßiget werden,
ob ſie gleich zu unſerer Glückſeligkeit recht ſichtbar
nöthig ſind. Täglich haben wir zur Feindesliebe,
zur Verſöhnlichkeit, zur Selbſtbeherrſchung Veran-
laſſung. Was kann uns aber wohl zur Ausübung
dieſer Tugenden, die uns oft ſo ſchwer vorkommen,
mehr erwecken, als das Beyſpiel Jeſu? Denn da
ſeine Tugend alle, ſelbſt die härteſten Proben ausge-
halten hat: nun ſo muß ſein Beyſpiel weit ſtärker
auf uns wirken, als alle Beyſpiele der Menſchen;
ſo dürfen wir uns nicht weigern, auch die Pflichten
zu beobachten, deren Ausübung uns Anſtrengung
und Ueberwindung koſtet. Ohnmöglich können wir
dann ſchon ſeine ächten Schüler ſeyn, wenn wir blos
die leichten Tugenden ausüben, und die ſchweren
verabſäumen, denn er ruft uns zu: Will mir jemand
nachfolgen, der verleugne ſich ſelbſt, und nehme ſein
Kreuz auf ſich und folge mir, *) das iſt: Wer mein
Schüler ſeyn will, der muß ſich ſelbſt ſtrenge beherr-
ſchen, muß ſich ſelbſt Leiden gefallen laſſen, und mir
überhaupt nachfolgen.
Und nun ſo ſtärke uns denn in dieſem Entſchluß,
o Jeſu! Laß uns überall den Weg wandeln, den
du, als unſer Vorgänger, auch gegangen biſt. Laß
uns
*) Matth. 16, 24.
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