Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. blieb auf sich angewiesen. Es mußte also die geistigen Güter,die den nationalen Gemeinbesitz bildeten, um so treuer pflegen, um so rastloser dahin streben, das Bild eines vollkommenen Griechenthums bei sich darzustellen, und seine Schuld war es nicht, wenn dasselbe ein vollständiges Gegenbild von Sparta wurde. Es handelte sich also nicht bloß um eine achtungge¬ bietende Machtbildung dem Auslande gegenüber, sondern auch um eine Ausgleichung der Stammesunterschiede, um eine Ver¬ bindung der noch im Gegensatze stehenden Volkskräfte, um eine Aussöhnung alter und neuer Bildung; denn die Auf¬ klärung drang von Ionien unaufhaltsam ein. Abwehren ließ sie sich nicht, aber es kam darauf an, den Glauben der Väter festzuhalten, mit welchem die Volkssitte und Volkskraft unauf¬ löslich verbunden war, und diese Versöhnung war die Auf¬ gabe der Kunst, wie sie von Pheidias und Sophokles geübt wurde. Indem in Athen vereinigt wurde, was bis dahin in den verschiedenen Stämmen und an verschiedenen Orten sich entwickelt hatte, entstand aus der Vereinigung etwas wesentlich Neues; es entstanden Kunstwerke, die weder dorisch noch ionisch, sondern attisch und, zugleich echt hellenisch waren. Es ent¬ wickelten sich auch ganz neue Richtungen, wie in der Philo¬ sophie, in der Beredsamkeit und in der Geschichtschreibung. Herodot und Thukydides sind als Historiker so verschieden wie möglich von einander, aber in dem Einen stimmten sie über¬ ein, daß der Staat des Perikles den Mittelpunkt ihrer Ge¬ schichtsanschauung bildete. Und alle die großen Leistungen der Stadt in Wissenschaft, Poesie und Bildkunst, sie gehörten nicht einem auserwählten Kreise der Gesellschaft an, sie bildeten nicht den Schmuck eines Hofes, sie dienten nicht zu prahlerischer Schaustellung des erworbenen Wohlstandes, sondern sie gehörten dem Gemeinwesen an, wirkten bildend und läuternd auf alle Angehörigen desselben und kamen durch Betheiligung der ganzen Bürgerschaft zu Stande. Jeder Bürger mußte stolz sein auf eine Vaterstadt, die solches leisten konnte, ja jeder gebildete Hellene mußte sich in Athen zu Hause fühlen und anerkennen, daß in der Stadt des Perikles das Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. blieb auf ſich angewieſen. Es mußte alſo die geiſtigen Güter,die den nationalen Gemeinbeſitz bildeten, um ſo treuer pflegen, um ſo raſtloſer dahin ſtreben, das Bild eines vollkommenen Griechenthums bei ſich darzuſtellen, und ſeine Schuld war es nicht, wenn daſſelbe ein vollſtändiges Gegenbild von Sparta wurde. Es handelte ſich alſo nicht bloß um eine achtungge¬ bietende Machtbildung dem Auslande gegenüber, ſondern auch um eine Ausgleichung der Stammesunterſchiede, um eine Ver¬ bindung der noch im Gegenſatze ſtehenden Volkskräfte, um eine Ausſöhnung alter und neuer Bildung; denn die Auf¬ klärung drang von Ionien unaufhaltſam ein. Abwehren ließ ſie ſich nicht, aber es kam darauf an, den Glauben der Väter feſtzuhalten, mit welchem die Volksſitte und Volkskraft unauf¬ löslich verbunden war, und dieſe Verſöhnung war die Auf¬ gabe der Kunſt, wie ſie von Pheidias und Sophokles geübt wurde. Indem in Athen vereinigt wurde, was bis dahin in den verſchiedenen Stämmen und an verſchiedenen Orten ſich entwickelt hatte, entſtand aus der Vereinigung etwas weſentlich Neues; es entſtanden Kunſtwerke, die weder doriſch noch ioniſch, ſondern attiſch und, zugleich echt helleniſch waren. Es ent¬ wickelten ſich auch ganz neue Richtungen, wie in der Philo¬ ſophie, in der Beredſamkeit und in der Geſchichtſchreibung. Herodot und Thukydides ſind als