feste des neuen Tempels die große Diana von Ephesus am herrlichsten gefeiert hatte.
Am vollkommensten aber entfaltete sich hellenischer Wett¬ eifer in der vollendetsten Kunstgattung -- im Drama. Denn ein großartigeres Schauspiel bürgerlichen Wetteifers hat die Welt nicht gesehen, als wenn zu des Dionysos Ehren die Festchöre aufzogen, welche die reichen Bürger Athens im Na¬ men der Stämme, denen sie angehörten, ausgestattet und ein¬ geübt hatten. Hier traten alle Geisteskräfte, mit denen die Hellenen gesegnet waren, alle Künste, die in Athen blühten, in brüderlichem Wetteifer zusammen. Die Baukunst empfing die Bürger und Gäste in ihren Marmorhallen und schmückte die Bühne mit Hülfe der Malerei und Plastik; die Orchestik ord¬ nete die Tänze, die Musik beseelte die Chorlieder, der Schau¬ spieler dachte sich in die Seele der Heroen hinein, deren Thaten und Leiden er dem Volke vorführte -- Alles aber diente wetteifernd der königlichen Kunst, der Poesie, die das Ganze leitend zusammenhielt. Wenn in solchem Geiste nach dem Höchsten gerungen wurde, so begreift man, daß die Athe¬ ner ihrem von Land- und Seesiegen heimkehrenden Helden keine größere Ehre zu erweisen wußten, als daß sie ihm zwi¬ schen den wetteifernden Chören des Aeschylos und Sophokles das Urtheil des Preisrichters anheimgaben.
Alle Kunst der Griechen war an unmittelbare Anerkennung von Seiten des Volks gewöhnt. Der Geschichtschreiber las dem Volke seine Geschichte vor, die Meister und Schüler der bildenden Kunst wetteiferten in Darstellung der Götter und Heroen vor dem Volke. Das ganze Volk wurde überall in die Interessen der Kunst hereingezogen; es wurden Alle zum Prüfen, zum Urtheilen gewöhnt und lernten von Jugend an durch begeisterte und selbstthätige Theilnahme den Genuß er¬ höhen. So wurde die Kunst, so namentlich das Theater den Griechen eine Volksschule im höchsten Sinne des Worts.
So sehr es aber auch der freie Wettkampf der Kräfte war, der wie der belebende Hauch durch die gesammte Thätig¬ keit, durch alle Leistungen der Griechen hindurchwehte, so waren
Der Wettkampf.
feſte des neuen Tempels die große Diana von Epheſus am herrlichſten gefeiert hatte.
Am vollkommenſten aber entfaltete ſich helleniſcher Wett¬ eifer in der vollendetſten Kunſtgattung — im Drama. Denn ein großartigeres Schauſpiel bürgerlichen Wetteifers hat die Welt nicht geſehen, als wenn zu des Dionyſos Ehren die Feſtchöre aufzogen, welche die reichen Bürger Athens im Na¬ men der Stämme, denen ſie angehörten, ausgeſtattet und ein¬ geübt hatten. Hier traten alle Geiſteskräfte, mit denen die Hellenen geſegnet waren, alle Künſte, die in Athen blühten, in brüderlichem Wetteifer zuſammen. Die Baukunſt empfing die Bürger und Gäſte in ihren Marmorhallen und ſchmückte die Bühne mit Hülfe der Malerei und Plaſtik; die Orcheſtik ord¬ nete die Tänze, die Muſik beſeelte die Chorlieder, der Schau¬ ſpieler dachte ſich in die Seele der Heroen hinein, deren Thaten und Leiden er dem Volke vorführte — Alles aber diente wetteifernd der königlichen Kunſt, der Poeſie, die das Ganze leitend zuſammenhielt. Wenn in ſolchem Geiſte nach dem Höchſten gerungen wurde, ſo begreift man, daß die Athe¬ ner ihrem von Land- und Seeſiegen heimkehrenden Helden keine größere Ehre zu erweiſen wußten, als daß ſie ihm zwi¬ ſchen den wetteifernden Chören des Aeſchylos und Sophokles das Urtheil des Preisrichters anheimgaben.
