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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Arbeit und Muße.
den Ernst bewundern, mit dem die eingewanderten Juden in¬
mitten aller Unruhe und Zerstreuung an ihrem altväterlichen
Sabbath festhielten und so wurde schon in den ersten Zeiten
des Principats der Einfluß der siebentägigen Woche bemerk¬
bar, die mit ihrem regelmäßigen Ruhetage in der Geschichte
der Muße die wichtigste Epoche bezeichnet.

Muße und Gottesdienst hangen freilich bei allen Völkern
nahe zusammen, wie Feste und Ferien. Frei von den Sorgen
des Berufs, fern von Hader und Streit, gereinigt von aller
Unsauberkeit des Alltagslebens und in stiller Sammlung soll
man vor den Göttern erscheinen und ihnen aus dem ganzen
Jahre, auf das sie Anspruch haben, in jedem Monate gewisse
Zeitfristen weihen, wo sie in ihr volles Recht eintreten; feste
oder bewegliche Feiertage, wo die Menschen ohne Unterschied
von Rang und Stand in ihrer Allen gemeinsamen Bedürftig¬
keit und Verpflichtung der Gottheit nahen.

Der Wechsel von Arbeits- und Mußetagen erschien auch
den Alten als etwas so Ursprüngliches, so Unentbehrliches und
mit der Religion Zusammenhängendes, daß sie darin nicht
eine Erfindung menschlicher Klugheit, sondern eine göttliche
Ordnung erblicken; wie Platon sagt, aus Erbarmen mit dem
mühseligen Leben der Sterblichen habe die Gottheit die Tage
festlicher Erholung eingerichtet und ihnen dazu Apollon und
die Musen nebst Dionysos beigesellt.

Mit der Häufung der Festlichkeiten und dem äußeren
Glanz ist aber die ursprüngliche Bedeutung des Festwesens
und seine sittliche Wirksamkeit immer mehr zurückgetreten. In
üppigen Seestädten wie Tarent gab es mehr Feier- als Werk¬
tage, und die Verwilderung des Festjahrs, die Verweltlichung
des öffentlichen Cultus und die Zerstörung einer vernünftigen
Abwechselung von Arbeit und Muße hat wesentlich dazu bei¬
getragen, die Gesundheit des antiken Volkslebens zu unter¬
graben.

Darum mußte der gemeinsamen Grundanschauungen un¬
geachtet die mosaische Stiftung Griechen wie Römern als
etwas wesentlich Neues erscheinen. An Stelle des unruhigen

Arbeit und Muße.
den Ernſt bewundern, mit dem die eingewanderten Juden in¬
mitten aller Unruhe und Zerſtreuung an ihrem altväterlichen
Sabbath feſthielten und ſo wurde ſchon in den erſten Zeiten
des Principats der Einfluß der ſiebentägigen Woche bemerk¬
bar, die mit ihrem regelmäßigen Ruhetage in der Geſchichte
der Muße die wichtigſte Epoche bezeichnet.

Muße und Gottesdienſt hangen freilich bei allen Völkern
nahe zuſammen, wie Feſte und Ferien. Frei von den Sorgen
des Berufs, fern von Hader und Streit, gereinigt von aller
Unſauberkeit des Alltagslebens und in ſtiller Sammlung ſoll
man vor den Göttern erſcheinen und ihnen aus dem ganzen
Jahre, auf das ſie Anſpruch haben, in jedem Monate gewiſſe
Zeitfriſten weihen, wo ſie in ihr volles Recht eintreten; feſte
oder bewegliche Feiertage, wo die Menſchen ohne Unterſchied
von Rang und Stand in ihrer Allen gemeinſamen Bedürftig¬
keit und Verpflichtung der Gottheit nahen.

Der Wechſel von Arbeits- und Mußetagen erſchien auch
den Alten als etwas ſo Urſprüngliches, ſo Unentbehrliches und
mit der Religion Zuſammenhängendes, daß ſie darin nicht
eine Erfindung menſchlicher Klugheit, ſondern eine göttliche
Ordnung erblicken; wie Platon ſagt, aus Erbarmen mit dem
mühſeligen Leben der Sterblichen habe die Gottheit die Tage
feſtlicher Erholung eingerichtet und ihnen dazu Apollon und
die Muſen nebſt Dionyſos beigeſellt.

Mit der Häufung der Feſtlichkeiten und dem äußeren
Glanz iſt aber die urſprüngliche Bedeutung des Feſtweſens
und ſeine ſittliche Wirkſamkeit immer mehr zurückgetreten. In
üppigen Seeſtädten wie Tarent gab es mehr Feier- als Werk¬
tage, und die Verwilderung des Feſtjahrs, die Verweltlichung
des öffentlichen Cultus und die Zerſtörung einer vernünftigen
Abwechſelung von Arbeit und Muße hat weſentlich dazu bei¬
getragen, die Geſundheit des antiken Volkslebens zu unter¬
graben.

Darum mußte der gemeinſamen Grundanſchauungen un¬
geachtet die moſaiſche Stiftung Griechen wie Römern als
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[156/0172] Arbeit und Muße. den Ernſt bewundern, mit dem die eingewanderten Juden in¬ mitten aller Unruhe und Zerſtreuung an ihrem altväterlichen Sabbath feſthielten und ſo wurde ſchon in den erſten Zeiten des Principats der Einfluß der ſiebentägigen Woche bemerk¬ bar, die mit ihrem regelmäßigen Ruhetage in der Geſchichte der Muße die wichtigſte Epoche bezeichnet. Muße und Gottesdienſt hangen freilich bei allen Völkern nahe zuſammen, wie Feſte und Ferien. Frei von den Sorgen des Berufs, fern von Hader und Streit, gereinigt von aller Unſauberkeit des Alltagslebens und in ſtiller Sammlung ſoll man vor den Göttern erſcheinen und ihnen aus dem ganzen Jahre, auf das ſie Anſpruch haben, in jedem Monate gewiſſe Zeitfriſten weihen, wo ſie in ihr volles Recht eintreten; feſte oder bewegliche Feiertage, wo die Menſchen ohne Unterſchied von Rang und Stand in ihrer Allen gemeinſamen Bedürftig¬ keit und Verpflichtung der Gottheit nahen. Der Wechſel von Arbeits- und Mußetagen erſchien auch den Alten als etwas ſo Urſprüngliches, ſo Unentbehrliches und mit der Religion Zuſammenhängendes, daß ſie darin nicht eine Erfindung menſchlicher Klugheit, ſondern eine göttliche Ordnung erblicken; wie Platon ſagt, aus Erbarmen mit dem mühſeligen Leben der Sterblichen habe die Gottheit die Tage feſtlicher Erholung eingerichtet und ihnen dazu Apollon und die Muſen nebſt Dionyſos beigeſellt. Mit der Häufung der Feſtlichkeiten und dem äußeren Glanz iſt aber die urſprüngliche Bedeutung des Feſtweſens und ſeine ſittliche Wirkſamkeit immer mehr zurückgetreten. In üppigen Seeſtädten wie Tarent gab es mehr Feier- als Werk¬ tage, und die Verwilderung des Feſtjahrs, die Verweltlichung des öffentlichen Cultus und die Zerſtörung einer vernünftigen Abwechſelung von Arbeit und Muße hat weſentlich dazu bei¬ getragen, die Geſundheit des antiken Volkslebens zu unter¬ graben. Darum mußte der gemeinſamen Grundanſchauungen un¬ geachtet die moſaiſche Stiftung Griechen wie Römern als etwas weſentlich Neues erſcheinen. An Stelle des unruhigen

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/172>, abgerufen am 04.12.2024.