Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Gastfreundschaft. Geschichte der alten Cultur; die Ausbildung desselben in derSitte des Hauses, im Staats- und Religionswesen ist eine der anziehendsten Seiten der griechisch-römischen Welt, die edelste Blüthe des klassischen Alterthums. Im Gastrechte ist aber die Ethik der alten Welt über sich Auf Grund des Christenthums als einer Weltreligion ist Die Gaſtfreundſchaft. Geſchichte der alten Cultur; die Ausbildung deſſelben in derSitte des Hauſes, im Staats- und Religionsweſen iſt eine der anziehendſten Seiten der griechiſch-römiſchen Welt, die edelſte Blüthe des klaſſiſchen Alterthums. Im Gaſtrechte iſt aber die Ethik der alten Welt über ſich Auf Grund des Chriſtenthums als einer Weltreligion iſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="212"/><fw place="top" type="header">Die Gaſtfreundſchaft.<lb/></fw> Geſchichte der alten Cultur; die Ausbildung deſſelben in der<lb/> Sitte des Hauſes, im Staats- und Religionsweſen iſt eine<lb/> der anziehendſten Seiten der griechiſch-römiſchen Welt, die<lb/> edelſte Blüthe des klaſſiſchen Alterthums.</p><lb/> <p>Im Gaſtrechte iſt aber die Ethik der alten Welt über ſich<lb/> ſelbſt hinausgegangen. Sie iſt hier inniger als auf andern<lb/> Gebieten mit der Religion verbunden, ſie hat erfolgreicher als<lb/> ſonſt die Selbſtſucht bekämpft, die Selbſtſucht der Einzelnen<lb/> wie der Gemeinden, und Homer verwundert ſich über ſeine<lb/> eigenen Helden, daß ſie um der Gaſtfreundſchaft willen mitten<lb/> im Schlachtgetümmel einen Waffentauſch vollziehen, bei welchem<lb/> ganz gegen griechiſche Gewohnheit der Verluſt des Einen wie<lb/> der Gewinn des Andern garnicht in Frage kommt. Durch<lb/> das Gaſtrecht iſt ein Geiſt der Gewiſſensfreiheit und milden<lb/> Duldung, ein Geiſt der Brüderlichkeit in die alte Welt aus¬<lb/> gegangen; wir ſehen eine Menſchenliebe thätig, welche im<lb/> Fremdling die Gottheit ehrt, vor welcher kein Anſehen der<lb/> Perſon gilt, eine Liebe, welche alle Schranken überſteigt, die<lb/> menſchlicher Dünkel aufgerichtet hat, um höhere und niedrigere<lb/> Gattungen von Menſchenkindern feſtzuſtellen. Sie hat mit<lb/> göttlicher Wärme das Eis geſchmolzen, mit welchem einſeitiges<lb/> Vorurtheil die Herzen der Alten umpanzert hielt. Durch ſie<lb/> ſind auch, als die Zeit erfüllt war, die ſprödeſten Völker des<lb/> Alterthums zuſammengekommen, denn die Gaſtfreundſchaft,<lb/> welche der Apoſtel Petrus von dem Hauptmann Cornelius<lb/> annahm, war der Anfang einer Verſchmelzung der klaſſiſchen<lb/> und der jüdiſchen Welt, der Uebergang in eine neue Epoche<lb/> der Menſchengeſchichte, wo die Idee, welche im antiken Gaſt¬<lb/> recht wie eine Ahnung auftaucht, daß vor Gott, alſo auch für<lb/> uns alle Menſchen gleich berechtigt ſind, als Grundwahrheit<lb/> anerkannt und in vollem Maße verwirklicht werden ſollte.</p><lb/> <p>Auf Grund des Chriſtenthums als einer Weltreligion iſt<lb/> denn auch das dem Gaſtrechte entſprungene Völkerrecht in <hi rendition="#g">der</hi><lb/> Weiſe zur Geltung gekommen, daß mehr und mehr die Na¬<lb/> tionen alle zu einer Gemeinſchaft verbunden worden ſind, und<lb/> wenn in der chriſtlichen Welt der Geiſt der Milde und Gaſt¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [212/0228]
Die Gaſtfreundſchaft.
Geſchichte der alten Cultur; die Ausbildung deſſelben in der
Sitte des Hauſes, im Staats- und Religionsweſen iſt eine
der anziehendſten Seiten der griechiſch-römiſchen Welt, die
edelſte Blüthe des klaſſiſchen Alterthums.
Im Gaſtrechte iſt aber die Ethik der alten Welt über ſich
ſelbſt hinausgegangen. Sie iſt hier inniger als auf andern
Gebieten mit der Religion verbunden, ſie hat erfolgreicher als
ſonſt die Selbſtſucht bekämpft, die Selbſtſucht der Einzelnen
wie der Gemeinden, und Homer verwundert ſich über ſeine
eigenen Helden, daß ſie um der Gaſtfreundſchaft willen mitten
im Schlachtgetümmel einen Waffentauſch vollziehen, bei welchem
ganz gegen griechiſche Gewohnheit der Verluſt des Einen wie
der Gewinn des Andern garnicht in Frage kommt. Durch
das Gaſtrecht iſt ein Geiſt der Gewiſſensfreiheit und milden
Duldung, ein Geiſt der Brüderlichkeit in die alte Welt aus¬
gegangen; wir ſehen eine Menſchenliebe thätig, welche im
Fremdling die Gottheit ehrt, vor welcher kein Anſehen der
Perſon gilt, eine Liebe, welche alle Schranken überſteigt, die
menſchlicher Dünkel aufgerichtet hat, um höhere und niedrigere
Gattungen von Menſchenkindern feſtzuſtellen. Sie hat mit
göttlicher Wärme das Eis geſchmolzen, mit welchem einſeitiges
Vorurtheil die Herzen der Alten umpanzert hielt. Durch ſie
ſind auch, als die Zeit erfüllt war, die ſprödeſten Völker des
Alterthums zuſammengekommen, denn die Gaſtfreundſchaft,
welche der Apoſtel Petrus von dem Hauptmann Cornelius
annahm, war der Anfang einer Verſchmelzung der klaſſiſchen
und der jüdiſchen Welt, der Uebergang in eine neue Epoche
der Menſchengeſchichte, wo die Idee, welche im antiken Gaſt¬
recht wie eine Ahnung auftaucht, daß vor Gott, alſo auch für
uns alle Menſchen gleich berechtigt ſind, als Grundwahrheit
anerkannt und in vollem Maße verwirklicht werden ſollte.
Auf Grund des Chriſtenthums als einer Weltreligion iſt
denn auch das dem Gaſtrechte entſprungene Völkerrecht in der
Weiſe zur Geltung gekommen, daß mehr und mehr die Na¬
tionen alle zu einer Gemeinſchaft verbunden worden ſind, und
wenn in der chriſtlichen Welt der Geiſt der Milde und Gaſt¬
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