fordert. Aber in welcher Form, in welcher Verfassung sollte es Athen gelingen einem solchen Berufe zu genügen?
Athen stand am Ende einer Reihe von Verfassungszu¬ ständen. Unter einem starken Erbkönigthume hatte der Staat Einheit und Kraft gewonnen; das königliche Geschlecht war von dem anwachsenden Adel nach und nach seiner Vorrechte beraubt worden; aus dem Parteizwiste der Adelsgeschlechter war die Tyrannis erwachsen und nach ihrem Sturze wurden die Hoheitsrechte des Staats der Bürgerschaft übergeben, welche sich durch gleichmäßige Bethätigung einer aufopfernden Vaterlandsliebe das Recht erworben hatte, daß alle ihre Mit¬ glieder gleichen Zutritt zu den Aemtern der Regierung und gleichen Antheil an der Gesetzgebung erhielten. Die Demo¬ kratie war nunmehr die zu Recht bestehende Verfassung, und die außerordentliche Siegeskraft, welche die Bürgerschaft ent¬ wickelte, zeigte deutlich, daß diese Verfassung die für Athen wahrhaft angemessene sei; es konnte keine geeigneter sein, um eine wetteifernde Anspannung der Kräfte, eine allgemeine Hin¬ gebung und Opferbereitschaft hervorzurufen. Aber mit Opfern und Kriegsmuth allein war es nicht geschehen; auch die besten Gesetze halfen hier nicht aus. Athen bedürfte nach den Siegen einer festen, besonnenen und klugen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, es bedürfte eines kräftigen, persönlichen Re¬ giments, es bedurfte eines Mannes, wie Perikles war.
Perikles war kein selbstsüchtiger Parteimann und kein neuerungssüchtiger Demagoge, der mit der Vergangenheit des Staats brechen wollte. Er entstammte selbst dem ältesten Landesadel und zugleich dem Geschlechte der Alkmäoniden, das zu dem jüngeren Adel gehörte und die Idee der Be¬ wegung im Staate vertrat. Mit der Vorzeit des Landes eng verwachsen, war er aber zugleich von den Interessen der Ge¬ genwart lebendig erfüllt. In ihm lebten die Gedanken des Themistokles, nur daß er mit Besonnenheit und Gerechtigkeit ausführen wollte, was Jener in Hast und gewaltthätig er¬ zielte; denn er war als Staatsmann gewissenhaft und uneigen¬ nützig wie Aristides, und dabei als Feldherr glücklich und un¬
Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
fordert. Aber in welcher Form, in welcher Verfaſſung ſollte es Athen gelingen einem ſolchen Berufe zu genügen?
Athen ſtand am Ende einer Reihe von Verfaſſungszu¬ ſtänden. Unter einem ſtarken Erbkönigthume hatte der Staat Einheit und Kraft gewonnen; das königliche Geſchlecht war von dem anwachſenden Adel nach und nach ſeiner Vorrechte beraubt worden; aus dem Parteizwiſte der Adelsgeſchlechter war die Tyrannis erwachſen und nach ihrem Sturze wurden die Hoheitsrechte des Staats der Bürgerſchaft übergeben, welche ſich durch gleichmäßige Bethätigung einer aufopfernden Vaterlandsliebe das Recht erworben hatte, daß alle ihre Mit¬ glieder gleichen Zutritt zu den Aemtern der Regierung und gleichen Antheil an der Geſetzgebung erhielten. Die Demo¬ kratie war nunmehr die zu Recht beſtehende Verfaſſung, und die außerordentliche Siegeskraft, welche die Bürgerſchaft ent¬ wickelte, zeigte deutlich, daß dieſe Verfaſſung die für Athen wahrhaft angemeſſene ſei; es konnte keine geeigneter ſein, um eine wetteifernde Anſpannung der Kräfte, eine allgemeine Hin¬ gebung und Opferbereitſchaft hervorzurufen. Aber mit Opfern und Kriegsmuth allein war es nicht geſchehen; auch die beſten Geſetze halfen hier nicht aus. Athen bedürfte nach den Siegen einer feſten, beſonnenen und klugen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, es bedürfte eines kräftigen, perſönlichen Re¬ giments, es bedurfte eines Mannes, wie Perikles war.
