Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung. Theil seiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬asien wurden gebrandschatzt. In langen Reihen standen die Götter der alten Welt vor den Palastfronten und in den Hallen; die öffentlichen Bäder waren Museen, in der Sophien¬ kirche kamen über 420 Statuen zusammen, Herkunft und Be¬ deutung der geschichtlichen Denkmäler wurde durch Inschriften angegeben und ein eigenes Hofamt sorgte für die Sammlungen, welche das Herrschaftsgeschmeide der neuen Weltstadt waren. Indessen schien es, als ob die Kunstwerke des Alterthums Es sollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. Theil ſeiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬aſien wurden gebrandſchatzt. In langen Reihen ſtanden die Götter der alten Welt vor den Palaſtfronten und in den Hallen; die öffentlichen Bäder waren Muſeen, in der Sophien¬ kirche kamen über 420 Statuen zuſammen, Herkunft und Be¬ deutung der geſchichtlichen Denkmäler wurde durch Inſchriften angegeben und ein eigenes Hofamt ſorgte für die Sammlungen, welche das Herrſchaftsgeſchmeide der neuen Weltſtadt waren. Indeſſen ſchien es, als ob die Kunſtwerke des Alterthums Es ſollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0121" n="105"/><fw place="top" type="header">Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.<lb/></fw> Theil ſeiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬<lb/> aſien wurden gebrandſchatzt. In langen Reihen ſtanden die<lb/> Götter der alten Welt vor den Palaſtfronten und in den<lb/> Hallen; die öffentlichen Bäder waren Muſeen, in der Sophien¬<lb/> kirche kamen über 420 Statuen zuſammen, Herkunft und Be¬<lb/> deutung der geſchichtlichen Denkmäler wurde durch Inſchriften<lb/> angegeben und ein eigenes Hofamt ſorgte für die Sammlungen,<lb/> welche das Herrſchaftsgeſchmeide der neuen Weltſtadt waren.</p><lb/> <p>Indeſſen ſchien es, als ob die Kunſtwerke des Alterthums<lb/> nur deshalb in Rom und Byzanz angehäuft worden wären,<lb/> um bei den Feuersbrünſten und andern Kataſtrophen, denen<lb/> die Großſtädte vorzugsweiſe ausgeſetzt waren, maſſenweiſe<lb/> unterzugehen. Neue Stadtquartiere erhoben ſich über dem<lb/> Schutte, der die alte Herrlichkeit bedeckte, und wo ſich hier<lb/> und da etwas auf der Oberfläche erhalten hatte, waren die<lb/> Augen der Menſchen gehalten; man ſah nichts, man wußte<lb/> nichts zu erkennen und zu würdigen.</p><lb/> <p>Es ſollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die<lb/> alte Welt von der Gegenwart getrennt bleiben. Nachdem<lb/> ſchon mehrfach eine Ahnung von der verſunkenen Wunder¬<lb/> welt und eine Sehnſucht nach ihren Schätzen ſich angemeldet<lb/> hatte, kam endlich ein Trieb von unwiderſtehlicher Kraft zum<lb/> Durchbruch, welcher den Menſchen keine Ruhe ließ, bis die<lb/> auseinander geriſſenen Hälften der Menſchheit wieder zuſam¬<lb/> men kamen. An Stelle gleichgültiger Beſchränktheit trat ein<lb/> Wiſſensdurſt, dem kein Genüge zu ſchaffen war; die Augen<lb/> öffneten ſich für das, an dem man ſtumpfſinnig vorbeigegangen<lb/> war. Auch das Ferne ſuchte man auf, und als Cyriacus,<lb/> der erſte aller wiſſenſchaftlichen Reiſenden jener Zeit (um 1430),<lb/> gefragt wurde, weshalb er ſich doch mit Inſchriften und Denk¬<lb/> mälern abquäle, antwortete er: »um die Todten aufzuwecken.«<lb/> Nicht das äſthetiſche Intereſſe war maßgebend, ſondern das<lb/> hiſtoriſche; darum war auch der kleinſte Ueberreſt von Be¬<lb/> deutung und je weniger erhalten war, je mehr Alles hervor¬<lb/> geſucht und zuſammengebracht werden mußte, um ſo lebhafter<lb/> ſteigerte ſich der Sammeleifer.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [105/0121]
Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Theil ſeiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬
aſien wurden gebrandſchatzt. In langen Reihen ſtanden die
Götter der alten Welt vor den Palaſtfronten und in den
Hallen; die öffentlichen Bäder waren Muſeen, in der Sophien¬
kirche kamen über 420 Statuen zuſammen, Herkunft und Be¬
deutung der geſchichtlichen Denkmäler wurde durch Inſchriften
angegeben und ein eigenes Hofamt ſorgte für die Sammlungen,
welche das Herrſchaftsgeſchmeide der neuen Weltſtadt waren.
Indeſſen ſchien es, als ob die Kunſtwerke des Alterthums
nur deshalb in Rom und Byzanz angehäuft worden wären,
um bei den Feuersbrünſten und andern Kataſtrophen, denen
die Großſtädte vorzugsweiſe ausgeſetzt waren, maſſenweiſe
unterzugehen. Neue Stadtquartiere erhoben ſich über dem
Schutte, der die alte Herrlichkeit bedeckte, und wo ſich hier
und da etwas auf der Oberfläche erhalten hatte, waren die
Augen der Menſchen gehalten; man ſah nichts, man wußte
nichts zu erkennen und zu würdigen.
Es ſollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die
alte Welt von der Gegenwart getrennt bleiben. Nachdem
ſchon mehrfach eine Ahnung von der verſunkenen Wunder¬
welt und eine Sehnſucht nach ihren Schätzen ſich angemeldet
hatte, kam endlich ein Trieb von unwiderſtehlicher Kraft zum
Durchbruch, welcher den Menſchen keine Ruhe ließ, bis die
auseinander geriſſenen Hälften der Menſchheit wieder zuſam¬
men kamen. An Stelle gleichgültiger Beſchränktheit trat ein
Wiſſensdurſt, dem kein Genüge zu ſchaffen war; die Augen
öffneten ſich für das, an dem man ſtumpfſinnig vorbeigegangen
war. Auch das Ferne ſuchte man auf, und als Cyriacus,
der erſte aller wiſſenſchaftlichen Reiſenden jener Zeit (um 1430),
gefragt wurde, weshalb er ſich doch mit Inſchriften und Denk¬
mälern abquäle, antwortete er: »um die Todten aufzuwecken.«
Nicht das äſthetiſche Intereſſe war maßgebend, ſondern das
hiſtoriſche; darum war auch der kleinſte Ueberreſt von Be¬
deutung und je weniger erhalten war, je mehr Alles hervor¬
geſucht und zuſammengebracht werden mußte, um ſo lebhafter
ſteigerte ſich der Sammeleifer.
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