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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Das Mittleramt der Philologie.
studien die Alterthumskunde in Anspruch nehmen will, von
der Bewegung der Wissenschaft abhängig ist, so kann man
dreist behaupten, daß an wichtigen Entdeckungen kein Theil
der Geschichte in neuester Zeit reicher gewesen ist, daß keine
so wie diese in gährender Bewegung und lebendigem Fort¬
schritte begriffen ist.

Freilich giebt es eine Philologie, welche sich gegen alles
neue Licht, das in ihre Bücherkammer fällt, absperrt und den
engsten Kreis der Studien ängstlich innehält. Aber an unserer
Universität ist von jeher die Philologie in anderem Sinne und
größerem Stile gepflegt worden. In diesem Sinne ist sie
hier von Geßner begründet worden, der schon mit sicheren
Zügen die weite Aufgabe der Wissenschaft andeutete. Nach
ihm hat Heyne, ein Mann voll Sinn für das Ganze und
Große, hier eine philologisch-historische Schule begründet, in
welcher quellenmäßige Forschung und lebendige Anschauung
des Alterthums gefordert wurde. Unberechenbar ist der Ein¬
fluß, welcher von dieser Schule ausgegangen ist. Sie hat
recht eigentlich den Blick geöffnet für eine umfassende Geschichte
des Alterthums. Hier sind durch Heeren die Handels- und
Verkehrsverhältnisse zuerst in den Gesichtskreis der Philologie
hereingezogen worden; hier sind die von Niebuhr, dem Vater,
der von Göttingen aus seine ruhmvolle Wanderung antrat,
abgeschriebenen Keilschriften zuerst entziffert. Von Heyne
und Heeren bekennt der Geschichtschreiber Aegyptens, welcher
durch eigene Arbeit und Anregung Anderer die ägyptische
Wissenschaft unter den Deutschen begründet hat, die ganze
Anregung zu seinen historischen Forschungen empfangen zu
haben, und auch die Forschung über den Zusammenhang
Griechenlands und Phöniziens, welche neuerdings so wichtig
geworden ist, wurde schon im Jahre 1793 durch eine Göt¬
tinger Preisfrage angeregt.

Auf dem anderen Gebiete der klassischen Alterthumskunde
war Heyne der Vorgänger von Wolf und von Böckh, aus
dessen Schule O. Müller, welcher hier in die von Heyne ge¬
ebnete Bahn eintrat, stammte. Wie Müller sich am Eingange

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Das Mittleramt der Philologie.
ſtudien die Alterthumskunde in Anſpruch nehmen will, von
der Bewegung der Wiſſenſchaft abhängig iſt, ſo kann man
dreiſt behaupten, daß an wichtigen Entdeckungen kein Theil
der Geſchichte in neueſter Zeit reicher geweſen iſt, daß keine
ſo wie dieſe in gährender Bewegung und lebendigem Fort¬
ſchritte begriffen iſt.

Freilich giebt es eine Philologie, welche ſich gegen alles
neue Licht, das in ihre Bücherkammer fällt, abſperrt und den
engſten Kreis der Studien ängſtlich innehält. Aber an unſerer
Univerſität iſt von jeher die Philologie in anderem Sinne und
größerem Stile gepflegt worden. In dieſem Sinne iſt ſie
hier von Geßner begründet worden, der ſchon mit ſicheren
Zügen die weite Aufgabe der Wiſſenſchaft andeutete. Nach
ihm hat Heyne, ein Mann voll Sinn für das Ganze und
Große, hier eine philologiſch-hiſtoriſche Schule begründet, in
welcher quellenmäßige Forſchung und lebendige Anſchauung
des Alterthums gefordert wurde. Unberechenbar iſt der Ein¬
fluß, welcher von dieſer Schule ausgegangen iſt. Sie hat
recht eigentlich den Blick geöffnet für eine umfaſſende Geſchichte
des Alterthums. Hier ſind durch Heeren die Handels- und
Verkehrsverhältniſſe zuerſt in den Geſichtskreis der Philologie
hereingezogen worden; hier ſind die von Niebuhr, dem Vater,
der von Göttingen aus ſeine ruhmvolle Wanderung antrat,
abgeſchriebenen Keilſchriften zuerſt entziffert. Von Heyne
und Heeren bekennt der Geſchichtſchreiber Aegyptens, welcher
durch eigene Arbeit und Anregung Anderer die ägyptiſche
Wiſſenſchaft unter den Deutſchen begründet hat, die ganze
Anregung zu ſeinen hiſtoriſchen Forſchungen empfangen zu
haben, und auch die Forſchung über den Zuſammenhang
Griechenlands und Phöniziens, welche neuerdings ſo wichtig
geworden iſt, wurde ſchon im Jahre 1793 durch eine Göt¬
tinger Preisfrage angeregt.

