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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
tungen wurden aber in einer ganz anderen Weise ausgeführt;
denn an die Tempelbauten schlossen sich große umsäulte Plätze,
durch Mauern vom städtischen Gedränge freigehalten, für ge¬
richtliche Geschäfte eingerichtet und außerdem den gebildeten
Ständen zur Belehrung und zum Genusse. Denn die Tempel¬
hallen umschlossen eine Reihe von Sehenswürdigkeiten; Cäsar
selbst hatte sechs Sammlungen geschnittener Steine dort nie¬
dergelegt.

Die Blüthe dieser Anlage war der Tempel des pala¬
tinischen Apollo, desjenigen Gottes, welcher vorzugsweise be¬
rufen war, die hellenisch gebildeten Nationen mit einander zu
verschmelzen. In den Hallen war die griechische und die la¬
teinische Bibliothek aufgestellt; im Innern sah man unter zahl¬
reichen Weihgeschenken die Bildsäule des Skopas hervorragen,
an den Thüren die Schicksale der Niobiden in Elfenbein, im
Giebel alte Skulpturwerke aus der Schule von Chios, vor
dem Eingange die ehernen Stiere des Myron.

Das waren also Museen, wie die alten Tempel Griechen¬
lands und Italiens, aber absichtlich angelegte, politische Stif¬
tungen in religiöser Form, um Rom den hellenischen Pracht¬
städten gleichartig zu machen, Denkmäler von Siegen, welche
über die Weltherrschaft entschieden, aber zugleich in so liberaler
Weise auf den Nutzen des Volks berechnet, wie nichts Früheres.
Denn auch die Thermen wurden Kunstmuseen, an denen das
Volk sich in der Muße der Badestunde erfreuen sollte. Das
Meisterwerk des Lysippos ließ Agrippa vor seinen Thermen
aufstellen und in den Titusthermen stand Laokoon.

Das war der im guten Sinne demokratische Geist, wel¬
cher mit der hellenischen Kunst herübergekommen war; ihm
huldigten die Cäsaren und hier begegnete die dynastische Po¬
litik dem Sinne der Republikaner, welchen die Hoffart der
Nobilität verhaßt war, welche nur in selbstsüchtiger Absicht
sammeln wollte.

Lange gedachte man in Rom an die großartige Rede des
Agrippa, in der er öffentlich gesagt hatte, man thue besser,
sämmtliche Gemälde und sämmtliche Bildwerke in Rom zu

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
tungen wurden aber in einer ganz anderen Weiſe ausgeführt;
denn an die Tempelbauten ſchloſſen ſich große umſäulte Plätze,
durch Mauern vom ſtädtiſchen Gedränge freigehalten, für ge¬
richtliche Geſchäfte eingerichtet und außerdem den gebildeten
Ständen zur Belehrung und zum Genuſſe. Denn die Tempel¬
hallen umſchloſſen eine Reihe von Sehenswürdigkeiten; Cäſar
ſelbſt hatte ſechs Sammlungen geſchnittener Steine dort nie¬
dergelegt.

Die Blüthe dieſer Anlage war der Tempel des pala¬
tiniſchen Apollo, desjenigen Gottes, welcher vorzugsweiſe be¬
rufen war, die helleniſch gebildeten Nationen mit einander zu
verſchmelzen. In den Hallen war die griechiſche und die la¬
teiniſche Bibliothek aufgeſtellt; im Innern ſah man unter zahl¬
reichen Weihgeſchenken die Bildſäule des Skopas hervorragen,
an den Thüren die Schickſale der Niobiden in Elfenbein, im
Giebel alte Skulpturwerke aus der Schule von Chios, vor
dem Eingange die ehernen Stiere des Myron.

Das waren alſo Muſeen, wie die alten Tempel Griechen¬
lands und Italiens, aber abſichtlich angelegte, politiſche Stif¬
tungen in religiöſer Form, um Rom den helleniſchen Pracht¬
ſtädten gleichartig zu machen, Denkmäler von Siegen, welche
über die Weltherrſchaft entſchieden, aber zugleich in ſo liberaler
Weiſe auf den Nutzen des Volks berechnet, wie nichts Früheres.
Denn auch die Thermen wurden Kunſtmuſeen, an denen das
Volk ſich in der Muße der Badeſtunde erfreuen ſollte. Das
Meiſterwerk des Lyſippos ließ Agrippa vor ſeinen Thermen
aufſtellen und in den Titusthermen ſtand Laokoon.

Das war der im guten Sinne demokratiſche Geiſt, wel¬
cher mit der helleniſchen Kunſt herübergekommen war; ihm
huldigten die Cäſaren und hier begegnete die dynaſtiſche Po¬
litik dem Sinne der Republikaner, welchen die Hoffart der
Nobilität verhaßt war, welche nur in ſelbſtſüchtiger Abſicht
ſammeln wollte.

Lange gedachte man in Rom an die großartige Rede des
Agrippa, in der er öffentlich geſagt hatte, man thue beſſer,
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[103/0119] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. tungen wurden aber in einer ganz anderen Weiſe ausgeführt; denn an die Tempelbauten ſchloſſen ſich große umſäulte Plätze, durch Mauern vom ſtädtiſchen Gedränge freigehalten, für ge¬ richtliche Geſchäfte eingerichtet und außerdem den gebildeten Ständen zur Belehrung und zum Genuſſe. Denn die Tempel¬ hallen umſchloſſen eine Reihe von Sehenswürdigkeiten; Cäſar ſelbſt hatte ſechs Sammlungen geſchnittener Steine dort nie¬ dergelegt. Die Blüthe dieſer Anlage war der Tempel des pala¬ tiniſchen Apollo, desjenigen Gottes, welcher vorzugsweiſe be¬ rufen war, die helleniſch gebildeten Nationen mit einander zu verſchmelzen. In den Hallen war die griechiſche und die la¬ teiniſche Bibliothek aufgeſtellt; im Innern ſah man unter zahl¬ reichen Weihgeſchenken die Bildſäule des Skopas hervorragen, an den Thüren die Schickſale der Niobiden in Elfenbein, im Giebel alte Skulpturwerke aus der Schule von Chios, vor dem Eingange die ehernen Stiere des Myron. Das waren alſo Muſeen, wie die alten Tempel Griechen¬ lands und Italiens, aber abſichtlich angelegte, politiſche Stif¬ tungen in religiöſer Form, um Rom den helleniſchen Pracht¬ ſtädten gleichartig zu machen, Denkmäler von Siegen, welche über die Weltherrſchaft entſchieden, aber zugleich in ſo liberaler Weiſe auf den Nutzen des Volks berechnet, wie nichts Früheres. Denn auch die Thermen wurden Kunſtmuſeen, an denen das Volk ſich in der Muße der Badeſtunde erfreuen ſollte. Das Meiſterwerk des Lyſippos ließ Agrippa vor ſeinen Thermen aufſtellen und in den Titusthermen ſtand Laokoon. Das war der im guten Sinne demokratiſche Geiſt, wel¬ cher mit der helleniſchen Kunſt herübergekommen war; ihm huldigten die Cäſaren und hier begegnete die dynaſtiſche Po¬ litik dem Sinne der Republikaner, welchen die Hoffart der Nobilität verhaßt war, welche nur in ſelbſtſüchtiger Abſicht ſammeln wollte. Lange gedachte man in Rom an die großartige Rede des Agrippa, in der er öffentlich geſagt hatte, man thue beſſer, ſämmtliche Gemälde und ſämmtliche Bildwerke in Rom zu

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/119>, abgerufen am 29.11.2024.