doch ist der menschliche Gruß keine leere Form; er ist nicht bloß eine Sache des Anstandes oder der guten Gewohnheit.
Jeder von uns ist sich bewußt, wie er oft schon aus dem ersten Gruße einen sehr bestimmten Eindruck von dem Cha¬ rakter eines Mannes erhalten hat; im Gruße geben die Men¬ schen am unverhohlensten zu erkennen, was sie von sich und Anderen denken. Ja, es ist der Gruß etwas mit dem geistigen Leben so Verwachsenes, daß man nach der Art des Grußes die verschiedenen Zeitalter und Völker der Geschichte unter¬ scheiden kann.
Ich denke, es liegt uns am Tage des Festgrußes nicht fern, diesem Gedanken nachzugehen.
Als Herodot durch die Städte Aegyptens ging, fiel ihm Eins besonders auf, worin sich die dortige Bevölkerung von allen Hellenen unterschied. Er vernahm keinen freundlichen Gruß auf der Straße, sondern stumm und ernst gingen die Menschen an einander vorüber, indem Einer vor dem Andern den Arm zum Knie hinuntersenkte. Es war ein Zeichen der Unterwürfigkeit, durch welches der Niedrigere dem Vorneh¬ meren seine Huldigung darbrachte.
Herodot's Wahrnehmung führt uns auf einen der wesent¬ lichsten Gegensätze der Menschengeschichte.
Bei den Völkern des Orients trat das Menschliche vor dem Amtlichen, das Innere und Wesentliche vor dem Zufälli¬ gen und Aeußerlichen zurück. Der Abstand in Rang und Besitz, der Unterschied zwischen Vornehmen und Geringen und namentlich zwischen Fürst und Unterthan war ein so durch¬ greifender, daß der Werth der Persönlichkeit ganz aufgehoben wurde. Mit der Stirn am Boden mußte man den Großherrn verehren, wie ein Wesen höherer Art, wie eine Gottheit, zu welcher man nicht würdig sei die Augen aufzuschlagen.
Als Konon am Perserhofe verhandelte, zog er es deshalb vor, auf die angebotene Audienz zu verzichten; denn wenn er selbst, der längere Zeit unter den Orientalen gelebt hatte, auch persönlich bereit war, die landesübliche Huldigung darzu¬ bringen, glaubte er es doch als Athener vor seiner Vater¬
Der Gruß.
doch iſt der menſchliche Gruß keine leere Form; er iſt nicht bloß eine Sache des Anſtandes oder der guten Gewohnheit.
Jeder von uns iſt ſich bewußt, wie er oft ſchon aus dem erſten Gruße einen ſehr beſtimmten Eindruck von dem Cha¬ rakter eines Mannes erhalten hat; im Gruße geben die Men¬ ſchen am unverhohlenſten zu erkennen, was ſie von ſich und Anderen denken. Ja, es iſt der Gruß etwas mit dem geiſtigen Leben ſo Verwachſenes, daß man nach der Art des Grußes die verſchiedenen Zeitalter und Völker der Geſchichte unter¬ ſcheiden kann.
Ich denke, es liegt uns am Tage des Feſtgrußes nicht fern, dieſem Gedanken nachzugehen.
Als Herodot durch die Städte Aegyptens ging, fiel ihm Eins beſonders auf, worin ſich die dortige Bevölkerung von allen Hellenen unterſchied. Er vernahm keinen freundlichen Gruß auf der Straße, ſondern ſtumm und ernſt gingen die Menſchen an einander vorüber, indem Einer vor dem Andern den Arm zum Knie hinunterſenkte. Es war ein Zeichen der Unterwürfigkeit, durch welches der Niedrigere dem Vorneh¬ meren ſeine Huldigung darbrachte.
Herodot's Wahrnehmung führt uns auf einen der weſent¬ lichſten Gegenſätze der Menſchengeſchichte.
Bei den Völkern des Orients trat das Menſchliche vor dem Amtlichen, das Innere und Weſentliche vor dem Zufälli¬ gen und Aeußerlichen zurück. Der Abſtand in Rang und Beſitz, der Unterſchied zwiſchen Vornehmen und Geringen und namentlich zwiſchen Fürſt und Unterthan war ein ſo durch¬ greifender, daß der Werth der Perſönlichkeit ganz aufgehoben wurde. Mit der Stirn am Boden mußte man den Großherrn verehren, wie ein Weſen höherer Art, wie eine Gottheit, zu welcher man nicht würdig ſei die Augen aufzuſchlagen.
Als Konon am Perſerhofe verhandelte, zog er es deshalb vor, auf die angebotene Audienz zu verzichten; denn wenn er ſelbſt, der längere Zeit unter den Orientalen gelebt hatte, auch perſönlich bereit war, die landesübliche Huldigung darzu¬ bringen, glaubte er es doch als Athener vor ſeiner Vater¬
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Der Gruß.
doch iſt der menſchliche Gruß keine leere Form; er iſt nicht
bloß eine Sache des Anſtandes oder der guten Gewohnheit.
Jeder von uns iſt ſich bewußt, wie er oft ſchon aus dem
erſten Gruße einen ſehr beſtimmten Eindruck von dem Cha¬
rakter eines Mannes erhalten hat; im Gruße geben die Men¬
ſchen am unverhohlenſten zu erkennen, was ſie von ſich und
Anderen denken. Ja, es iſt der Gruß etwas mit dem geiſtigen
Leben ſo Verwachſenes, daß man nach der Art des Grußes
die verſchiedenen Zeitalter und Völker der Geſchichte unter¬
ſcheiden kann.
Ich denke, es liegt uns am Tage des Feſtgrußes nicht
fern, dieſem Gedanken nachzugehen.
Als Herodot durch die Städte Aegyptens ging, fiel ihm
Eins beſonders auf, worin ſich die dortige Bevölkerung von
allen Hellenen unterſchied. Er vernahm keinen freundlichen
Gruß auf der Straße, ſondern ſtumm und ernſt gingen die
Menſchen an einander vorüber, indem Einer vor dem Andern
den Arm zum Knie hinunterſenkte. Es war ein Zeichen der
Unterwürfigkeit, durch welches der Niedrigere dem Vorneh¬
meren ſeine Huldigung darbrachte.
Herodot's Wahrnehmung führt uns auf einen der weſent¬
lichſten Gegenſätze der Menſchengeſchichte.
Bei den Völkern des Orients trat das Menſchliche vor
dem Amtlichen, das Innere und Weſentliche vor dem Zufälli¬
gen und Aeußerlichen zurück. Der Abſtand in Rang und
Beſitz, der Unterſchied zwiſchen Vornehmen und Geringen und
namentlich zwiſchen Fürſt und Unterthan war ein ſo durch¬
greifender, daß der Werth der Perſönlichkeit ganz aufgehoben
wurde. Mit der Stirn am Boden mußte man den Großherrn
verehren, wie ein Weſen höherer Art, wie eine Gottheit, zu
welcher man nicht würdig ſei die Augen aufzuſchlagen.
Als Konon am Perſerhofe verhandelte, zog er es deshalb
vor, auf die angebotene Audienz zu verzichten; denn wenn er
ſelbſt, der längere Zeit unter den Orientalen gelebt hatte, auch
perſönlich bereit war, die landesübliche Huldigung darzu¬
bringen, glaubte er es doch als Athener vor ſeiner Vater¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/254>, abgerufen am 19.06.2024.
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