Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. uns zuruft: Weh dir, daß du ein Enkel bist! Denn allesGroße und ewig Gültige, was die Vorzeit hervorgebracht hat, ist unser, und dies überreiche Erbgut immer voller der Gegen¬ wart anzueignen, ist die Aufgabe aller Anstalten, in denen die Wissenschaft gepflegt wird, vor allen die der Universitäten. Wir sollen also keinen trüben Epigonenstimmungen nachhängen; wir sollen nicht die "Trümmer hinübertragen und klagen um die verlorene Schöne", sondern, unseres Reichthums froh, das Zertrümmerte aufbauen, das Vergangene ins Leben rufen und die Schätze der Weisheit heben. Wir brauchen nicht ängstlich und scheu unsere Hände davon zurück zu halten; "es ist Alles Euer", sagt uns das apostolische Wort. Die alten Staaten wurden freilich gefährdet, wenn zu der nationalen Bildung eine andere, fremdartige hinzutrat, weil dadurch die volksthümliche Grundlage des Gemeinwesens erschüttert wurde. Unser Culturleben steht, Gott sei Dank! auf anderen Grund¬ festen. Wie wir daher unsere wahre Jugend mit hinüber nehmen sollen in das reife Alter, so dürfen und sollen wir auch das Alterthum, so weit seine vorbildliche Bedeutung reicht, in die Gegenwart verpflanzen und Lebenskräfte daraus nehmen. Die Melanchthonfeier hat uns ja von Neuem daran erinnert, wie unsere heiligsten Interessen mit den wahren Hu¬ manitätsstudien unzertrennlich verbunden sind. In diesem Sinne haben wir auch heute das Glück des perikleischen Athens betrachtet, im Sinne des echt akademischen Wahlspruchs: Es ist Alles unser! Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. uns zuruft: Weh dir, daß du ein Enkel biſt! Denn allesGroße und ewig Gültige, was die Vorzeit hervorgebracht hat, iſt unſer, und dies überreiche Erbgut immer voller der Gegen¬ wart anzueignen, iſt die Aufgabe aller Anſtalten, in denen die Wiſſenſchaft gepflegt wird, vor allen die der Univerſitäten. Wir ſollen alſo keinen trüben Epigonenſtimmungen nachhängen; wir ſollen nicht die »Trümmer hinübertragen und klagen um die verlorene Schöne«, ſondern, unſeres Reichthums froh, das Zertrümmerte aufbauen, das Vergangene ins Leben rufen und die Schätze der Weisheit heben. Wir brauchen nicht ängſtlich und ſcheu unſere Hände davon zurück zu halten; »es iſt Alles Euer«, ſagt uns das apoſtoliſche Wort. Die alten Staaten wurden freilich gefährdet, wenn zu der nationalen Bildung eine andere, fremdartige hinzutrat, weil dadurch die volksthümliche Grundlage des Gemeinweſens erſchüttert wurde. Unſer Culturleben ſteht, Gott ſei Dank! auf anderen Grund¬ feſten. Wie wir daher unſere wahre Jugend mit hinüber nehmen ſollen in das reife Alter, ſo dürfen und ſollen wir auch das Alterthum, ſo weit ſeine vorbildliche Bedeutung reicht, in die Gegenwart verpflanzen und Lebenskräfte daraus nehmen. Die Melanchthonfeier hat uns ja von Neuem daran erinnert, wie unſere heiligſten Intereſſen mit den wahren Hu¬ manitätsſtudien unzertrennlich verbunden ſind. In dieſem Sinne haben wir auch heute das Glück des perikleiſchen Athens betrachtet, im Sinne des echt akademiſchen Wahlſpruchs: Es iſt Alles unſer! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0336" n="320"/><fw place="top" type="header">Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.<lb/></fw> uns zuruft: Weh dir, daß du ein Enkel biſt! 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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
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Große und ewig Gültige, was die Vorzeit hervorgebracht hat,
iſt unſer, und dies überreiche Erbgut immer voller der Gegen¬
wart anzueignen, iſt die Aufgabe aller Anſtalten, in denen
die Wiſſenſchaft gepflegt wird, vor allen die der Univerſitäten.
Wir ſollen alſo keinen trüben Epigonenſtimmungen nachhängen;
wir ſollen nicht die »Trümmer hinübertragen und klagen um
die verlorene Schöne«, ſondern, unſeres Reichthums froh, das
Zertrümmerte aufbauen, das Vergangene ins Leben rufen
und die Schätze der Weisheit heben. Wir brauchen nicht
ängſtlich und ſcheu unſere Hände davon zurück zu halten; »es
iſt Alles Euer«, ſagt uns das apoſtoliſche Wort. Die alten
Staaten wurden freilich gefährdet, wenn zu der nationalen
Bildung eine andere, fremdartige hinzutrat, weil dadurch die
volksthümliche Grundlage des Gemeinweſens erſchüttert wurde.
Unſer Culturleben ſteht, Gott ſei Dank! auf anderen Grund¬
feſten. Wie wir daher unſere wahre Jugend mit hinüber
nehmen ſollen in das reife Alter, ſo dürfen und ſollen wir
auch das Alterthum, ſo weit ſeine vorbildliche Bedeutung
reicht, in die Gegenwart verpflanzen und Lebenskräfte daraus
nehmen. Die Melanchthonfeier hat uns ja von Neuem daran
erinnert, wie unſere heiligſten Intereſſen mit den wahren Hu¬
manitätsſtudien unzertrennlich verbunden ſind. In dieſem
Sinne haben wir auch heute das Glück des perikleiſchen
Athens betrachtet, im Sinne des echt akademiſchen Wahlſpruchs:
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