Perikles war kein ſelbſtſüchtiger Parteimann und kein neuerungsſüchtiger Demagoge, der mit der Vergangenheit des Staats brechen wollte. Er entſtammte ſelbſt dem älteſten Landesadel und zugleich dem Geſchlechte der Alkmäoniden, das zu dem jüngeren Adel gehörte und die Idee der Be¬ wegung im Staate vertrat. Mit der Vorzeit des Landes eng verwachſen, war er aber zugleich von den Intereſſen der Ge¬ genwart lebendig erfüllt. In ihm lebten die Gedanken des Themiſtokles, nur daß er mit Beſonnenheit und Gerechtigkeit ausführen wollte, was Jener in Haſt und gewaltthätig er¬ zielte; denn er war als Staatsmann gewiſſenhaft und uneigen¬ nützig wie Ariſtides, und dabei als Feldherr glücklich und un¬
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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
fordert. Aber in welcher Form, in welcher Verfaſſung ſollte
es Athen gelingen einem ſolchen Berufe zu genügen?
Athen ſtand am Ende einer Reihe von Verfaſſungszu¬
ſtänden. Unter einem ſtarken Erbkönigthume hatte der Staat
Einheit und Kraft gewonnen; das königliche Geſchlecht war
von dem anwachſenden Adel nach und nach ſeiner Vorrechte
beraubt worden; aus dem Parteizwiſte der Adelsgeſchlechter
war die Tyrannis erwachſen und nach ihrem Sturze wurden
die Hoheitsrechte des Staats der Bürgerſchaft übergeben,
welche ſich durch gleichmäßige Bethätigung einer aufopfernden
Vaterlandsliebe das Recht erworben hatte, daß alle ihre Mit¬
glieder gleichen Zutritt zu den Aemtern der Regierung und
gleichen Antheil an der Geſetzgebung erhielten. Die Demo¬
kratie war nunmehr die zu Recht beſtehende Verfaſſung, und
die außerordentliche Siegeskraft, welche die Bürgerſchaft ent¬
wickelte, zeigte deutlich, daß dieſe Verfaſſung die für Athen
wahrhaft angemeſſene ſei; es konnte keine geeigneter ſein, um
eine wetteifernde Anſpannung der Kräfte, eine allgemeine Hin¬
gebung und Opferbereitſchaft hervorzurufen. Aber mit Opfern
und Kriegsmuth allein war es nicht geſchehen; auch die beſten
Geſetze halfen hier nicht aus. Athen bedürfte nach den Siegen
einer feſten, beſonnenen und klugen Leitung der öffentlichen
Angelegenheiten, es bedürfte eines kräftigen, perſönlichen Re¬
giments, es bedurfte eines Mannes, wie Perikles war.
Perikles war kein ſelbſtſüchtiger Parteimann und kein
neuerungsſüchtiger Demagoge, der mit der Vergangenheit des
Staats brechen wollte. Er entſtammte ſelbſt dem älteſten
Landesadel und zugleich dem Geſchlechte der Alkmäoniden,
das zu dem jüngeren Adel gehörte und die Idee der Be¬
wegung im Staate vertrat. Mit der Vorzeit des Landes eng
verwachſen, war er aber zugleich von den Intereſſen der Ge¬
genwart lebendig erfüllt. In ihm lebten die Gedanken des
Themiſtokles, nur daß er mit Beſonnenheit und Gerechtigkeit
ausführen wollte, was Jener in Haſt und gewaltthätig er¬
zielte; denn er war als Staatsmann gewiſſenhaft und uneigen¬
nützig wie Ariſtides, und dabei als Feldherr glücklich und un¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/325>, abgerufen am 23.11.2024.
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