Nur ein Theil der Menschengeschichte scheint ein ganz abgeschlossener zu sein, ein nach Raum und Zeit abgelegenes Gebiet der Forschung, ich meine die Geschichte des Alterthums, dessen Völker und Staaten fast spurlos vorübergegangen sind. Seitdem aber ist, wie uns unsere Jahresrechnung täglich ins Gedächtniß ruft, ein neuer Anfang gemacht worden, und was jenseit desselben liegt, scheint mehr als alles Andere dem Sonderinteresse eines einzelnen Fachs anheim zu fallen.
Und doch ist es so ganz anders! Dennoch ist gerade dieser Theil der allgemeinen Geschichtskunde bei dem Auseinander¬ gehen der Universitätsstudien, wie mir scheint, vorzugsweise berufen, ein Band des Einverständnisses und ein Mittelpunkt gemeinsamer Interessen zu werden.
Freilich ist ein Gegensatz da zwischen Antik und Modern; eine Kluft zwischen allem Vorchristlichen und Nachchristlichen, wie sie in der Geschichte nicht größer vorhanden ist. Aber gerade deshalb hat auch der Theil der Geschichte die größte Aufgabe, welcher jene getrennten Hälften zu verbinden und den Zusammenhang des geschichtlichen Bewußtseins, wo er am vollständigsten zerrissen scheint, wieder herzustellen hat. Denn wenn die, Gegenwart ununterbrochen von der Vergangenheit zu lernen hat, so hat sie ohne Zweifel dort am meisten zu lernen und von dort am meisten einzutauschen, wo bei einem hohen und unerreicht gebliebenen Grade der Ausbildung alle Lebensverhältnisse von den unsrigen durchaus verschieden sind und ihnen fremd gegenüber stehen.
Aber die alte Welt ist uns keine ferne und fremde geblie¬ ben. Sie war verloren und ist wieder gefunden, und dies Wiederfinden der alten Welt ist eine Epoche in der neueren Culturgeschichte geworden. Dadurch ist die Menschheit nicht nur von Neuem in den Besitz reicher Güter eingesetzt worden, welche ihr abhanden gekommen waren, sondern es sind auch so viel neue Lebenskräfte geweckt und gelöst worden, daß da¬ durch an innerer Energie die Völker erstarkten und innerhalb ihrer eigenen Geschichte zu den größten Leistungen befähigt wurden.
Das Mittleramt der Philologie.
Nur ein Theil der Menſchengeſchichte ſcheint ein ganz abgeſchloſſener zu ſein, ein nach Raum und Zeit abgelegenes Gebiet der Forſchung, ich meine die Geſchichte des Alterthums, deſſen Völker und Staaten faſt ſpurlos vorübergegangen ſind. Seitdem aber iſt, wie uns unſere Jahresrechnung täglich ins Gedächtniß ruft, ein neuer Anfang gemacht worden, und was jenſeit deſſelben liegt, ſcheint mehr als alles Andere dem Sonderintereſſe eines einzelnen Fachs anheim zu fallen.
Und doch iſt es ſo ganz anders! Dennoch iſt gerade dieſer Theil der allgemeinen Geſchichtskunde bei dem Auseinander¬ gehen der Univerſitätsſtudien, wie mir ſcheint, vorzugsweiſe berufen, ein Band des Einverſtändniſſes und ein Mittelpunkt gemeinſamer Intereſſen zu werden.
Freilich iſt ein Gegenſatz da zwiſchen Antik und Modern; eine Kluft zwiſchen allem Vorchriſtlichen und Nachchriſtlichen, wie ſie in der Geſchichte nicht größer vorhanden iſt. Aber gerade deshalb hat auch der Theil der Geſchichte die größte Aufgabe, welcher jene getrennten Hälften zu verbinden und den Zuſammenhang des geſchichtlichen Bewußtſeins, wo er am vollſtändigſten zerriſſen ſcheint, wieder herzuſtellen hat. Denn wenn die, Gegenwart ununterbrochen von der Vergangenheit zu lernen hat, ſo hat ſie ohne Zweifel dort am meiſten zu lernen und von dort am meiſten einzutauſchen, wo bei einem hohen und unerreicht gebliebenen Grade der Ausbildung alle Lebensverhältniſſe von den unſrigen durchaus verſchieden ſind und ihnen fremd gegenüber ſtehen.
