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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Unfreiheit der alten Welt.
lebten die hinsterbende Republik und mußten nach den Bürger¬
kriegen dazu dienen, der aus der Revolution entstandenen neuen
Ordnung der Dinge den Charakter der Legitimität zu ver¬
leihen. Octavian wollte nicht nach Kriegsrecht fortregieren;
darum bedurfte er als lebenslängliches Staatsoberhaupt einer
göttlichen Anerkennung, und sie erfolgte dadurch, daß Jupiter
ihm bei Antritt seines ersten Consulats zwölf Geier am Himmel
erscheinen ließ. Das war dasselbe Himmelszeichen, durch welches
Roms erster König beglaubigt worden war. Nun war Octa¬
vian als zweiter Romulus anerkannt; nun gingen von ihm
die neuen Amtsvollmachten aus und er selbst beherrschte nun,
mit dem Krummstabe des Augur in der Hand, als vollberech¬
tigtes Oberhaupt die römische Welt.

Uebrigens ging es in Rom wie in Hellas. In demselben
Grade, wie die nationale Kraft des Lebens erschlaffte, ermat¬
tete auch die Kraft zur Abwehr des Fremdartigen und dem
Volkssinne ursprünglich Widerstrebenden. Die Freiheit des
sittlichen Handelns im öffentlichen und Privatleben ging zu
Grunde. Alle chaldäischen, ägyptischen und etruskischen Weis¬
sagekünste drangen ein; das Fremdartigste und Abgeschmackteste
übte den größten Reiz; man gab sich widerstandslos dem
Gefühle hin, daß keine menschliche Kraft dem Verhängnisse
steuern könne, das über Rom sich erfülle; die Providenz der
Götter wurde zu einem blinden Schicksale und zu Tacitus'
Zeit war es eine vollkommen fatalistische Weltanschauung,
welche die Gemüther beherrschte.

So ging die alte Welt in Verzweiflung und stumpfer
Resignation zu Grunde. Zu helfen war nur durch einen Glau¬
ben, welcher wieder Hoffnung erweckte, durch eine Religion,
welche eine Zukunft hatte. Die sterbenden Christen hatten die
Lebenskraft ihres Glaubens bezeugt; hier oder nirgends war
ein neuer Boden zu gewinnen. Um aber darauf den Staat
zu gründen, bedurfte es nach römischem Bewußtsein wiederum
einer unmittelbaren göttlichen Willensbezeugung, und nachdem
also die Auspicien dem Königthume, dem Geschlechtsadel der
älteren, dem Amtsadel der späteren Republik, und endlich dem

Die Unfreiheit der alten Welt.
lebten die hinſterbende Republik und mußten nach den Bürger¬
kriegen dazu dienen, der aus der Revolution entſtandenen neuen
Ordnung der Dinge den Charakter der Legitimität zu ver¬
leihen. Octavian wollte nicht nach Kriegsrecht fortregieren;
darum bedurfte er als lebenslängliches Staatsoberhaupt einer
göttlichen Anerkennung, und ſie erfolgte dadurch, daß Jupiter
ihm bei Antritt ſeines erſten Conſulats zwölf Geier am Himmel
erſcheinen ließ. Das war daſſelbe Himmelszeichen, durch welches
Roms erſter König beglaubigt worden war. Nun war Octa¬
vian als zweiter Romulus anerkannt; nun gingen von ihm
die neuen Amtsvollmachten aus und er ſelbſt beherrſchte nun,
mit dem Krummſtabe des Augur in der Hand, als vollberech¬
tigtes Oberhaupt die römiſche Welt.