Auf dem anderen Gebiete der klaſſiſchen Alterthumskunde
war Heyne der Vorgänger von Wolf und von Böckh, aus
deſſen Schule O. Müller, welcher hier in die von Heyne ge¬
ebnete Bahn eintrat, ſtammte. Wie Müller ſich am Eingange

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[19/0035] Das Mittleramt der Philologie. ſtudien die Alterthumskunde in Anſpruch nehmen will, von der Bewegung der Wiſſenſchaft abhängig iſt, ſo kann man dreiſt behaupten, daß an wichtigen Entdeckungen kein Theil der Geſchichte in neueſter Zeit reicher geweſen iſt, daß keine ſo wie dieſe in gährender Bewegung und lebendigem Fort¬ ſchritte begriffen iſt. Freilich giebt es eine Philologie, welche ſich gegen alles neue Licht, das in ihre Bücherkammer fällt, abſperrt und den engſten Kreis der Studien ängſtlich innehält. Aber an unſerer Univerſität iſt von jeher die Philologie in anderem Sinne und größerem Stile gepflegt worden. In dieſem Sinne iſt ſie hier von Geßner begründet worden, der ſchon mit ſicheren Zügen die weite Aufgabe der Wiſſenſchaft andeutete. Nach ihm hat Heyne, ein Mann voll Sinn für das Ganze und Große, hier eine philologiſch-hiſtoriſche Schule begründet, in welcher quellenmäßige Forſchung und lebendige Anſchauung des Alterthums gefordert wurde. Unberechenbar iſt der Ein¬ fluß, welcher von dieſer Schule ausgegangen iſt. Sie hat recht eigentlich den Blick geöffnet für eine umfaſſende Geſchichte des Alterthums. Hier ſind durch Heeren die Handels- und Verkehrsverhältniſſe zuerſt in den Geſichtskreis der Philologie hereingezogen worden; hier ſind die von Niebuhr, dem Vater, der von Göttingen aus ſeine ruhmvolle Wanderung antrat, abgeſchriebenen Keilſchriften zuerſt entziffert. Von Heyne und Heeren bekennt der Geſchichtſchreiber Aegyptens, welcher durch eigene Arbeit und Anregung Anderer die ägyptiſche Wiſſenſchaft unter den Deutſchen begründet hat, die ganze Anregung zu ſeinen hiſtoriſchen Forſchungen empfangen zu haben, und auch die Forſchung über den Zuſammenhang Griechenlands und Phöniziens, welche neuerdings ſo wichtig geworden iſt, wurde ſchon im Jahre 1793 durch eine Göt¬ tinger Preisfrage angeregt. Auf dem anderen Gebiete der klaſſiſchen Alterthumskunde war Heyne der Vorgänger von Wolf und von Böckh, aus deſſen Schule O. Müller, welcher hier in die von Heyne ge¬ ebnete Bahn eintrat, ſtammte. Wie Müller ſich am Eingange 2*

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/35>, abgerufen am 21.11.2024.