Alle Kunſt der Griechen war an unmittelbare Anerkennung von Seiten des Volks gewöhnt. Der Geſchichtſchreiber las dem Volke ſeine Geſchichte vor, die Meiſter und Schüler der bildenden Kunſt wetteiferten in Darſtellung der Götter und Heroen vor dem Volke. Das ganze Volk wurde überall in die Intereſſen der Kunſt hereingezogen; es wurden Alle zum Prüfen, zum Urtheilen gewöhnt und lernten von Jugend an durch begeiſterte und ſelbſtthätige Theilnahme den Genuß er¬ höhen. So wurde die Kunſt, ſo namentlich das Theater den Griechen eine Volksſchule im höchſten Sinne des Worts.
So ſehr es aber auch der freie Wettkampf der Kräfte war, der wie der belebende Hauch durch die geſammte Thätig¬ keit, durch alle Leiſtungen der Griechen hindurchwehte, ſo waren
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Der Wettkampf.
feſte des neuen Tempels die große Diana von Epheſus am
herrlichſten gefeiert hatte.
Am vollkommenſten aber entfaltete ſich helleniſcher Wett¬
eifer in der vollendetſten Kunſtgattung — im Drama. Denn
ein großartigeres Schauſpiel bürgerlichen Wetteifers hat die
Welt nicht geſehen, als wenn zu des Dionyſos Ehren die
Feſtchöre aufzogen, welche die reichen Bürger Athens im Na¬
men der Stämme, denen ſie angehörten, ausgeſtattet und ein¬
geübt hatten. Hier traten alle Geiſteskräfte, mit denen die
Hellenen geſegnet waren, alle Künſte, die in Athen blühten, in
brüderlichem Wetteifer zuſammen. Die Baukunſt empfing die
Bürger und Gäſte in ihren Marmorhallen und ſchmückte die
Bühne mit Hülfe der Malerei und Plaſtik; die Orcheſtik ord¬
nete die Tänze, die Muſik beſeelte die Chorlieder, der Schau¬
ſpieler dachte ſich in die Seele der Heroen hinein, deren
Thaten und Leiden er dem Volke vorführte — Alles aber
diente wetteifernd der königlichen Kunſt, der Poeſie, die das
Ganze leitend zuſammenhielt. Wenn in ſolchem Geiſte nach
dem Höchſten gerungen wurde, ſo begreift man, daß die Athe¬
ner ihrem von Land- und Seeſiegen heimkehrenden Helden
keine größere Ehre zu erweiſen wußten, als daß ſie ihm zwi¬
ſchen den wetteifernden Chören des Aeſchylos und Sophokles
das Urtheil des Preisrichters anheimgaben.
Alle Kunſt der Griechen war an unmittelbare Anerkennung
von Seiten des Volks gewöhnt. Der Geſchichtſchreiber las
dem Volke ſeine Geſchichte vor, die Meiſter und Schüler der
bildenden Kunſt wetteiferten in Darſtellung der Götter und
Heroen vor dem Volke. Das ganze Volk wurde überall in
die Intereſſen der Kunſt hereingezogen; es wurden Alle zum
Prüfen, zum Urtheilen gewöhnt und lernten von Jugend an
durch begeiſterte und ſelbſtthätige Theilnahme den Genuß er¬
höhen. So wurde die Kunſt, ſo namentlich das Theater den
Griechen eine Volksſchule im höchſten Sinne des Worts.
So ſehr es aber auch der freie Wettkampf der Kräfte
war, der wie der belebende Hauch durch die geſammte Thätig¬
keit, durch alle Leiſtungen der Griechen hindurchwehte, ſo waren
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/155>, abgerufen am 04.12.2024.
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