Uebrigens ging es in Rom wie in Hellas. In demſelben
Grade, wie die nationale Kraft des Lebens erſchlaffte, ermat¬
tete auch die Kraft zur Abwehr des Fremdartigen und dem
Volksſinne urſprünglich Widerſtrebenden. Die Freiheit des
ſittlichen Handelns im öffentlichen und Privatleben ging zu
Grunde. Alle chaldäiſchen, ägyptiſchen und etruskiſchen Weis¬
ſagekünſte drangen ein; das Fremdartigſte und Abgeſchmackteſte
übte den größten Reiz; man gab ſich widerſtandslos dem
Gefühle hin, daß keine menſchliche Kraft dem Verhängniſſe
ſteuern könne, das über Rom ſich erfülle; die Providenz der
Götter wurde zu einem blinden Schickſale und zu Tacitus’
Zeit war es eine vollkommen fataliſtiſche Weltanſchauung,
welche die Gemüther beherrſchte.

So ging die alte Welt in Verzweiflung und ſtumpfer
Reſignation zu Grunde. Zu helfen war nur durch einen Glau¬
ben, welcher wieder Hoffnung erweckte, durch eine Religion,
welche eine Zukunft hatte. Die ſterbenden Chriſten hatten die
Lebenskraft ihres Glaubens bezeugt; hier oder nirgends war
ein neuer Boden zu gewinnen. Um aber darauf den Staat
zu gründen, bedurfte es nach römiſchem Bewußtſein wiederum
einer unmittelbaren göttlichen Willensbezeugung, und nachdem
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[178/0194] Die Unfreiheit der alten Welt. lebten die hinſterbende Republik und mußten nach den Bürger¬ kriegen dazu dienen, der aus der Revolution entſtandenen neuen Ordnung der Dinge den Charakter der Legitimität zu ver¬ leihen. Octavian wollte nicht nach Kriegsrecht fortregieren; darum bedurfte er als lebenslängliches Staatsoberhaupt einer göttlichen Anerkennung, und ſie erfolgte dadurch, daß Jupiter ihm bei Antritt ſeines erſten Conſulats zwölf Geier am Himmel erſcheinen ließ. Das war daſſelbe Himmelszeichen, durch welches Roms erſter König beglaubigt worden war. Nun war Octa¬ vian als zweiter Romulus anerkannt; nun gingen von ihm die neuen Amtsvollmachten aus und er ſelbſt beherrſchte nun, mit dem Krummſtabe des Augur in der Hand, als vollberech¬ tigtes Oberhaupt die römiſche Welt. Uebrigens ging es in Rom wie in Hellas. In demſelben Grade, wie die nationale Kraft des Lebens erſchlaffte, ermat¬ tete auch die Kraft zur Abwehr des Fremdartigen und dem Volksſinne urſprünglich Widerſtrebenden. Die Freiheit des ſittlichen Handelns im öffentlichen und Privatleben ging zu Grunde. Alle chaldäiſchen, ägyptiſchen und etruskiſchen Weis¬ ſagekünſte drangen ein; das Fremdartigſte und Abgeſchmackteſte übte den größten Reiz; man gab ſich widerſtandslos dem Gefühle hin, daß keine menſchliche Kraft dem Verhängniſſe ſteuern könne, das über Rom ſich erfülle; die Providenz der Götter wurde zu einem blinden Schickſale und zu Tacitus’ Zeit war es eine vollkommen fataliſtiſche Weltanſchauung, welche die Gemüther beherrſchte. So ging die alte Welt in Verzweiflung und ſtumpfer Reſignation zu Grunde. Zu helfen war nur durch einen Glau¬ ben, welcher wieder Hoffnung erweckte, durch eine Religion, welche eine Zukunft hatte. Die ſterbenden Chriſten hatten die Lebenskraft ihres Glaubens bezeugt; hier oder nirgends war ein neuer Boden zu gewinnen. Um aber darauf den Staat zu gründen, bedurfte es nach römiſchem Bewußtſein wiederum einer unmittelbaren göttlichen Willensbezeugung, und nachdem alſo die Auſpicien dem Königthume, dem Geſchlechtsadel der älteren, dem Amtsadel der ſpäteren Republik, und endlich dem

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/194>, abgerufen am 28.11.2024.