Aber die alte Welt iſt uns keine ferne und fremde geblie¬ ben. Sie war verloren und iſt wieder gefunden, und dies Wiederfinden der alten Welt iſt eine Epoche in der neueren Culturgeſchichte geworden. Dadurch iſt die Menſchheit nicht nur von Neuem in den Beſitz reicher Güter eingeſetzt worden, welche ihr abhanden gekommen waren, ſondern es ſind auch ſo viel neue Lebenskräfte geweckt und gelöſt worden, daß da¬ durch an innerer Energie die Völker erſtarkten und innerhalb ihrer eigenen Geſchichte zu den größten Leiſtungen befähigt wurden.
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Das Mittleramt der Philologie.
Nur ein Theil der Menſchengeſchichte ſcheint ein ganz
abgeſchloſſener zu ſein, ein nach Raum und Zeit abgelegenes
Gebiet der Forſchung, ich meine die Geſchichte des Alterthums,
deſſen Völker und Staaten faſt ſpurlos vorübergegangen ſind.
Seitdem aber iſt, wie uns unſere Jahresrechnung täglich ins
Gedächtniß ruft, ein neuer Anfang gemacht worden, und was
jenſeit deſſelben liegt, ſcheint mehr als alles Andere dem
Sonderintereſſe eines einzelnen Fachs anheim zu fallen.
Und doch iſt es ſo ganz anders! Dennoch iſt gerade dieſer
Theil der allgemeinen Geſchichtskunde bei dem Auseinander¬
gehen der Univerſitätsſtudien, wie mir ſcheint, vorzugsweiſe
berufen, ein Band des Einverſtändniſſes und ein Mittelpunkt
gemeinſamer Intereſſen zu werden.
Freilich iſt ein Gegenſatz da zwiſchen Antik und Modern;
eine Kluft zwiſchen allem Vorchriſtlichen und Nachchriſtlichen,
wie ſie in der Geſchichte nicht größer vorhanden iſt. Aber
gerade deshalb hat auch der Theil der Geſchichte die größte
Aufgabe, welcher jene getrennten Hälften zu verbinden und
den Zuſammenhang des geſchichtlichen Bewußtſeins, wo er am
vollſtändigſten zerriſſen ſcheint, wieder herzuſtellen hat. Denn
wenn die, Gegenwart ununterbrochen von der Vergangenheit
zu lernen hat, ſo hat ſie ohne Zweifel dort am meiſten zu
lernen und von dort am meiſten einzutauſchen, wo bei einem
hohen und unerreicht gebliebenen Grade der Ausbildung alle
Lebensverhältniſſe von den unſrigen durchaus verſchieden ſind
und ihnen fremd gegenüber ſtehen.
Aber die alte Welt iſt uns keine ferne und fremde geblie¬
ben. Sie war verloren und iſt wieder gefunden, und dies
Wiederfinden der alten Welt iſt eine Epoche in der neueren
Culturgeſchichte geworden. Dadurch iſt die Menſchheit nicht
nur von Neuem in den Beſitz reicher Güter eingeſetzt worden,
welche ihr abhanden gekommen waren, ſondern es ſind auch
ſo viel neue Lebenskräfte geweckt und gelöſt worden, daß da¬
durch an innerer Energie die Völker erſtarkten und innerhalb
ihrer eigenen Geſchichte zu den größten Leiſtungen befähigt
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/24>, abgerufen am 03.05.2024.
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