Hiſtoriker ſo verſchieden wie möglich von einander, aber in dem Einen ſtimmten ſie über¬ ein, daß der Staat des Perikles den Mittelpunkt ihrer Ge¬ ſchichtsanſchauung bildete. Und alle die großen Leiſtungen der Stadt in Wiſſenſchaft, Poeſie und Bildkunſt, ſie gehörten nicht einem auserwählten Kreiſe der Geſellſchaft an, ſie bildeten nicht den Schmuck eines Hofes, ſie dienten nicht zu prahleriſcher Schauſtellung des erworbenen Wohlſtandes, ſondern ſie gehörten dem Gemeinweſen an, wirkten bildend und läuternd auf alle Angehörigen deſſelben und kamen durch Betheiligung der ganzen Bürgerſchaft zu Stande. Jeder Bürger mußte ſtolz ſein auf eine Vaterſtadt, die ſolches leiſten konnte, ja jeder gebildete Hellene mußte ſich in Athen zu Hauſe fühlen und anerkennen, daß in der Stadt des Perikles das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0332" n="316"/><fw place="top" type="header">Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.<lb/></fw>blieb auf ſich angewieſen. Es mußte alſo die geiſtigen Güter,<lb/> die den nationalen Gemeinbeſitz bildeten, um ſo treuer pflegen,<lb/> um ſo raſtloſer dahin ſtreben, das Bild eines vollkommenen<lb/> Griechenthums bei ſich darzuſtellen, und ſeine Schuld war es<lb/> nicht, wenn daſſelbe ein vollſtändiges Gegenbild von Sparta<lb/> wurde. 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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
blieb auf ſich angewieſen. Es mußte alſo die geiſtigen Güter,
die den nationalen Gemeinbeſitz bildeten, um ſo treuer pflegen,
um ſo raſtloſer dahin ſtreben, das Bild eines vollkommenen
Griechenthums bei ſich darzuſtellen, und ſeine Schuld war es
nicht, wenn daſſelbe ein vollſtändiges Gegenbild von Sparta
wurde. Es handelte ſich alſo nicht bloß um eine achtungge¬
bietende Machtbildung dem Auslande gegenüber, ſondern auch
um eine Ausgleichung der Stammesunterſchiede, um eine Ver¬
bindung der noch im Gegenſatze ſtehenden Volkskräfte, um
eine Ausſöhnung alter und neuer Bildung; denn die Auf¬
klärung drang von Ionien unaufhaltſam ein. Abwehren ließ
ſie ſich nicht, aber es kam darauf an, den Glauben der Väter
feſtzuhalten, mit welchem die Volksſitte und Volkskraft unauf¬
löslich verbunden war, und dieſe Verſöhnung war die Auf¬
gabe der Kunſt, wie ſie von Pheidias und Sophokles geübt
wurde. Indem in Athen vereinigt wurde, was bis dahin in
den verſchiedenen Stämmen und an verſchiedenen Orten ſich
entwickelt hatte, entſtand aus der Vereinigung etwas weſentlich
Neues; es entſtanden Kunſtwerke, die weder doriſch noch ioniſch,
ſondern attiſch und, zugleich echt helleniſch waren. Es ent¬
wickelten ſich auch ganz neue Richtungen, wie in der Philo¬
ſophie, in der Beredſamkeit und in der Geſchichtſchreibung.
Herodot und Thukydides ſind als Hiſtoriker ſo verſchieden wie
möglich von einander, aber in dem Einen ſtimmten ſie über¬
ein, daß der Staat des Perikles den Mittelpunkt ihrer Ge¬
ſchichtsanſchauung bildete. Und alle die großen Leiſtungen
der Stadt in Wiſſenſchaft, Poeſie und Bildkunſt, ſie gehörten
nicht einem auserwählten Kreiſe der Geſellſchaft an, ſie
bildeten nicht den Schmuck eines Hofes, ſie dienten nicht
zu prahleriſcher Schauſtellung des erworbenen Wohlſtandes,
ſondern ſie gehörten dem Gemeinweſen an, wirkten bildend
und läuternd auf alle Angehörigen deſſelben und kamen durch
Betheiligung der ganzen Bürgerſchaft zu Stande. Jeder
Bürger mußte ſtolz ſein auf eine Vaterſtadt, die ſolches leiſten
konnte, ja jeder gebildete Hellene mußte ſich in Athen zu Hauſe
fühlen und anerkennen, daß in der Stadt des Perikles das
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