Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Unfreiheit der alten Welt. heit ein persönlicher und denkender Geist, so kann der Menschihre Gedanken zu den seinigen machen, und in sofern sie den seinigen verwandt, aber unendlich reiner und höher sind, braucht er sich selbst nicht nur nicht zu verlieren, sondern er wird im Umgange mit der Gottheit kräftiger und vollkommener, klarer und selstbewußter und dem Endziele seiner menschlichen Ent¬ wickelung immer näher gerückt. So haben schon die Hellenen den scheinbaren Widerspruch zwischen Freiheit und Theokratie zu lösen gewußt und dabei die höchste Stufe ihres sittlichen Bewußtseins erreicht. Denn Gott segnet jedes aufrichtige Suchen nach ihm; er hat auch die Weisen des Morgenlandes, die nach dem Sterne des Heils ausschauenden, in ihrer Weise an die Stätte geführt, wo mit der vollen Offenbarung des göttlichen Wesens auch die volle Lösung der menschlichen Auf¬ gabe gegeben ist. Nun ist das Bangen und Sehnen des Heidenthums erfüllt. Nun quälen den Menschen nicht mehr die Zeichen, welche am Himmel geschehen, nun braucht er nicht ängstlich auf die Stimmen der Natur zu lauschen. Nicht in Ahnungen der erleuchteten Seele bezeugt sich Gott als den leutseligen Freund der Sterblichen, sondern er giebt sich selbst, voll und ganz, er läßt uns die Rathschlüsse seiner ewigen Liebe in ihrem großen Zusammenhange erkennen, und je mehr wir ihrer im Gange der Völkergeschichte, in den Gesetzen der Natur und in den Erfahrungen des eigenen Herzens bewußt werden, um so völliger löst sich das alte Räthsel des menschlichen Da¬ seins und immer siegreicher erheben wir uns aus allen Zwei¬ feln zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Die Unfreiheit der alten Welt. heit ein perſönlicher und denkender Geiſt, ſo kann der Menſchihre Gedanken zu den ſeinigen machen, und in ſofern ſie den ſeinigen verwandt, aber unendlich reiner und höher ſind, braucht er ſich ſelbſt nicht nur nicht zu verlieren, ſondern er wird im Umgange mit der Gottheit kräftiger und vollkommener, klarer und ſelſtbewußter und dem Endziele ſeiner menſchlichen Ent¬ wickelung immer näher gerückt. So haben ſchon die Hellenen den ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen Freiheit und Theokratie zu löſen gewußt und dabei die höchſte Stufe ihres ſittlichen Bewußtſeins erreicht. Denn Gott ſegnet jedes aufrichtige Suchen nach ihm; er hat auch die Weiſen des Morgenlandes, die nach dem Sterne des Heils ausſchauenden, in ihrer Weiſe an die Stätte geführt, wo mit der vollen Offenbarung des göttlichen Weſens auch die volle Löſung der menſchlichen Auf¬ gabe gegeben iſt. Nun iſt das Bangen und Sehnen des Heidenthums erfüllt. Nun quälen den Menſchen nicht mehr die Zeichen, welche am Himmel geſchehen, nun braucht er nicht ängſtlich auf die Stimmen der Natur zu lauſchen. Nicht in Ahnungen der erleuchteten Seele bezeugt ſich Gott als den leutſeligen Freund der Sterblichen, ſondern er giebt ſich ſelbſt, voll und ganz, er läßt uns die Rathſchlüſſe ſeiner ewigen Liebe in ihrem großen Zuſammenhange erkennen, und je mehr wir ihrer im Gange der Völkergeſchichte, in den Geſetzen der Natur und in den Erfahrungen des eigenen Herzens bewußt werden, um ſo völliger löſt ſich das alte Räthſel des menſchlichen Da¬ ſeins und immer ſiegreicher erheben wir uns aus allen Zwei¬ feln zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0198" n="182"/><fw place="top" type="header">Die Unfreiheit der alten Welt.<lb/></fw> heit ein perſönlicher und denkender Geiſt, ſo kann der Menſch<lb/> ihre Gedanken zu den ſeinigen machen, und in ſofern ſie den<lb/> ſeinigen verwandt, aber unendlich reiner und höher ſind, braucht<lb/> er ſich ſelbſt nicht nur nicht zu verlieren, ſondern er wird im<lb/> Umgange mit der Gottheit kräftiger und vollkommener, klarer<lb/> und ſelſtbewußter und dem Endziele ſeiner menſchlichen Ent¬<lb/> wickelung immer näher gerückt. 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Die Unfreiheit der alten Welt.
heit ein perſönlicher und denkender Geiſt, ſo kann der Menſch
ihre Gedanken zu den ſeinigen machen, und in ſofern ſie den
ſeinigen verwandt, aber unendlich reiner und höher ſind, braucht
er ſich ſelbſt nicht nur nicht zu verlieren, ſondern er wird im
Umgange mit der Gottheit kräftiger und vollkommener, klarer
und ſelſtbewußter und dem Endziele ſeiner menſchlichen Ent¬
wickelung immer näher gerückt. So haben ſchon die Hellenen
den ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen Freiheit und Theokratie
zu löſen gewußt und dabei die höchſte Stufe ihres ſittlichen
Bewußtſeins erreicht. Denn Gott ſegnet jedes aufrichtige
Suchen nach ihm; er hat auch die Weiſen des Morgenlandes,
die nach dem Sterne des Heils ausſchauenden, in ihrer Weiſe
an die Stätte geführt, wo mit der vollen Offenbarung des
göttlichen Weſens auch die volle Löſung der menſchlichen Auf¬
gabe gegeben iſt. Nun iſt das Bangen und Sehnen des
Heidenthums erfüllt. Nun quälen den Menſchen nicht mehr
die Zeichen, welche am Himmel geſchehen, nun braucht er nicht
ängſtlich auf die Stimmen der Natur zu lauſchen. Nicht in
Ahnungen der erleuchteten Seele bezeugt ſich Gott als den
leutſeligen Freund der Sterblichen, ſondern er giebt ſich ſelbſt,
voll und ganz, er läßt uns die Rathſchlüſſe ſeiner ewigen Liebe
in ihrem großen Zuſammenhange erkennen, und je mehr wir
ihrer im Gange der Völkergeſchichte, in den Geſetzen der Natur
und in den Erfahrungen des eigenen Herzens bewußt werden,
um ſo völliger löſt ſich das alte Räthſel des menſchlichen Da¬
ſeins und immer ſiegreicher erheben wir uns aus allen Zwei¬
feln zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
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